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Potsdam: Grüßen war im Konsum verboten

Wie lebte es sich neben dem KGB-Städtchen? Ehemalige Anwohner und Potsdams ehemaliger Bürgermeister Horst Gramlich erzählten.

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Es war die Rede von selbst gebackenem Kuchen, Einkaufen im Konsum, von einer wunderbaren Wildnis, in der die Kinder so gern spielten. Die Berichte über DDR-Alltag unmittelbar neben dem streng abgeriegelten Areal des KGB sollten seltene und intime Einblicke vermitteln. Denn während die Masse der Potsdamer um das Areal hinter der Mauer, zwischen Neuem Garten und Pfingstberg, zu DDR-Zeiten einen großen Bogen machte oder zumindest keine Fragen stellte, gab es in den angrenzenden Straßen noch Potsdamer Anwohner, die täglich mit den fremden Nachbarn konfrontiert wurden.

Zum Podiumsgespräch zum Thema „Die Stadt und ihr Städtchen. Der sowjetische Geheimdienst in Potsdam“ in der Gedenkstätte Leistikowstaße war am Donnerstagabend neben ehemaligen Anwohnern auch Potsdams erster Nachwende-Oberbürgermeister Horst Gramlich (SPD) geladen. Während seiner Amtszeit zogen die Sowjets nach fast 50 Jahren endlich ab und hinterließen ein weiteres Quartier, das dringend sanierungsbedürftig war.

Heute ist die Nauener Vorstadt eines der charmantesten Wohnviertel der Stadt. An die Besatzer erinnert kaum etwas. Deshalb soll zum zehnjährigen Jahrestag ihres Abzugs im August 2014 ein Erinnerungspfad eingerichtet werden. Weiterhin wird mit besonderen Veranstaltungen dieses Ortes gedacht.

Was also wusste man in Potsdam von der Welt hinter Mauer und Stacheldraht? Gab es Begegnungen, wie nahm man sich gegenseitig wahr? Marie-Luise Schalinski und Christa Dorgerloh kamen damals als Pfarrersfrauen, ihre Erinnerungen aus den 70er- und 80er-Jahren an ein relativ unbeschwertes, idyllisches Dasein im sicher eingezäunten Garten deckten sich. Man nahm es hin, hieß es, und warf den sowjetischen Soldaten hin und wieder Äpfel über den Zaun. „Sie waren so jung, sie taten mir leid“, sagte Christa Dorgerloh. Man sah die Offiziersfrauen im Konsum, dem örtlichen Lebensmittelladen, man schaute, man grüßte. Doch private Kontakte gab es kaum, im Gegenteil: Einmal habe nach einem Einkauf plötzlich ein Soldat vor der Haustür gestanden und mahnte, dass sie sich zurückzuhalten hätten, erzählt Christa Dorgerloh.

Pfarrersfamilie Schalinski freundete sich dennoch mit „ihrem“ Nikolai an, man besuchte sich, feierte gemeinsam Geburtstage, lernte Russisch, backte füreinander Kuchen. Passiert sei nie etwas, so Marie-Luise Schalinski, damals Krankenschwester im Potsdamer Bezirkskrankenhaus. Aber man wusste, dass es anderswo Probleme, auch Vergewaltigungen, gab, sagte sie. Auch Gemeindemitglieder der Pfingstkirche waren ängstlich. Ihr Mann beleuchtete schließlich mit Lampen Marke Eigenbau die dunklen Seitenstraßen. Christa Dorgerloh erinnerte sich an die eigene Angst, als ein Kind verschwand – bis es wohlbehalten bei seinen russischen Spielkameraden gefunden wurde.

Horst Gramlich versuchte am Donnerstag, dem Erinnern eine politische Dimension zu verleihen. „Ganz offensichtlich waren die Rusen hier, um strategisch auf vorderstem Posten zu stehen, sollte es brenzlig werden“, so Gramlich, und um sicherzustellen, dass in der DDR nichts passierte, was russischen Interessen widerspräche. „Das System sollte aufrecht erhalten werden“, sagte er, „als sie weg waren, fühlte ich mich frei.“

Noch bevor sie weg waren, kamen auch Neu-Potsdamer, die Häuser im Kiez kauften, selbst wenn sie oft die Katze im Sack erwarben, weil sie ihr neues Eigentum erstmals nach 1994 besichtigen konnten. Vivien Rheinheimer, die aus Venezuela nach Potsdam ziehen wollte, kletterte damals sogar auf einen Schuppen an der Mauer im Neuen Garten, um zumindest einen Blick auf ihr Haus zu werfen. Steffi Pyanoe

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