Landeshauptstadt: Freundlichkeit auf hochgeklappten Bürgersteigen
Kaliningrader Schüler sind erstmals in Potsdam zu Gast und entdecken die Stadt
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Kaliningrader Schüler sind erstmals in Potsdam zu Gast und entdecken die Stadt Von Henner Mallwitz Der Abschied sollte ein ganz besonderer sein. Da waren die Eltern und Freunde auf dem Bahnhof, gaben viele Wünsche mit auf den weiten Weg nach Deutschland und wischten wohl auch verstohlen die ein oder andere Träne weg. Aber da spielte auch die Kapelle, Vertreter der orthodoxen Kirche und Wladimir Nikitin, der Chef der Gebietsduma, standen auf dem Bahnhof von Kaliningrad. Einerseits, um die kleine Delegation der fünf Schüler und zwei Lehrer vom 13. Lyzeum ihrer Stadt ins ferne Potsdam zu verabschieden. Aber auch, um festlich die lang ersehnte Zugverbindung zwischen Kaliningrad und Berlin einzuweihen. Ebenso wie sein Kollege Manfred Stolpe, der das Gleiche 15 Stunden und 15 Minuten später feierlich in Berlin tat. „Allein die Reise nach Deutschland an sich ist ja schon eine spannende Sache“, erzählte Lehrerin Nadja Garachina, die am Königsberger Lyzeum Deutsch unterrichtet. „Dass das Ganze aber auch noch so feierlich umrahmt wurde, war noch aufregender.“ Und so flogen am Montag die 15 Stunden in dem recht engen Abteil dann auch dahin, die Vorfreude auf das Kommende überwog, und die jungen Kaliningrader – die ersten, die auf Einladung von Landtagspräsident Herbert Knoblich nach Potsdam kamen – sollten nicht enttäuscht werden. Zeit zum Entspannen nach der langen Fahrt blieb Swjeta, Nina, Lilja, Olga und Eugen nicht. Schon bald nach der Ankunft empfing Knoblich seine Gäste, führte sie durch das Parlamentsgebäude auf dem Brauhausberg , und schon ging’s weiter. Erst einmal die Sehenswürdigkeiten, um einen kleinen Überblick zu verschaffen. Park Sanssouci und Cecilienhof, das Holländische Viertel und die Innenstadt. „Wunderschön“, fand Swjeta die alten Gebäude, die sie ein wenig auch an ihre Heimatstadt erinnerten. „Man sieht, dass Kaliningrad einst eine deutsche Stadt war. Vieles ist ähnlich.“ Anderes Weihnachten Am Dienstag sollte dann schon wieder der „Ernst des Lebens“ einziehen. Der so ernst letztlich doch nicht war, denn die Schüler vom Leibniz-Gymnasium bereiteten ihren russischen Gästen einen netten Empfang. Bloß keinen Unterricht am Tag des Kennenlernens. Als ob die Kaliningrader den bewusst ausgewählt hätten: Statt auf der Schulbank landeten sie im Bus und begleiteten die Potsdamer Gymnasiasten auf ihrer lange geplanten Klassenfahrt nach Dresden. Zwinger und Hygiene-Museum, Altstadt und Frauenkirche und zum Abschluss der Weihnachtsmarkt. „Das war neu für uns“, erzählte Olga sichtlich angetan. „Weihnachten in dieser Form feiern wir in Russland nicht. Erst am 7. Januar ist es soweit, dann aber auch nicht mit so vielen Symbolen wie in Deutschland.“ Interessant für die jungen Besucher auch der Unterricht im Gymnasium am Stern: In einer zehnten Klasse nahmen die fünf gestern an einer Russisch-Stunde teil, und waren mit den Gedanken aber bestimmt schon beim nächsten Punkt im vollgestopften Terminkalender. Denn neben dem gestrigen Besuch des Reichstages stehen heute immerhin noch die Kranzniederlegung am Ehrenmal für die Gefallenen des Großen Vaterländischen Krieges auf dem Bassinplatz, das Gespräch mit Karl-Ernst Plagemann, dem Direktor von „Odyssee of the Mind“ Deutschland und die heutige Fahrt nach Bad Saarow auf dem Programm. Mit der Bürgermeisterin, der Vorsitzenden des Europaausschusses, Gerlinde Stobrawa, kommen sie dort ins Gespräch und finden anschließend noch genügend Erholung in der Bad Saarower Therme. Entspannung bevor morgen der letzte Tag ansteht. An der Potsdamer Uni treffen sich die Schüler mit Studenten der Russischen Föderation der Uni und besuchen mit ihnen die Gedenkstätte „Deutscher Widerstand“ in Berlin. „Dieser erste Besuch einer Schülergruppe aus Kaliningrad in Brandenburg ist ein Ergebnis der guten Zusammenarbeit beider Parlamente“, sagt Referent Jens Ullmann, der den Aufenthalt organisierte und die Schüler täglich begleitete. „Zu Begegnungen von Veteranen aus beiden Ländern kam es schon oft. Nun wollen wir auch verstärkt den Kontakt zwischen Jugendlichen herstellen.“ Vorurteile abgebaut Das Leibniz-Gymnasium am Stern mit seiner Ausrichtung auf den Russisch-Unterricht als zweiter Fremdsprache schien die geeignete Schule für den Austausch zu sein. „Wir pflegen schon seit langem den Kontakt nach Russland, waren kürzlich auch in St. Petersburg“, erzählt Schulleiter Edgar Borowietz. „In den vergangenen Jahren sind bei den Schülern, aber auch bei den Eltern viele Vorurteile abgebaut worden. Und das soll fortgesetzt werden.“ Das Interesse für einen Gegenbesuch, möglicherweise sogar eine feste Partnerschaft, sei nun umso größer. „Vielleicht fahren ja schon bald ein paar unserer Schüler nach Kaliningrad.“ Die Tage in Potsdam werden nicht nur Nadja Garachina noch lange in Erinnerung bleiben. „Das war ganz wichtig, auch für meine Arbeit“, so die Lehrerin. „Hier habe ich nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur kennen gelernt. Dass wir gerade zur Weihnachtszeit in Potsdam und Dresden die Traditionen miterleben durften, war natürlich besonders interessant. Wir sind sehr dankbar.“ Vielfältige Kontakte habe sie knüpfen können, die künftig mit Leben erfüllt werden müssen. Während ihre Lehrerin Deutschland schon ein wenig kannte, kam auf Swjeta, Nina, Lilja, Olga und Eugen viel Neues zu. Zumeist waren es für Potsdamer alltägliche Dinge, die den jungen Kaliningradern auffielen. Die „anständigen Fußgänger“ etwa, die sich an der Ampel von einem Licht vorschreiben lassen, wann sie zu gehen haben. Oder die Ruhe, die ab 19 Uhr auf den Straßen der Stadt herrscht. „Vor allem aber“, so sagte Swjeta, „sind es die vielen freundlichen Gesichter. Die gibt´s bei uns nicht so oft.“
Henner Mallwitz
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