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Hoffen und bangen. Mahmood Amiri flüchtete mit seiner Frau Nurzia und den Söhnen Ferdis und Ferdaus aus Afghanistan nach Deutschland. Inzwischen leben sie in Bornstedt. Im Dezember 2016 erhielten sie einen Abschiebebescheid.

© Sebastian Gabsch

Abschiebungen aus Potsdam: Gehen oder Bleiben

Mahmood Amiri floh mit seiner Familie aus Afghanistan. Jetzt sollen sie abgeschoben werden. Der Fall aus Potsdam steht exemplarisch für eine heftige Debatte.

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Potsdam - Auf dem Fernsehschirm im Wohnzimmer in Bornstedt beginnt gerade ein Spielfilm. Zu sehen sind Menschen in einer Stadt, die allerdings vor allem aus grauen Trümmern besteht. „Das ist normal im afghanischen Programm“, sagt Mahmood Amiri, der neben seiner Frau Nurzia und ihren zwei Söhnen Ferdis und Ferdaus auf dem Sofa sitzt. So sehe es aus in Afghanistan, seiner Heimat. „Es ist viel kaputt“, sagt er. Die Familie lebte früher in Herat, der zweitgrößten Stadt Afghanistans. Wie vieles dort habe ihr Haus Schaden genommen, als Kämpfer der islamistischen Taliban eine Handgranate in den Innenhof warfen. „Danach beschlossen wir, unsere Heimat zu verlassen“, erzählt der 27-Jährige. Ende 2015 flüchteten die Amiris nach Deutschland. Ob sie jedoch bleiben können, ist unsicher – im Dezember 2016 erhielten sie einen Abschiebebescheid. Da Familie Amiri gegen den Bescheid geklagt hat, besteht derzeit keine Ausreisefrist. Sollte die Klage jedoch abgewiesen werden, müssen sie innerhalb von 30 Tagen in ihre Heimat zurückkehren.

Ob Afghanistan ein sicheres Herkunftsland ist, wird aktuell politisch heftig diskutiert. Grundsätzlich regelt das deutsche Asylrecht, dass Menschen nicht in ihre Heimat zurückgeschickt werden dürfen, wenn dort Krieg herrscht und Leib oder Leben bedroht sind. Obwohl die afghanische Verfassung als eine der demokratischsten der islamischen Welt gilt, leidet das Land auch heute noch unter den Folgen eines jahrzehntelangen Kriegs und rivalisierenden Gruppen. Die Bundesregierung hält einige Gebiete in Afghanistan trotzdem für sicher – ohne bislang benannt zu haben, welche das sind. Linke und Grüne im Bundestag sowie zahlreiche Organisationen, die sich um Flüchtlinge kümmern, stellen dagegen infrage, dass das der Fall ist.

Übers Telefon dolmetscht ein Freund aus Berlin

Dazu gehört auch der Potsdamer Verein MitMachMusik, der Flüchtlingskindern das Musizieren auf Instrumenten beibringt. Mahmood Amiri ist hier als Trommler dabei. Marie Kogge, die bei MitMachMusik unterrichtet, sitzt an diesem Tag auf dem Sofa bei den Amiris, um dabei zu helfen, dass sie ihre Geschichte erzählen können. Mahmood Amiri spricht zwar schon ein wenig Deutsch, doch für komplexe Sachverhalte reicht es noch nicht. Übers Telefon dolmetscht deshalb auch ein Freund aus Berlin. Dass das Gespräch in einer eigenen Mietwohnung stattfinden kann und nicht auf dem Brauhausberg in der Flüchtlingsunterkunft, in der die Familie vorher untergebracht war, geht ebenfalls auf den Verein zurück. Peter Kuttner, Schatzmeister von MitMachMusik e. V., mietet mit dem Verein Syrische Flüchtlingspaten Wohnungen an; in einer wohnen die Amiris.

In Afghanistan sei er Mathematiklehrer gewesen, erzählt Mahmood Amiri. Weil sein Vater liberal und als Demokrat politisch aktiv gewesen sei, hätten ihn Kämpfer der Taliban entführt und enthauptet. Das war 2015. Der Versuch, gemeinsam mit seinen Brüdern in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden die Täter ausfindig zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen, habe schließlich zu massiver Bedrohung durch die Taliban geführt. „Sie haben uns klar gesagt: Wenn ihr weitermacht, werden wir euch töten.“ Und dann kam der Tag, an dem die Handgranate im Innenhof explodierte und Taliban-Kämpfer aus Kalaschnikows auf sie schossen. Seine Frau sei hochschwanger gewesen und habe ihr Kind verloren, so sehr war sie in Angst. Zwei Tage später seien sie geflüchtet. „Wir waren nicht mehr sicher“, sagt Mahmood Amiri. Nur das sei ausschlaggebend für den Entschluss gewesen, ihre Existenz in Herat aufzugeben. Gewalt an sich sei schließlich leider Alltag in Afghanistan, sagt er.

Pro Person 3800 Euro für den Schlepper

Für die Flucht habe der Familienvater 3800 Euro pro Person an Schlepper gezahlt – also für sich, seine Frau und Kinder, seinen jüngeren Bruder und einen weiteren Bruder mit Frau und Kindern. Von den Ersparnissen der Familie ist nichts mehr übrig. Traurig wird er, als er erzählt, dass er seinen 16-jährigen Bruder und seine an einem Hirntumor erkrankte Mutter im Iran verloren habe – sie seien getrennt worden und konnten nicht weiterreisen, weil der Kontakt zu den Schleppern abgerissen sei. Sorgen bereite ihm außerdem der Zustand des dreijährigen Ferdis: „Er hustet ununterbrochen in der Nacht.“ Das Kind sei traumatisiert, habe der Kinderarzt diagnostiziert.

Um den Amiris zu helfen, hat der Verein MitMachMusik noch im Dezember 2016 Matthias Lehnert eingeschaltet. Der auf Bleiberecht spezialisierte Rechtsanwalt habe beim Verwaltungsgericht Klage eingereicht mit dem Ziel, dass Familie Amiri bleiben kann. Dafür hat Mahmood Amiri auch ihm die Gründe für ihre Flucht geschildert. Entscheidend ist die Begründung der Klage: Sie stützt sie sich auf den Taliban-Anschlag mit der Handgranate und die Verfolgung, die die Familie in Afghanistan haben erleiden müssen. Aus Sicht Lehnerts sei das Leben in Afghanistan zudem im Allgemeinen gefährlich und das Überleben schwierig.

Hat der Bamf-Dolmetscher falsch übersetzt?

Eine konkrete Aussage zu den Chancen auf ein positives Urteil für die Amiris will Lehnert nicht machen. Es gebe noch kaum relevante verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zu Abschiebungen nach Afghanistan. Dass Familie Amiri angeschoben werden soll, habe einen konkreten Grund: Als Mahmood Amiri im Dezember 2015 zu seiner Flucht behördlich angehört wurde, seien seine Schilderungen nicht korrekt ins Deutsche übersetzt worden. Im Anhörungsprotokoll, das Lehnert vorliege, seien die Gewalterfahrungen und Anschläge auf das Haus der Amiris banalisiert und sogar mit Unwahrheiten versetzt worden. So heißt es etwa, dass beim Anschlag die Polizei gekommen und anschließend „alles wieder in Ordnung gewesen sei“. Das entspreche nicht der Wahrheit, sagt der Anwalt. „Die Dolmetscher beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind nicht selten schlecht ausgebildet“, so Lehnert. Das hänge vor allem damit zusammen, dass das Bundesamt keine Ausbildung verlange und schlecht bezahle.

„Wenn man das alles hört, ist es doch sarkastisch, dass im Abschiebebescheid die Rede davon ist, dass ,nur’ 20 000 Menschen in Afghanistan mit dem Leben bedroht seien“, meint Marie Kogge, die Unterstützen aus dem Musikprojekt. „Und es wird Zeit, dass auch endlich die Integration im Asylverfahren zählt.“ Mahmood Amiri wünsche sich sehr, sich in die Gesellschaft einzubringen. Andere Flüchtlinge würde er gern in Mathematik unterrichten. Auch Nurzia Amiri hat Pläne: „Ich möchte Kosmetikerin werden“, sagt sie. Für Afghanistan wünscht sich die Familie endlich Frieden. Doch dass sich die Situation bald ändern wird, und somit auch die Bilder von zerstörten Häusern im afghanischen Fernsehen, das glauben sie nicht. Dafür seien die politischen Umstände zu kompliziert.

Hintergrund: Afghanische Flüchtlinge in Brandenburg

Nach Angaben des brandenburgischen Innenministeriums lebten zum 28. Februar dieses Jahres 6878 afghanische Staatsbürger in Brandenburg, davon 466 in Potsdam. 2015 waren es brandenburgweit noch 1268. Darüber, wie viele von den in Brandenburg lebenden Afghanen aktuell einen Abschiebebescheid erhalten haben, liegen dem Ministerium jedoch keine Zahlen vor.

Sogenannte Geduldete, also Ausreisepflichtige, bei denen eine Abschiebung ausgesetzt ist, gab es bis 28. Februar insgesamt 240, davon 17 in Potsdam. In den vergangenen zwei Jahren wurde durch die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt kein Afghane aus Potsdam nach Afghanistan abgeschoben, aus Brandenburg in 2016 hingegen 14 Personen.

Nach Ansicht der Bundesregierung gibt es in Afghanistan Gebiete, die sicher genug für Abschiebungen sind. Die Landesregierung von Schleswig-Holstein bezweifelt dies und hat Abschiebungen nach Afghanistan vorläufig ausgesetzt. Entsprechende Maßnahmen sind in Brandenburg derzeit nicht geplant. Aus dem brandenburgischen Innenministerium hieß es dazu: „Die Einschätzung der Lage in den einzelnen Herkunftsländern – also auch für Afghanistan – erfolgt durch das Auswärtige Amt sowie das Bundesinnenministerium.“

Anfang der Woche war bekannt geworden, dass ein afghanischer Flüchtling aus Brandenburg an der Havel zusammen mit 14 weiteren Flüchtlingen aus anderen Bundesländern nach Afghanistan abgeschoben wurde. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Ursula Nonnemacher, kündigte gestern zu dem Fall eine parlamentarische Anfrage in der Landtagssitzung in der kommenden Woche an.

„In Afghanistan herrscht ein brutaler Bürgerkrieg. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR hat die Sicherheitslage in ganz Afghanistan als prekär eingestuft. Abschiebungen nach Afghanistan sind angesichts dieser Situation nicht zu verantworten“, so Nonnemacher. 

Andrea Lütkewitz

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