Landeshauptstadt: Handgranaten als Schlusspunkt
NS-Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes ist eng mit Babelsberg verbunden
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In der Nacht zum 23. April 1945 erschüttert eine Detonation die Villa in der Babelsberger Straße der SA 59 (heute Karl-Marx-Straße). Im Keller des Gebäudes hat sich Dr. Ernst-Robert Grawitz mit zwei Handgranaten in die Luft gesprengt. Dabei nimmt er seine Frau und seine Kinder mit in den Tod. Auf diese Weise entzieht sich der geschäftsführende Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Generalleutnant und Reichsarzt der SS der Verantwortung für seine Gräueltaten, so der Beteiligung am Euthanasie-Programm zur Auslöschung „unwerten Lebens“ und an medizinischen Versuchen mit KZ-Häftlingen. Das dann in den 1990er Jahren sanierte und von Privathand genutzte Gebäude wird beschädigt, die Explosion schleudert offensichtlich zur Vernichtung bestimmte Geheimakten in den Garten, wo sie später geborgen werden. Die Leichen von Grawitz und seiner Familie sind so verstümmelt, dass sich zur Identifizierung herangezogene DRK-Mitarbeiterinnen entsetzt abwenden. Der Keller wird zugeschüttet. Grawitz soll auf dem Babelsberger Goethefriedhof bestattet worden sein, ein Grabmal gibt es für ihn und seine Familie dort aber nicht.
Im Nationalsozialismus war die Mehrzahl der Leitungspositionen im DRK mit SS-Leuten besetzt worden. Gleichzeitig blieb es jedoch als Teil der von dem Franzosen Henri Dunant 1864 gegründeten internationalen Hilfsorganisation formell selbständig und unterstand deren humanitären Prinzipien. Dies stellte das nationalsozialistische Regime vor schwierige Probleme, da es an den Auslandsbeziehungen des DRK interessiert war. Die unheilige Personalunion SS - DRK hat es Birgitt Morgenbrod und Stephanie Merkenich nicht leicht gemacht, die Rolle des Deutschen Roten Kreuzes unter der NS-Diktatur klarzustellen. Die beiden „unabhängigen Historikerinnen“, wie der heutige DRK-Präsident Rudolf Seiters betont, legten gestern in Berlin die Ergebnisse ihrer vierjährigen Forschungen in Buchform vor. Immerhin haben sie in den Quellen keine Hinweise entdecken können, dass das Rote Kreuz als Organisation an der Judenvernichtung beteiligt oder in den Konzentrationslagern eingesetzt war. Doch als Hitler an die Macht kam, unterwarf es sich devot dem neuen „Führer“. Die Tätigkeit wurde weitgehend auf den Kriegssanitätsdienst reduziert. Immerhin nahmen dies die, vor allem in Potsdam, adligen und großbürgerlichen Damen der Vaterländischen Frauenvereine der DRK, die sich der Wohlfahrtsarbeit für ärmere Bevölkerungsschichten widmeten, nicht so ohne weiteres hin. Es kostete die Nazis erhebliche Anstrengungen, ehe sie die Führerin der NS-Frauenschaft, Gertrud Scholtz-Klink, auch als Chefin des DRK-Reichsfrauenvereins durchsetzten.
Das war aber auch alles an Widerstand, was die beiden Historikerinnen auffinden konnten. Besonders makaber erscheint, dass die DRK-Leitung vor Visitationen des Internationalen Roten Kreuzes Konzentrationslager, so 1944 in Theresienstadt, schönte, um den Kontrolleuren faire Haftbedingungen vorzugaukeln. Nicht vergessen sollte aber auch, das sich im Krieg 600 000 DRK-Mitglieder oft unter Einsatz ihres Lebens für verwundete Soldaten und Zivilpersonen einsetzten.
Vor solchem Hintergrund darf durchaus gewürdigt werden, dass sich das Deutsche Rote Kreuz, wenngleich mit fast 60-jähriger Verspätung, zu einer rückhaltlosen Aufarbeitung des „dunkelsten Kapitels ihrer Geschichte“ (Seiters) entschlossen hat. Dieses Kapitel ist auch ein Stück Potsdamer Stadtgeschichte. Nachdem das vom brandenburgischen Landesverein bereits 1896 nahe dem Bahnhof Griebnitzsee eingerichtete Depot 1938 zum Zentrallager des DRK erweitert worden war, entschloss sich Grawitz, auch den Sitz des Präsidiums hierher zu verlegen. Nach Entwürfen des Architekten und SS-Führers Norbert Demmel entstand ein repräsentativer, 136 langer Baukörper, dem rechtwinklig zwei 24 Meter hervor tretende Seitenflügel angeschlossen wurden. Das Hauptgebäude erhielt einen massiven Portalvorbau mit dem üblichen „Führerbalkon“ für eventuelle Auftritte Hitlers. Er trug das neue, übrigens von dem Potsdamer Publizisten und Experten für „entartete Kunst“ Hans Schweitzer (Künstlername Mjölnir) entworfene DRK-Emblem mit einem durch ein Hakenkreuz geschmückten Adler über den Roten Kreuz. Das Gebäude wurde bis 1943 soweit fertig gestellt, dass hier die ersten Büros einziehen konnten. Zu DDR-Zeiten von der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften genutzt, dient es heute der Universität Potsdam. Seine Architektur bestimmt nach wie vor den Campus, der inzwischen um Neubauten erweitert worden ist.
Diese stadtgeschichtlichen Erkenntnisse sind wesentlich Markus Wicke zu verdanken, dem Vorsitzenden des Fördervereins Potsdam-Museum. Er wurde bei der gestrigen Buchpräsentation von den Autorinnen, die seine Forschungsergebnisse herangezogen haben, herzlich begrüßt.
Birgitt Morgenbrod/Stephanie Merkenich, Das Deutsche Rote Kreuz unter der NS-Diktatur 1933 - 1945. Ferdinand Schöningh Verlag. Paderborn 2008. 504 Seiten, 99 Abbildungen. 39,90 Euro. ISBN 978-3-506-76529-1
Erhart Hohenstein
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