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Kolumne PYAnissimo: Glücksdialog mit Wachschutz

Jetzt wird doch noch alles gut. Auch die Bundesregierung startet einen Bürgerdialog, um herauszukriegen, was den Bürger glücklich macht.

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Jetzt wird doch noch alles gut. Auch die Bundesregierung startet einen Bürgerdialog, um herauszukriegen, was den Bürger glücklich macht. Mal abgesehen davon, dass ich mich frage, was die Regierung denn bisher so gemacht hat, um im Sinne des Wählers zu arbeiten, finde ich das schon toll. Es ist aber auch ein verflixt sperriges Thema. Ich weiß ja selber bisweilen nicht, was mir zum Glück fehlt. „Wenn ich mir was wünschen dürfte, käm ich in Verlegenheit, was ich mir denn wünschen sollte, eine schlimme oder gute Zeit“, schrieb Friedrich Hollaender 1931 und Marlene Dietrich sang es so schön lasziv-melancholisch.

Die Potsdamer, die sich an die Bombennacht am 14. April 1945 und die Jahre danach erinnern, schreiben von dem unerhörten Glück, überlebt zu haben. Manche sogar von einer im Rückblick „unbeschwerten Zeit“, trotz aller Entbehrungen, Hunger und Kälte, Läuse und Krätze. Glück war damals auch, ein Fleckchen zu haben, auf dem man Gemüse ziehen konnte. Auf dem Platz der Einheit wurde gegärtnert, die ganze Freundschaftsinsel wurde zum Schrebergarten – Blindgänger hin oder her.

Heute geht es uns besser, das Gemüse kommt blitzeblank aus der Folienverpackung, die Apple-Watch zeigt an, wenn es Zeit ist, was zu essen, und bei Tchibo gibt es nicht nur Duschvorhänge, sondern auch Trauringe. Zum Pfund Arabica kann man noch schnell die Klunker fürs Leben mitnehmen.

Das Glück offenbart sich manchmal eben ganz überraschend. In der Osternacht sind wir einfach mal so zum Flughafen rausgefahren. Also zum neuen. Deutschlands berühmteste Baustelle lag friedlich unter dem Vollmond. Wirklich schön, dachte ich gerührt – wie andere auch, die sich dort mit uns tummelten. Der BER, das muss mal gesagt werden, wird jetzt schon super von der Bevölkerung angenommen. Hobby-Fotografen wanderten beseelt mit Stativen über den leeren Aufmarschplatz vor dem Hauptgebäude, Grüppchen von Jugendlichen zischten entspannt ein paar Bier und verschwanden irgendwann per Autokorso in die stille Nacht. Gegenüber hoppelte ein Häschen über den Parkplatz, ab und zu leuchteten Schönefeld-Flieger am Nachthimmel. Was für ein Idyll.

Ich glaube, dass die Abkürzung BER für Bürger-Erholungs-Ruheoase steht. In dieser großen verkehrsberuhigten Zone können die Kinder gefahrlos Radfahren lernen, skaten oder Inliner fahren. Drachensteigen ginge auch gut, dann wäre zumindest schon mal etwas in der Luft. Und Auto-Fahranfänger können auf dem wild verzweigten Netz aus Zufahrtsstraßen, Auf- und Abfahrten, Loops und Rampen reichlich Fahrpraxis erwerben.

In der Osternacht kam ab und zu auch eine Polizeistreife vorbei, das verstärkte unser aller Sicherheitsgefühl, und der Wachschutz fuhr regelmäßig das Parkhaus von oben nach unten ab und testete die sensorgesteuerte Beleuchtung. Der gläserne Terminal lag da wie ein Schneewittchensarg, zwei Wachleute saßen dort hinterm Tresen und passten auf, dass niemand eincheckt.

Bundespolitiker oder sonstige Bürgerdialogpartner waren keine zu sehen. Vielleicht war das gut so. Möglicherweise wäre der Eindruck entstanden, alles kann so nett bleiben am BER. Neenee! Würstchenbude, Eismann, Liegestühle, Buddelkasten und Toilette mit Wickeltisch dürfen zum Glück noch dazukommen.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

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