Von Katja Reimann: Hindernisritt durchs Regelwerk
Doping oder Medikation? Der Weltverband der Reiter verstrickt sich in den eigenen Regularien
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Berlin - Eigentlich hätte Bernardo Alves vorerst gar keine Turniere mehr reiten dürfen. Doch in zwei Wochen startet der Brasilianer nun in Italien, genauer: bei einem hoch dotierten internationalen Springturnier im toskanischen Arezzo. Wenn alles gut geht. Denn bis vergangenen Sonntag war Alves noch vom Turniersport suspendiert, Doping-Kontrolleure hatten bei den olympischen Springwettbewerben in Hongkong das verbotene Mittel Capsaicin im Blut seines Pferdes Chupa Chup gefunden. Aber nach einer ersten Anhörung am Wochenende hat das Sportgericht der Internationalen Reiterlichen Vereinigung FEI in Lausanne die Sperrung vorläufig wieder aufgehoben – bis zum endgültigen Urteil am 30. September. Weil offensichtlich unklar ist, ob es sich um einen Dopingfall handelt oder um die – schwächer bestrafte – verbotene Medikation. In der Klärung dieser Frage verheddert sich der FEI inzwischen im eigenen Anti-Doping-Reglement.
So kippte das Sportgericht im Falle Alves spontan die erst seit wenigen Monaten geltende Regel, nach der Reiter und Pferd nach positiven Dopingproben bei Olympischen Spielen sofort gesperrt werden. Obwohl FEI-Generalsekretär Alex McLin gegen die Entscheidung des eigenen Tribunals Einspruch eingelegt hat, kann nun auch der gesperrte Deutsche Christian Ahlmann hoffen, bald wieder starten zu dürfen. Bei Ahlmanns Pferd Cöster waren ebenfalls Spuren von Capsaicin gefunden worden, ebenso wie bei Pferden des Iren Denis Lynch und des Norwegers Tony Andre Hansen. Capsaicin kann sowohl schmerzlindernd als auch, aufgetragen auf die Pferdebeine, hypersensibilisierend wirken, so dass ein Kontakt mit den Stangen bei einem Sprung besonders schmerzhaft wird. Ahlmanns Anhörung vor dem FEI Tribunal soll am 26. September stattfinden.
War es nun vorsätzliches Doping oder unerlaubte Medikation? So genau scheint das niemand bestimmen zu können, weder die eingeschalteten Juristen, noch die Experten vom Weltverband FEI. Kein Wunder, denn im Reitsport liegen die beiden Möglichkeiten denkbar eng beieinander. Zwar gibt es sowohl von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung FN als auch vom Weltverband FEI Listen, auf denen verbotene Mittel aufgeführt sind, doch sind die Angaben nicht sehr spezifisch. So finden sich dort zum Beispiel Beruhigungsmittel jeder Art (auch Baldrian), Entzündungshemmer oder Hustenmittel. Oft sind die Namen der Wirkstoffe angegeben, manchmal aber auch nicht. Capsaicin, die Substanz, die bei den Dopingproben in Hongkong auffällig war, steht nicht auf den Listen. „Die Reiterverbände tun so, als wäre alles, was gefunden wird, Doping“, sagt Christian Ahlmanns Rechtsanwalt Andreas Kleefisch. Für die Turniersportler sei das problematisch, denn jedes Pferd, das auf irgendeine Art und Weise behandelt wird, kann möglicherweise auf eine Substanz positiv getestet werden. Kleefisch will möglichst noch vor Ahlmanns Anhörung ein Ende der Suspendierung erreichen. „Das Problem im Reitsport ist, dass, im Gegensatz zum Humansport, keine Positivlisten bestehen“, meint der Anwalt. Anders als zum Beispiel bei Leichtathleten, die genaue Angaben dazu bekämen, welche Substanzen und Mittel sie nehmen dürften, gebe es für die Reiter lediglich Vorschriften, welche Medikamentengruppen nicht gestattet sind.
„Man kann von den Reitern nicht verlangen, dass sie alle Wirkstoffe kennen“, sagt Springreiter Otto Becker. Über die widersprüchlichen Maßnahmen des FEI wundere er sich ein bisschen. Dadurch, dass die FEI nun offensichtlich nicht mit der schwierigen Situation umzugehen wisse, sei ein „riesiger Imageverlust“ für den Reitsport entstanden. „Wir sollten die ganze Geschichte neu aufrollen und die Regularien neu bestimmen“, sagte Becker und plädierte dafür, die schwammigen Grenzen zwischen Medikation und Doping aufzuheben und stattdessen genau zu bestimmen, welche Medikamente legal benutzt werden dürfen – oder eben nicht.
Die Internationale Reiterliche Vereinigung FEI wollte sich zu den Vorgängen und der Entscheidung im Fall Bernardo Alves zunächst nicht äußern.
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