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Landeshauptstadt: Heulend in die Freiheit

29 Spione wurden am 11. Juni 1985 in einer dramatischen Aktion frei getauscht

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29 Spione wurden am 11. Juni 1985 in einer dramatischen Aktion frei getauscht Männer mit Sonnenbrille und Revolver patrouillieren auf der Westseite der Glienicker Brücke. Es ist ein schöner Junitag. In der Mitte des Übergangs, direkt am Grenzstreifen, stehen US-Diplomat Richard Burt und der Ostberliner Anwalt Wolfgang Vogel. Sie sind nervös, stehen unter Hochspannung. Auf der Ostseite der Brücke parkt ein streng bewachter Bus mit einer brisanten Fracht: 25 in der DDR und in Polen aufgeflogene CIA- Agenten. Dies sind die Erinnerungen von Renate Bütow, inzwischen Journalistin im ARD- Hauptstadtstudio. Heute vor genau zwanzig Jahren, am 11. Juni 1985, ist die damals 36-Jährige mit einem Tagesschau- Team dabei, als 29 Spione auf der Glienicker Brücke die Seiten wechseln sollen: Nur das ARD-Team darf das Geschehen filmen. „Die Aktion war streng geheim“, sagt Renate Bütow. Ihr vierköpfiges Team ist eine Stunde vor dem Austausch vor Ort. „Mein Assistent wollte sich unter der Brücke kurz die Füße vertreten, dabei wurde er fast verhaftet“, erinnert sich Bütow. Als sie den Bus mit den wartenden Agenten auf der Ostseite sieht, ist sie geschockt: „Diese Menschen hatten ausgemergelte und blasse Gesichter.“ Wie es den Agenten ging, hat der freie Journalist Jürgen Ast in seiner Reportage „Endstation Glienicker Brücke“ beschrieben. Die vier Spione des Ostblocks, darunter auch KGB-Mitarbeiter, werden mit der US-Luftwaffe aus den Vereinigten Staaten nach Berlin-Tegel geflogen. „Von dort wurden sie mit einem Kleinbus zur Brücke gebracht“, weiß Ast. Parallel dazu bringt ein Bus am frühen Morgen 25 inhaftierte West-Agenten von Karl-Marx- Stadt zur Glienicker Brücke, rekonstruiert Ast das Geschehen. Sie kommen gegen 12 Uhr an. Die Inspektion der „heißen Ware“ beginnt: US-Diplomat Richard Burt identifiziert die Agenten, die er mit auf die Westseite nehmen soll. Einer von ihnen ist Eberhard Fätkenheuer. Im Juni 1979 wird der CIA-Agent aus Berlin-Pankow auf offener Straße verhaftet und wegen Spionage zu 13 Jahre Haft verurteilt. Sechs Jahre sitzt er im Stasi-Knast in Pankow. „Etwa eine Woche vor dem 11. Juni brachte mich ein Gefangenentransporter nach Karl-Marx- Stadt“, erzählt Fätkenheuer. „Ich wusste nicht, was mit mir geschehen würde, aber ich hatte die Vorahnung, dass es eine Befreiung geben würde.“ Auf welche Art, kann er sich jedoch nicht ausmalen. „Vorher hatte man mich gefragt, ob ich nach Amerika wolle oder zu meiner Frau nach Pankow. Ich hielt das für eine Falle.“ Erst als Richard Burt den Bus betritt, bekommt Fätkenheuer die Gewissheit, dass er bald frei sein wird. Burt hält eine kleine Ansprache, heißt die Agenten im Namen von US-Präsidenten Ronald Reagan willkommen. „Sie sind frei und dürfen sofort ausreisen, sagte er uns.“ Daraufhin bricht im Bus ein Tumult aus, erzählen andere Agenten später dem Journalisten Jürgen Ast: „Immerhin waren einige der Spione zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.“ Auf der Ostseite der Brücke fährt in diesen Minuten DDR-Anwalt Wolfgang Vogel mit seinem goldgelben Mercedes vor, steigt aus, geht über die Brücke und begutachtet die vier Ost-Agenten. Gegen 13 Uhr verlassen 24 der 25 West-Spione den Bus. Sie gehen über die Glienicker Brücke in Richtung West-Berlin. Eine Frau bleibt zurück: Sie will in der DDR bleiben, aus familiären Gründen. CIA-Agent Fätkenheuer überwältigen die Gefühle: „Ich bin heulend über die Glienicker Brücke in die Freiheit gegangen.“ Die vier Ost-Agenten verlassen in Gegenrichtung in einem Kleinbus den Westen und werden im Osten von Wolfgang Vogel in Empfang genommen. „Alles war blitzschnell vorüber“, sagt ARD-Journalistin Renate Bütow. Nach einer halben Stunde ist der größte Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke während des Kalten Kriegs abgewickelt. „Die Garanten dafür, dass alles so glatt über die Bühne gegangen ist, waren Burt und Vogel“, meint Renate Bütow. Die Namen der frei getauschten Agenten erfuhr vor der Aktion niemand – auch wenn die CIA-Agenten „kleine Fische“ gewesen seien, wie Journalist Jürgen Ast sie nennt. Sie sammelten Informationen von außen, zählten zum Beispiel die Räder von Russenpanzern. „Die Amerikaner konnten so auf den Typ schließen.“ Der Berliner Eberhard Fätkenheuer sagt, er sei ein „Möchte-Gern-Spion“ gewesen. „Ich hatte nur die einfachste Ausbildung im Dechiffrieren und Verschlüsseln von Nachrichten.“ Seine Aufgabe: Nachrichten über die sowjetischen Streitkräfte sammeln, etwa die Beobachtung von Truppenbewegungen. Die Mitarbeiter der östlichen Geheimdienste hätten „auf einem anderen Niveau“ gearbeitet, meint Ast. „Sie waren Spione, die von innen heraus kleine militärische Geheimnisse aufgedeckt haben.“ Einer von ihnen war Marian Zacharski, Spion für den polnischen Geheimdienst. Zacharski hatte sich als Geschäftsmann ausgegeben und dem Angestellten eines US-Flugzeugherstellers geheime Dokumente über Rüstungsgüter und Radartechnologie abgekauft. Im Juni 1981 wurde er vom FBI festgenommen und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Auch er ging vor zwanzig Jahren über die Glienicker Brücke – und kehrte zurück in seine Heimat in Polen.

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