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Eine Rose als Verbeugung. Horst Schüler bei einem Gedenktermin für seinen Vater Fritz Schüler Ende vergangenen Jahres. In Andenken an den Sozialdemokraten wurden Stolpersteine in der Großbeerenstraße eingeweiht.

© A. Klaer

Landeshauptstadt: In der Heimat des Teufels

Der Journalist Horst Schüler erhält am heutigen Donnerstag den Verdienstorden des Landes Brandenburg

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Das hat er sich nicht nehmen lassen: Bei seiner ersten Rückkehr an diesen unwirtlichen Ort im Jahre 1992 fuhr Horst Schüler noch einmal in den Schacht ein. Schacht 29 in Workuta. Steinkohlebergbau. Der Hamburger Journalist Horst Schüler war an den Ort seiner Pein zurückgekehrt, an dem man ihn vier Jahrzehnte zuvor gefangen gehalten und zu schwerster Arbeit gezwungen hatte.

Er sei der erste deutsche Journalist gewesen, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Workuta reisen durfte, erzählt der drahtige Mann heute, der vor Kurzem seinen 90. Geburtstag feierte. Als Schüler 1992 nach Workuta fuhr, war der Kommunismus bereits geschlagen, das Sowjetimperium zerfallen. Und doch habe ihn seine Frau vor der Reise gewarnt. „Journalisten sind halt neugierig“, sagt Schüler. Daher habe ihn niemand davon abbringen können, in das Gebiet am Nordende des Uralgebirges zu fahren, jenem Landstrich, den die Russen einst selbst „Heimat des Teufels“ getauft hatten – wegen der eisigen Temperaturen, die hier, nördlich des Polarkreises, herrschen.

In dem berühmt-berüchtigten Arbeitslager war Horst Schüler inhaftiert, ganz in der Nähe musste er als Häftling jahrelang unter Tage Steinkohle fördern. Die Lebensbedingungen waren schrecklich, 30 bis 50 Grad Frost keine Seltenheit. Bis unter 60 Grad sei das Quecksilber bei besonders extremen Wetterlagen gefallen. Dazu kamen fürchterliche Schneestürme, die das Leben zur Hölle machten. Aber auch die Arbeitsbedingungen unter Tage waren alles andere als menschlich. Hin und wieder habe er kniend die Steinkohle abbauen müssen, „manchmal sogar im Liegen“, sagt Schüler. Dazu kam der Hunger, der ihn und die anderen Häftlinge plagte.

Schülers Leidensweg begann 1951 in Potsdam. In dem Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes in der Lindenstraße hatte ihn ein Militärtribunal wegen angeblicher Spionage zu 25 Jahren Haft verurteilt. Dabei bedeutete diese drakonische Strafe gewissermaßen noch Glück im Unglück: „Ich kam mit 25 Jahren davon“, so beschreibt es Schüler – und will damit sagen: Es hätte schlimmer kommen können. In der Skala der von den Sowjets verhängten Strafen waren 25 Jahre die zweithöchste Stufe. Danach kam die Todesstrafe. Und es war damals längst nicht zu durchschauen, warum jemand nur zu 25 Jahren verurteilt wurde, ein anderer hingegen hingerichtet werden sollte.

In die Fänge der Sowjets war Schüler offenbar deshalb geraten, weil er die Zustände in der damals noch jungen DDR nicht hinnehmen wollte, sich nicht systemkonform verhielt. Er, der noch in den letzten Kriegstagen bei der Schlacht um Berlin auf den Seelower Höhen an beiden Beinen verwundet wurde, merkte schnell, dass die Rede vom besseren Deutschland, das man angeblich in der sowjetischen Besatzungszone aufbauen wolle, „nur eine Parole“ war. Propaganda und Wirklichkeit seien zwei völlig verschiedene Dinge gewesen, sagt Schüler. Als junger Mann begann er in den 1940er-Jahren ein Volontariat bei der Märkischen Volksstimme. In einer Kolumne habe er Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen gewagt. „Es war erstaunlich, dass es in der Zeitung auch gedruckt wurde“, sagt Schüler. Immerhin war die MV die Zeitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Doch wesentlich deutlicher konnte Schüler seine Kritik in Westberliner Zeitungen artikulieren. Freilich nicht unter seinem wahren Namen. So habe er unter einem Pseudonym in der Westpresse seine Berichte aus der DDR untergebracht. Und dann beging er noch eine weitere Sünde: Schüler knüpfte Kontakte zur „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“, eine Westberliner Organisation, die den Widerstand gegen die SED-Diktatur in der DDR unterstützte.

Zur Zeit seiner Verhaftung im Jahre 1951 wohnte Schüler mit seiner Frau in der Babelsberger Großbeerenstraße in einer Wohnung, in der zuvor schon seine Eltern gelebt hatten. Sein Vater, an den seit vergangenem Jahr ein Stolperstein erinnert, sei ein Sozialdemokrat mit Leib und Seele gewesen, wie Schüler sagt. Ihn hatten die Nazis im KZ Sachsenhausen umgebracht. Seine Mutter starb bald darauf. Also in jener elterlichen Wohnung lebten nun Horst Schüler und seine Frau. Hier schlug die Staatsmacht zu: Es klopft, Schüler hörte nur noch den Ruf „Hier ist die Polizei“. Dann ging alles ganz schnell. Männer mit gezogenen Pistolen stürmten herein. Es folgten die Festnahme und der Abtransport. „Ich war ein Bündel von Angst“, so Schüler. In der Untersuchungshaft in der Lindenstraße sei er misshandelt worden, unter anderem setzten ihm Schläge gegen die Nieren zu. Womit die Sowjets das Urteil konkret begründeten, weiß Schüler heute nicht mehr genau.

Nach dem Urteil ging es für ihn mit dem Zug gen Osten. Eine Zwischenstation war die Butyrka, ein bekanntes Moskauer Gefängnis. „Dort wurden wir gesammelt zu einem großen Transport“. Endstation: Workuta. Die ganze Zeit seiner Lagerhaft, die 1955 endete – Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) hatte zuvor die Freilassung der letzten deutschen Gefangenen in Verhandlungen mit den Sowjets erreicht –, habe er unter Tage arbeiten müssen. Schüler erlebte den Häftlingsaufstand im Sommer 1953 mit. Die Gefangenen hatten Freiheit und die Überprüfung ihrer Urteile gefordert. Und wieder hatte Horst Schüler Glück im Unglück. Er, der unmittelbar miterleben musste, wie die Häftlinge von einer Sekunde zur anderen zusammengeschossen wurden, überlebte auch dieses Inferno. Mehr als zwei Jahre später folgte die Freilassung. Zuerst ging es noch ins Ungewisse: ein Transport quer durch Russland. Bei der Entlassung in der Nähe von Swerdlowsk dann dies: Zum Abschied spielte ein Musikzug der Roten Armee vor den Gefangenen deutsche Märsche.

Nach seiner Entlassung kann Schüler in Westberlin seine Frau in die Arme schließen. Später zieht das Paar in die Bundesrepublik. Schüler arbeitet später bis zu seinem Ruhestand beim Hamburger Abendblatt. Heute ist er Vorsitzender der Lagergemeinschaft Workuta/Gulag Sowjetunion sowie Ehrenvorsitzender der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft. Für sein Engagement als Zeitzeuge erhält er am heutigen Donnerstag den Verdienstorden des Landes Brandenburg.

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