Homepage: In die Fabrik des Lebens geschaut
Mit neuen Methoden der Nanomikroskopie lässt sich sogar in lebende Zellen hineinschauen. Auf dem Leibniz-Kolleg 2014 wurde erklärt, wie
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Die Kakerlake zappelt zwischen den Greifern der Pinzette. Ein gewaltiges Exemplar der Amerikanischen Küchenschabe, bestimmt fünf Zentimeter lang. „Wir haben hier nur Männchen“, versichert eine der Forscherin im Labor. Falls mal eine Schabe abhaut, die kann dann keine Eier legen. Die Kakerlaken sind für die Wissenschaftler der Arbeitsgemeinschaft Physikalische Chemie der Universität in Potsdam-Golm wichtige Versuchstiere. Es geht um ihre Speicheldrüsen, die im Drittmittelgebäude der Uni in Golm mit modernsten Verfahren der Mikroskopie untersucht werden. Speicheldrüsen von Insekten produzieren sehr schnell Sekret, daher sind sie für die Forschung gut geeignet. Die Wissenschaftler wollen die Funktion der Drüsen auf kleinster Ebene beobachten, um letztlich daraus auch Rückschlüsse auf Vorgänge in menschlichen Drüsen herstellen zu können. Mit den neuen Mikroskopie-Verfahren ist es ihnen nun sogar möglich, Vorgänge in lebenden Zellen zu beobachten.
Nanomikroskopie ist das Thema des diesjährigen Leibniz-Kollegs, das bis heute noch an der Universität Potsdam stattfindet. Am Mittwoch waren Schülergruppen zu Einführungsvorträgen und Laborführungen an die Uni nach Golm gekommen. Erklärt wurde, wie die neuen Methoden in der Mikroskopie Beobachtungen erlauben, die vor Kurzem noch völlig undenkbar waren.
Ralph Hölzel vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik zeigt kurze Filmsequenzen, in denen wundersame Dinge zu sehen sind. Ein flimmerndes Würmchen zwischen zwei Polen entpuppt sich als ein Stück DNA, kleine Kügelchen, die sich an einer Barriere sammeln als Helferzellen des Immunsystems. Und das alles spielt sich im Nanometerbereich ab, zum Teil unter 50 Nanometern. Die Schüler lassen sich davon nicht alle beeindrucken. Einer schaut lieber auf das Flimmern seines Smartphones und spielt „Kill Bill“, eine andere Schülerin hat den Kopf bereits auf den Tisch gelegt.
Nach den Vorträgen sind die Meinungen des Nachwuchses gespalten. Drei Schülerinnen aus Reinickendorf zeigen sich schwer beeindruckt. Sie sind mit ihrem Chemie-Leistungskurs hergekommen. Für sie war der Stoff einfach zu verstehen. „Das war hoch informativ und es war auch viel Neues dabei“, sagt eine der 11-Klässlerinnen. Ihre Freundin will gleich wissen, ob man hier in Potsdam Biotechnologie studieren kann. Einige Schüler des Bioleistungskurses aus Zeuthen fanden die Erklärungen der Wissenschaftlicher da schon schwieriger. „Sehr komplex“, sagt eine von ihnen. Immerhin habe es das Thema der letzten Klassenarbeit widergespiegelt. „Die wollen wir aber so schnell nicht wiederbekommen“, sagt eine der Schülerinnen, die in knappen Hot-Pants und Tanktop an den Forschungscampus gekommen ist. Studieren wollen sie später etwas anderes, vielleicht Sprachen, irgendwo in Europa. „Bio muss nicht sein“, so der Kommentar.
Den Leiter der Arbeitsgemeinschaft Physikalische Chemie, Professor Hans-Gerd Löhmannsröben, stört das unterschiedlich ausgeprägte Interesse der Schüler kaum. Das sei normal, auch dass im Sommer ein paar Schüler lieber draußen in der Sonne bleiben wollten. Was dann aber gar nicht der Fall ist. Als die Vorträge nach der Pause weiterlaufen, sind alle wieder dabei. Trotz Frühsommerhitze ist der Hörsaal gut gefüllt. Für Löhmannsröben ist das Leibniz-Kolleg einer der jährlichen Höhepunkte der öffentlichen Veranstaltungen der Potsdamer Uni. Er zeigt auf die Plakate der vergangenen Jahre, welche Koryphäen nach Potsdam kamen, über welche spannenden Themen sie sprachen, etwa die Suche nach extraterrestrischem Leben oder die integrative Kraft des Internets. Ebenso prominent der Hauptvortrag in diesem Jahr von Stefan Hell zu den bahnbrechenden Erfolgen der Lichtmikroskopie. „Das ist der Stoff , aus dem Nobelpreise sind“, schwärmt Löhmannsröben.
Sein Kollege Carsten Hille vom Institut für Chemie der Universität Potsdam hatte zuvor über die optische Analyse lebender Zellen mit modernen Methoden der Laser-Fluoreszenzmikroskopie gesprochen. Seine Ausführungen setzten zwar ein wenig biochemisches Vorwissen voraus. Für zwei Doktorandinnen auf den hinteren Rängen war es aber ein Volltreffer. „Das deckt sich mit unserem Forschungsgebiet“, sagte eine von ihnen. Und das vorgestellte dSTORM-Verfahren, das zu einer wesentlichen Verbesserung in der räumlichen Auflösung führt, sei etwas ganz Neues für sie. Carsten Hille hatte zuvor erklärt, wie unter Verwendung von Laserlicht einzelne Photonen von Fluoreszenzfarbstoffen – das sind leuchtende Moleküle – exakt gezählt werden können. Dies ist die Grundlage für die sogenannte Fluoreszenzlebenszeitmikroskopie, mit der es möglich ist, die chemische Umgebung von Farbstoffmolekülen sogar in lebenden Zellen genau zu beschreiben. „Wenn wir einzelnen lebenden Zellen oder sogar einzelnen Molekülen in der Zelle bei der Arbeit zusehen wollen, ist die Fluoreszenzmikroskopie heutzutage eine unverzichtbare Methode dafür“, so Hille. Die biologische Zelle verglich er mit einer komplexen Fabrik, in der unzählige Maschinen, Motoren und Vorgänge arbeiten.
Viele Strukturen innerhalb der Zelle sind kleiner als die Wellenlänge sichtbaren Lichts und können deshalb mit herkömmlichen Mikroskopen nicht räumlich aufgelöst werden. Nun sind die neuen Mikroskopiemethoden entwickelt worden, mit denen die sogenannte Beugungsgrenze unterschritten werden kann. In einem dieser Verfahren ändern Fluoreszenzfarbstoffmoleküle zufällig ihren Leuchtzustand. Aus hintereinander aufgenommenen Einzelbildern wird dann ein hochaufgelöstes Bild errechnet, und somit werden kleinste zelluläre Strukturen sichtbar. DNA, Kohlenhydrate, Lipide und Proteine können so betrachtet werden. In lebenden Zellen lassen sich Ionen beobachten, Stoffwechselvorgänge nachvollziehen oder eben erkennen, was beim Speichelfluss von Küchenschaben im Detail passiert.
Anwendungen sind in vielen Bereichen denkbar, von der chemischen Industrie bis zur Pharmazie. Ralph Hölzel vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik spricht etwa von „Molekül-Chirurgie“, bei der in der DNA Strukturen verändert werden können. Eine denkbare Option betrifft die Krebstherapie, hier könnten bösartige Komponenten aus Zellen entfernt werden. Allerdings sei dies nicht im lebenden Körper möglich, die fünf Liter menschlichen Blutes müssten durch ein sehr aufwendiges Dialyse-Verfahren laufen. Andere Ideen betreffen die Pharmazie: Wenn das Haltbarkeitsdatum von Medikamenten abgelaufen ist, kann der hochauflösende Blick in die Nanowelt verraten, wie viele Moleküle des jeweiligen Wirkstoffes noch aktiv sind.
Die neuen mikroskopischen Verfahren sind allerdings so komplex, dass sie eine ganz neue Interdisziplinarität voraussetzen. Vom Biologen über den Chemiker bis hin zum Informatiker und Mathematiker würde Know-how für die neuen Verfahren benötigt. „Eigentlich wäre ein Wissenschaftler vom Typus des Universalgenies gefragt“, sagte Hölzl. Womit man wieder bei Gottfried Wilhelm Leibniz war, dem Namensgeber des Potsdamer Forschungskollegs. Wobei Leibniz nicht nur Philosoph, Wissenschaftler, Mathematiker, Diplomat, Physiker, Historiker, Politiker, Bibliothekar war, sondern auch Namensgeber der Leibniz-Kekse. Hermann Bahlsen nannte 1892 seine Kekse mit Buttergeschmack nach dem Gelehrten, der wie der Keksfabrikant in Hannover wirkte – und seinerzeit nach einem haltbaren Nahrungsmittel für Soldaten gesucht hatte.
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