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Erzählen und erzählen lassen. Pfarrer Bernhard Fricke (2.v.r.) hat das Erzählcafé initiiert, weil viele Potsdamer ihm berichteten, dass sie schwer mit Flüchtlingen ins Gespräch kommen. Als Ort hat er das Café Zweitwohnsitz in der Geschwister-Scholl-Straße gewählt. Fadi Sujaa (r.) berichtete über seine Flucht.

©  Johanna Bergmann

"Erzählcafé mit Geflüchteten" in Potsdam: Fluchtgeschichten

Die evangelische Kirche hat ein „Erzählcafé mit Geflüchteten“ ins Leben gerufen. Beim ersten Termin berichteten ein Eritreer und ein Syrer von ihrem langen Weg nach Deutschland.

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Kokob Asmelash war durchaus bewusst, wie gefährlich die Überfahrt von Libyen nach Italien ist. Doch auf seiner jahrelangen Flucht zuvor hatte er noch keinen Ort gefunden, an dem er sich sicher fühlte. So machte es keinen Unterschied, die Bootsfahrt zu wagen – er wollte endlich irgendwo ankommen, wo er bleiben kann. Das erzählte der 31 Jahre alte Eritreer am Freitagabend bei einer Gesprächsrunde im Café Zweitwohnsitz.

„Viele Potsdamer haben uns erzählt, dass sie Schwierigkeiten haben, mit Flüchtlingen ins Gespräch zu kommen“, sagte Pfarrer Bernhard Fricke zuvor. „Deshalb haben wir uns gedacht, laden wir mal zum Gespräch ein.“ Das von der Flüchtlingsarbeit im Evangelischen Kirchenkreis organisierte „Erzählcafé mit Geflüchteten“ war Teil des derzeit laufenden „Anders als du glaubst ...“-Programms rund um die Wanderausstellung „Weltreligionen – Weltfrieden – Weltethos“ in der Stadt- und Landesbibliothek.

„Es waren mehr als 300 Leute auf dem Schiff, ein altes Fischerboot, und wir hatten alle wenig Platz“, erzählte Asmelash. Der junge Mann hatte sich aufgrund des Diktatur-Regimes in Eritrea zur Flucht entschlossen. Ehe die Lage sich zuspitzte, hatte er zwei Jahre lang ein College besucht, um Lehrer für Englisch, Geschichte und Geografie zu werden. Umgerechnet 5000 Euro lieh er sich von Eltern, Verwandten und Bekannten und machte sich am Ende des Jahres 2009 auf nach Äthiopien. Lange Zeit wohnte er dort perspektivlos in einem Flüchtlingsheim und entschied sich dann, weiter in den Sudan zu fliehen. Doch auch dort war die Lage für Flüchtlinge wie ihn aussichtslos, wieder bezahlte er einen Helfer und kam über eine gefährliche, 17 Tage währende Sahara-Reise nach Libyen.

„Viele Leute sind auf der Reise gestorben“, erinnert er sich. Die Fluchthelfer seien unmenschlich gewesen, ihnen sei es stets ums Geld gegangen. „Sie sind sehr gefährlich und haben kein Gewissen, sie denken nur ans Geschäft“, sagte Asmelash. In Libyen verharrte er fast drei Monate lang, ehe es mit einem Schiff nach Sizilien ging. Dann nahm er einen Zug nach Rom, von dort nach Frankreich und dann nach Deutschland. 2014 kam er in Köln an, weiter ging es mit Stationen in Dortmund, Burbach, Eisenhüttenstadt und Frankfurt (Oder). Seit August 2014 wohnt er nun im Flüchtlingsheim in Teltow, seinen Raum teilt er sich mit zwei weiteren Männern aus Eritrea. Von seinen zehn Geschwistern und seinen Eltern hat er das letzte Mal vor zwei Monaten gehört: In Adi-Tesfakul, einem Dorf in der Nähe der Stadt Areza, gibt es kein Internet und nur selten eine gute Telefonverbindung. Doch Asmelash ist zuversichtlich. Besonders Spaß macht es ihm, Deutsch zu lernen – vor vier Monaten bekam er das Zertifikat B1. Und mit diesem konnte er sich für eine Ausbildung zum Krankenpfleger im St. Josefs-Krankenhaus bewerben. Im April nächsten Jahres geht es los.

Fadi Sujaa war der zweite Flüchtling, der von seinen Erlebnissen berichtete. Er stammt ursprünglich aus Syrien, seine Familie wohnt jedoch schon viele Jahre lang in Libyen. Zur Flucht entschloss er sich, als er einen Armeebescheid aus Syrien bekam. Denn die Armee kam für den 32-Jährigen nicht infrage. „Es ist nicht mal klar, für oder gegen wen man in der Armee kämpft“, erklärte er auf Englisch, während Fricke ins Deutsche übersetze. Auch Sujaa hatte Angst vor der Flucht über das Meer. Grausame Geschichten habe er von anderen Flüchtlingen gehört: Schlepper sollen Menschen einfach über Bord geworfen haben, wenn die Boote zu voll waren. Ein anderes Flüchtlingsboot wurde grundlos von einem Militärschiff beschossen, bis es sank. Dennoch entschloss er sich zur Überfahrt nach Malta. Da sein Bruder jemanden vor Ort kannte, konnte er sich mit kleinen Jobs etwas hinzuverdienen, um die Weiterfahrt nach Deutschland zu finanzieren. Nun lebt er im Heim am Potsdamer Lerchensteig, doch sein Bachelor-Zertifikat zur Medizin-Labortechnik wird in Deutschland nicht anerkannt. „Zurzeit ist es so, dass er in Malta seinen Schutzstatus hat und noch nicht klar ist, ob er in Deutschland bleiben kann“, erklärte Fricke.

Beide Flüchtlinge engagieren sich ehrenamtlich, seit sie hier sind, so Fricke. „Integration gelingt nur, wenn es auf beiden Seiten eine Zusammenarbeit gibt“, ist der Flüchtlingspfarrer überzeugt. Asmelash etwa hilft anderen Flüchtlingen aus Eritrea beim Ausfüllen von Formularen. Er nutzte die Gelegenheit, sich zu bedanken: „Ich freue mich, dass ihr mir so viel geholfen habt“, sagte er seinen Zuhörern.

Nach zwei Stunden endete das Erzählcafé offiziell – ganz im Gegensatz zu den Fragen der rund 25 Besucher. Und Asmelash und Sujaa nahmen sich die Zeit, wurden nicht müde, ihre vielen Fragen zu beantworten.

Das Begleitprogramm von „Anders als du glaubst “ gibt es auf:

www.anders-als-du-glaubst.info

Anne-Kathrin Fischer

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