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Sport: Gasmillionen, Ölmillionen, Biermillionen
In Osteuropa wird viel Geld in den Radsport investiert. Bei der diesjährigen Tour de France zahlt sich das nun sichtbar aus
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Bergerac - Die Gewichte verschieben sich gen Osten. Das zeigt nicht nur der Start des ersten chinesischen Radprofis bei der Tour de France. 24 Fahrer von insgesamt 198 Startern kommen aus Ost- und Südosteuropa sowie den ehemaligen Sowjetrepubliken. Einige zeigen Spitzenleistungen wie der Tscheche Leopold König als Gesamtneunter oder der Pole Rafal Majka, Träger des Bergtrikots und zweifacher Etappensieger. Und dann ist da noch die unglaubliche Serie von vier zweiten, einem dritten, drei vierten und einem fünften Rang des Slowaken Peter Sagan; ihm ist das Grüne Trikot des besten Sprinters selbst nicht mehr zu nehmen.
Sogar der voraussichtliche Sieger der Tour ist ein Beispiel für den Radsportaufbruch im Osten. Die Sonne Kasachstans, die Vincenzo Nibali auf seinem Trikot trägt, ist größer als die italienische Trikolore, die er als Meister seines Heimatlandes tragen darf. Er wird mit kasachischen Gas- und Ölgeldern bezahlt. Nibali zur Seite gestellt sind Profis aus allen Ecken der Welt – und aus Kasachstan selbst. Die Kasachen Maxim Iglinskiy und Dmitriy Gruzdev können sich aller Wahrscheinlichkeit nach in Paris einen gelben Streifen an den Trikotärmel heften, als Zeichen, dass sie einem Toursieger die Flaschen getragen und ihn aus dem Wind gehalten haben. Sie haben sogar Vorgänger. Landsmann Dmitriy Murawjow war bei Alberto Contadors Toursieg 2009 im Astana-Kader. Iglinskiy musste, wie auch der aktuelle General Manager Alexander Winokurow, seinen gelben Streifen aus dem Jahr 2010 wieder abschneiden; der Toursieg in jenem Jahr wurde Contador wegen Dopings aberkannt.
Der Rennstall Astana ist ein Beispiel, wie mit viel Geld Strukturen aus dem Boden gestampft werden können, die den etablierten Kräften im Radsport Paroli bieten. Zentrale Figur ist freilich Winokurow. „Wenn der ukrainische Radsport so einen Mann hätte wie Winokurow, einen Nationalhelden, um den sich alles bündelt, dann könnte auch die Ukraine einen solchen Rennstall haben. Ausreichend gute Fahrer gibt es in meiner Heimat“, sagt der ukrainische Radprofi Andriy Grivko, der ebenfalls bei Astana sein Geld verdient und auf Frankeichs Straßen Nibali schützt. Talente im Osten sind zahlreich, sie müssen nur die richtige Plattform bekommen. Team Astana baut sie für die eigenen, eher mittelmäßigen Fahrer. Von der Infrastruktur profitiert aber auch ein Toptalent wie der Este Tanel Kangert. Er ist Nibalis „letzter Mann“, der ihn bis hoch in den letzten Anstieg begleitet. Kangert will bei Nibali lernen, wie man große Rennen gewinnt. Um selbst zu gewinnen.
Mittlerweile starten drei Teams aus dem Osten bei der Tour, neben Astana der russische Staatsrennstall Katusha und das vom russischen Biermillionär Oleg Tinkoff finanzierte Team. Für Team Tinkoff sollte Ex-Astana-Mann Contador die Tour gewinnen. Als er ausschied, war der Pole Majka zur Stelle. Er ist wie Kangert oder König und Team Omegas Pole Michal Kwiatkowski ein zukünftiger Kandidat für das Podium.
Eindeutige Erklärungen für die Talentwelle aus dem Osten gibt es nicht. „Sie wollen doch jetzt von mir hören, ob dahinter ein bestimmter Trainer oder Arzt steckt. Aber das sind einfach Länder mit einer Radsporttradition, die immer mal gute Fahrer haben. Das sie sich jetzt häufen, ist eher Zufall“, meint Hans-Michael Holczer, bis Ende des Jahres Berater von Team Katusha. Für Ralph Denk, Teamchef von Net-App und Förderer von Leopold König, sind Fahrer aus dem Osten tendenziell „zielstrebiger, bodenständiger und aufnahmebereiter“. Zusammen mit dem anfangs meist geringeren Salär durchaus ein Vorteil bei gleichem Potenzial.
Strukturell überwindet der Osten so die Delle, die mit der Auflösung des sozialistischen Staatssports einherging. Es gibt Pro-Tour-Rennen wie die Tour de Pologne, erste Austragung 1928, mit Siegern wie Sagan und Jens Voigt. In den zwei Kategorien unterhalb der Pro Tour gibt es 30 Rennställe. Einer von ihnen nennt sich Vino4Ever, in Kasachstan angemeldet, und hat ein Trikot, das dem von Team von Astana verteufelt ähnlich sieht. Tom Mustroph
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