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Von Kay Grimmer: Grüne Oase mit kurzen Wegen

Die 33-jährige Susanne Kliche lebt mit ihrer Tochter Pauline seit 2003 in der Charlottenstraße: Sie schwören auf das Potsdamer Zentrum, nur der viele Verkehr auf dem Schulweg stört beide

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Die Osterwoche hat begonnen. Noch am frühen Sonntagabend hat Susanne Kliche mit Pauline Eier ausgeblasen und bemalt. „Solche Traditionen sind schon wichtig“, sagt Susanne Kliche. Auch, wenn es am Sonntag etwas spät wurde und Pauline freimütig zugibt: „Mama hat besser gemalt.“ Trotzdem, für einen eigenen Osterstrauß hat es bei der Achtjährigen gereicht. „Den habe ich ganz allein geschmückt“, ist das fröhliche Kind stolz.

Jetzt am frühen Montagmorgen steht der Osterstrauß allein im Wohnzimmer der Drei-Zimmer-Wohnung in der Potsdamer Innenstadt. Zwei Tage Schule sind es noch, ehe die Ferien beginnen. Deshalb heißt es noch einmal Alltag für die kleine Familie. Susanne Kliche ist alleinerziehend. Seit 2003 lebt die 33-Jährige mit ihrer Tochter in der Charlottenstraße, in einem sanierten 50er-Jahre Mehrfamilienhaus. „Mit der Wohnung hatten wir richtiges Glück“, konstatiert Susanne Kliche. Denn als die beiden vor sieben Jahren eine bezahlbare Wohnung benötigten, erlebte Susanne Kliche zuerst das bekannte Potsdamer Dilemma: Es gab kaum welche. „Da bin ich dann einfach in die Geschäftsstellen der Genossenschaften gelaufen.“ Bei der Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“ wurde sie überraschend direkt zur Sachbearbeiterin für die Innenstadt gebracht. Der Zufall wollte es, dass just die Wohnung in der Charlottenstraße frei geworden war. „Die Nachbarn sind toll, sehr kinderlieb“, erzählt Susanne Kliche. Wenn Pauline plappernd durchs Treppenhaus läuft, freuen sich die meist älteren Mitbewohner. „Wenn Freunde oder Bekannte unsere Wohnumgebung sehen, schwärmen sie oft von der grünen Oase in Potsdams Mitte“, lässt Susanne Kliche das Lob über das Wohnumfeld andere sagen. Vom Wohnzimmer sieht man die Nikolaikirche, aus der Küche St. Peter und Paul, hinter dem Haus liegt ein grünes Band. Der Straßenlärm dringt nicht bis ins oberste Stockwerk, wo die kleine Familie lebt.

Dort wird am Morgen das Frühstück zelebriert. Der gemeinsame Tagesstart von Mutter und Tochter ist ebenso Tradition wie danach das Zähneputzen von Pauline, während Mama Susanne das Pausenbrot für die Tochter macht. Mit einem Blick aus dem Fenster kontrolliert sie die Zeit. Die Turmuhr der Kirche St. Peter und Paul zeigt kurz vor halb acht. Kurz springt Pauline in ihr Zimmer und deckt ihre Kuscheltiere zu. Dann ist Aufbruchszeit in den Schul- und Arbeitstag.

Susanne Kliche arbeitet 25 Stunden in der Woche im Werner-Alfred-Bad beim Gesundheitssport-Anbieter „Club Aktiv“ im Büro. „Als Pauline kleiner war, wollte ich mehr Zeit mit ihr verbringen“, sagt Susanne Kliche. Mittlerweile wäre sie auch bereit, mehr zu arbeiten. „Aber es ist auch so okay“, sagt sie rasch. Das Gehalt ist nicht üppig, aber „es reicht“, meint sie. Auch dank des staatlichen Wohngelds kommt sie über die Runden. Mehr Unterstützung erhält die 33-jährige Mutter nicht. „Da machen sich mehr Kindergeld oder andere Erhöhungen sofort bemerkbar, so klein sie auch sind“, sagt Susanne Kliche. Große Sprünge kann die kleine Familie trotz allem nicht machen. „Ich spare schon seit Monaten für den Sommerurlaub.“ Eine Woche Ostsee ist geplant, das Geld für den Ferienplatz ist schon zusammen. „Aber in der Wohnung darf nichts kaputtgehen, nicht die Waschmaschine, nicht der Fernseher, nicht der Computer.“ Und ohne die Hilfe der Familie geht es auch nicht. So zahlte Susanne Kliches Mutter die Genossenschaftsanteile für die Wohnung. Ist Potsdam für Familien teuer? „Ach, ich weiß nicht, anderswo müssen Dampferfahrten oder Kinobesuche auch bezahlt werden“, meint Susanne Kliche.

Die zwei schwören auf ihren Kiez am Französischen Quartier. „Ich wollte ins Zentrum ziehen, auch weil wir kein Auto haben. Da sind kurze Wege wichtig“, sagt Susanne Kliche. Und eigentlich ist alles in Laufnähe. Der Supermarkt ist keine fünf Minuten entfernt, der Platz der Einheit mit den vielen Bus- und Bahnlinien ebenfalls, der Kinderarzt über die Straße. Auch die Wege zur Schule, zum Ballett und zur Musikschule „Johann Sebastian Bach“ – Paulines Strecken – sind zu bewältigen.

Für ihre Schule, die Rosa-Luxemburg- Grundschule in der Burgstraße, gibt Pauline nur ein Zeichen: Doppeldaumen nach oben. „Am meisten freue ich mich auf den Montag, da haben wir zwei Stunden Kunst. Und am Nachmittag darf ich noch in die Musikschule“, sagt die Drittklässlerin mit ehrlicher Freude. Susanne Kliche ergänzt: „Auch da hatten wir großes Glück. Die Lehrerinnen sind sehr gut, außerdem sind in Paulines Klasse sechs Kinder, die sie schon aus dem Kindergarten kennt.“ Auch Paulines beste Freundin Moana geht in ihre Klasse. Beide besuchen auch den Hort. Susanne Kliche hätte zwar Zeit, ihr Kind nach der Schule selbst zu betreuen. „Aber ich finde es wichtig, dass Pauline mit Gleichaltrigen in Kontakt bleibt.“ Außerdem: „Ich bin gern ein Schlaubiber“, bestätigt Pauline. Ihre Klasse trägt diesen Namen. Auch nach Schule und Hort trifft sich Pauline mit Freunden, am liebsten bei Kliches hinter dem Haus auf dem Spielplatz – einer von Paulines Lieblingsorten.

Den lassen die zwei allerdings am Montagmorgen links liegen. Susanne Kliche bringt ihre Tochter nach wie vor zur Schule und holt sie am Nachmittag ab. „Der Verkehr auf der Französischen Straße hat stark zugenommen. Und hier gibt es keine Ampel“, begründet sie die tägliche Begleitung. Und auch Pauline kritisiert den Straßenverkehr im Potsdamer Zentrum. „Zu viele Autos, zu viele große Straßen, zu wenig Ampeln“, zählt sie auf. Sicher sei das für Kinder nicht. „Da muss ich ganz schön aufpassen.“

Trotzdem, im Vergleich zu anderen Orten wie Berlin sei Potsdam wesentlich familienfreundlicher. „Ich wollte nicht, dass Pauline in einem dunklen Seitenflügel an der lauten Schönhauser Straße im Prenzlauer Berg aufwächst“, sagt Susanne Kliche, die mehrere Jahre dort gelebt hat. Dazu kommt wohl auch, dass die gebürtige Michendorferin Potsdam selbst sehr gut kennt, Freunde und Familie in der Stadt leben und schnell zur Stelle sein können, wenn Unterstützung vonnöten ist. Selbst Paulines Vater zog als Berliner in die märkische Landeshauptstadt. Der Kontakt zu seiner Tochter besteht regelmäßig, neben dem Unterhalt finanziert er auch Paulines Ballettunterricht. „Allein könnte ich das alles Pauline nicht bieten“, sagt Susanne Kliche offen.

Und auch bei anderen Aktivitäten, die Pauline betreffen, muss die 33-Jährige genau rechnen. Beispiel Klassenfahrt: „Für mich stellt sich schon die Frage, woher ich einfach so mal rund 100 Euro für die Fahrt nehmen soll“, gesteht Susanne Kliche. Natürlich habe die Lehrerin in einer Versammlung gefragt, ob alle mit dem Preis einverstanden seien. „Vor allen Eltern gibt man sich diese Blöße dann auch nicht“, gesteht Susanne Kliche. Mittlerweile hat sie erfahren, dass Fonds in bestimmten Fällen Unterstützungen geben. „Doch wer sich nicht selbst kümmert, erfährt davon nichts.“ Außerdem stehe oft dabei, dass man Nachweise bringen müsse. „Dann denke ich, dass diese Hilfen nur Hartz IV–Empfänger bekommen. Aber ich erhalte nur Wohngeld.“

Pauline bemerkt von diesen Gedanken ihrer Mutter nicht viel. „Ihr geht es gut, wir kommen über die Runden“, glaubt die Mutter. „Außerdem haben sich meine Relationen in den vergangenen Monaten verschoben.“ Ein Schicksalsschlag traf Susanne Kliches Familie: ihre Schwägerin verstarb nach langer Krankheit, Susannes Bruder muss nun allein mit zwei Kindern durchs Leben. „Da wird vieles unwichtig, wenn man solch ein Schicksal erlebt“, hat Susanne Kliche für sich erkannt. „Gesundheit, Pauline fröhlich zu sehen, da zu sein für die Familie – das ist doch das Entscheidende.“

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