Landeshauptstadt: Gezielt zum Vollrausch
Suchtwoche: Alkoholkonsum unter Jugendlichen gestiegen/Netzwerk gegen „Kampftrinken“ geplant
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4000 Potsdamer gehen missbräuchlich mit Alkohol um, schätzungsweise 2300 sind sogar alkoholabhängig. Davon gehen die AWO-Suchtberatung und die Suchtpräventionsfachstelle Chill out e.V. aus. Gestern Nachmittag informierten beide Einrichtungen in der Brandenburger Straße über die Gefahren des Alkoholkonsums. Anlass war die bundesweite Aktionswoche, die die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) organisiert.
Bei der Versorgung Alkoholkranker steht Potsdam denkbar schlecht da, sagte Rüdiger Schmolke, der Leiter von Chill Out. Verglichen mit den Angeboten im Bereich der illegalen Drogen sei das Hilfesystem für Alkoholsüchtige „am schlechtesten“, sagte Schmolke gegenüber den PNN: „Es fehlt an allem.“ So gebe es in der Landeshauptstadt keine Möglichkeit für eine stationäre Entwöhnungstherapie, bestätigte auch AWO-Suchttherapeutin Anne Eckert. Im Ernst-von-Bergmann-Klinikum werde lediglich Alkoholentzug durchgeführt. Dann ist das Warten auf einen Therapieplatz angesagt – alleine. Denn Überbrückungsangebote gebe es nicht, so Schmolke. Und das, obwohl die Rückfallgefahr sehr hoch sei.
Nach Schmolkes Erfahrung wird unter Potsdamer Jugendlichen das so genannte „Binge Drinking“ – das gezielte Besaufen – immer beliebter. Diese Entwicklung passt in den deutschlandweiten Trend des steigenden Alkoholkonsums unter Jugendlichen (siehe Kaste): In einer aktuellen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gab die Hälfte aller Jugendlichen zwischen 16 und 17 Jahre an, im vergangenen Monat an einem Tag fünf oder mehr alkoholische Getränke getrunken zu haben. Unter den Jungen dieser Altersgruppe waren es sogar 63 Prozent.
Gegen übermäßigen Alkoholkonsum unter Jugendlichen will Potsdams Sozialbeigeordnete Elona Müller nun den Schutz von Kindern über den individuellen Datenschutz stellen. Dies machte sie gegenüber den PNN auf Anfrage deutlich: „Es gibt in unserer Stadt unter 18-Jährige, die schon mehrmals mit Alkoholvergiftung im Krankenhaus lagen – in solchen Fällen sollte das Jugendamt unbedingt informiert werden.“ Das Ernst-von-Bergmann-Klinikum konnte dazu auf Anfrage keine Zahlen nennen.
Um Wege gegen „Kampftrinken“ und regelmäßigen Alkoholkonsum zu diskutieren, werde zurzeit ein Netzwerk aus verschiedensten Institutionen gegründet, sagte Müller. Feuerwehr und Polizei, Gesundheitsamt und Suchtberatungsstellen, das Klinikum und weitere Einrichtungen säßen an einem Tisch, so die Sozialbeigeordnete: „Dieses Problem lässt sich nicht allein lösen, sondern nur im Verbund.“ Müller will mit der Offensive vor allem die Eltern der durch den ungehemmten Suff gefährdeten Jugendlichen erreichen: Denn oftmals würden sie aus Scham über Alkohol-Probleme schweigen, aber auch nicht wissen, wo sie sich Hilfe holen könnten: „Da müssen wir offensiv das Gespräch suchen.“
Gleichzeitig werde in dem neuen Netzwerk auch über die Qualifizierung von Mitarbeitern in Jugendclubs oder in Schulen geredet. Der Präventionsverein Chill Out e.V. stünde für diese Aufgabe zur Verfügung. „Gerade Einrichtungen mit vielen Jugendlichen müssen sich ganz aktiv mit dem Thema Alkohol auseinandersetzen“, sagte Müller. So müssten Lehrer ihre Schüler ansprechen, wenn diese bereits während des Unterrichts nach Alkohol riechen würden – und später auch die Eltern solcher Teenager davon in Kenntnis setzen. „Lieber wir warnen einmal zu viel vor den Problemen, die durch Alkohol entstehen können, als einmal zu wenig“, so Müller.
Sie verwies auch auf andere Schritte der Stadt gegen das „Komatrinken“. So sei die samstägliche Flatrate-Party im ArtSpeicher in der Zeppelinstraße aus dem Programm genommen worden – nachdem die Verwaltung ein Verbot ausgesprochen habe, so die Beigeordnete: „Unsere Mitarbeiter recherchieren regelmäßig im Internet, ob nicht irgendwo ähnliche öffentliche Partys stattfinden“. Dann würde wieder eingegriffen.
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