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Homepage: Gestern auf der Wiese

Erste Festivaltage der „Sehsüchte“ im begrünten Thalia-Kino brachten Überraschungen und Sozialkritik

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Erste Festivaltage der „Sehsüchte“ im begrünten Thalia-Kino brachten Überraschungen und Sozialkritik Von Jan Kixmüller „Wir sitzen auf der Wiese“, ruft ein Mädchen in ihre Handy. „Nein, nicht im Regen, der Rasen ist im Kino!“ Am Mittwoch ist der Rollrasen im Kinofoyer des Thalia schon sichtlich abgelaufen. Aber noch grün. Und auch die kleinen Blümchen scheint nachts jemand gegossen zu haben. Ansonsten ist das Kino nachmittags noch spärlich gefüllt. Was sich zum Abend noch ändern wird. Vor dem Kino hockt ein Chinese und isst einen Döner. Seine typische Hockstellung wirkt außerhalb einer chinesischen Suppenküche etwas ulkig. Aber souverän. Draußen tobt mittlerweile ein Gewitter. Ein Grund mehr in die dunklen Hallen des Kinos abzutauchen. Sozialkritisches ist in diesem Jahr bei dem Studentenfilmfestival stark vertreten. Schon zur Eröffnung hatte „La Fiesta Ajena“ (Andrea Eduardina Casar/Mexiko) das Publikum aufgewühlt. Die kleine Angele freut sich auf die Geburtstagsfeier von Stephanie, in deren Haus ihre Mutter als Haushälterin arbeitet. Am Schluss bedankt sich Stephanies Mutter für Angeles Hilfe und hält ihre ein paar Banknoten hin: Mit einem Schlag wird dem Mädchen klar, dass sie am unteren Ende der Gesellschaft lebt. In „Tuesday“ (David Robertson/London) verfolgen wir zwei pubertierende Jungs, die sich ihre Langweile mit gewalttätigen Spielen vertreiben. „Wir leben im 21. Jahrhundert“ (Claudia Indenhock/Köln) zeigt dann Hauptschüler auf ihrem steinigen Weg zum Betriebspraktikum. Laut Jury sind die Dokumentarfilme diesem Jahr besonders stark. Wovon man bei diesem Film aber noch nicht viel merkt. Im Foyer liegen dann die ersten „Sehfrüchte“ aus, die Festivalzeitung der Medienwissenschaftler. Hier erfahren wir nicht nur, dass Jurymitglied Ulrich Matthes süchtig nach Tomatensalat und Zeitungen ist. Auch bekommt man erste Hinweise auf den eigentlichen Zweck des Rollrasens: Frühlingsgefühle, Hormonschub! Vor Kino 1 warten indes Nachzügler zum Filmblock „Entweder oder“. Von Hormonen ist hier nicht viel zu spüren, eher Aggressionen. Nebenbei ist zu erfahren, dass der österreichische Film „Echos“ gar nicht in läuft, da er demnächst in Cannes Premiere hat. Schade, die Geschichte von drei Freunden, die gemeinsam aus dem Leben scheiden wollen, wäre interessant gewesen. Zumal ihnen das Vorhaben außer Kontrolle gerät. Überraschendes gibt es immer wieder bei den „Sehsüchten“. Die beiden Männer in „Transfamily“ (Sabine Bernardi/Köln) etwa, die einst als Frauen geboren wurden. Unglaublich, dass diese kräftigen Typen mit Bart und tiefer Stimme einmal weiblich waren. Schon als Kinder hatten sie darunter gelitten, im „falschen“ Körper zu stecken. Mit Hormonen und der Brust-OP wurde der Geschlechtswechsel möglich. Bis auf ein kleines Detail. Bei vielen Filmen fällt ihr offenes Ende auf. Ob sich Maya und Tamar noch einmal näher kommen, ob sich Michele und die Bedienung aus dem Café wieder treffen oder was aus der kleinen Ahlam wird, die davon träumt, den Nil von oben zu sehen – wir wissen es nicht. Am Ende bleibt nur, sich auf den Rollrasen zu legen und die Gedanken schweifen zu lassen. Darüber etwa, dass „Wackelkontakt“ (Eike Swoboda/Hamburg) ein wunderbarer Film ist. Der verschrobene Falco und die etwas überdrehte Anja kommen sich trotz ihrer Eigenwilligkeit näher. Jetzt können sie gemeinsam die Leute in der U-Bahn fotografieren und belauschen. Filme heute und morgen ab 15 Uhr im Thalia-Kino, Fokus China, jeweils 17 Uhr Kino 2. Party heute ab 23 Uhr im „Gewächshaus“ der HFF, Shuttle ab Kino.

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