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Homepage: In feuchten Gebieten

Warum HFF-Absolvent David Wnendt nach seinem Neonazi-Drama „Kriegerin“ nun Charlotte Roches Skandalbuch „Feuchtgebiete“ verfilmt hat. Ihm ging es nicht um Provokation oder Pornografisches

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David Wnendt ist sich treu geblieben. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht. Nachdem der Absolvent der Potsdamer Filmhochschule HFF seinen Abschlussfilm „Kriegerin“ (2011) über ein junges Neonazimädchen gedreht hatte, verfilmte er nun Charlotte Roches Skandalbuch „Feuchtgebiete“. Ein völlig konträres Filmprojekt, könnte man meinen. Doch weit gefehlt. Der 36-jährige Nachwuchsregisseur sieht durchaus Parallelen. Sei doch Charlotte Roches Buchfigur Helen ähnlich wie in „Kriegerin“ eine weibliche rebellische Hauptfigur, die viele Widersprüche in sich trägt. „Deshalb liegen die beiden Projekte aus meiner Sicht näher beieinander, als es den Anschein hat“, sagte Wnendt im Gespräch mit Zeit-online.

Kaum ein Film hat in jüngster Vergangenheit vor seinem Kinostart (22. August) für so viel Furore gesorgt wie „Feuchtgebiete“. Was natürlich vor allem an der etwas haltlosen 18-jährigen Hauptfigur Helen Memel (gespielt von Carla Juri) liegen mag, dreht sich doch in ihrer Welt sehr viel um Masturbation, Sex und Krankheiten im Intimbereich. Am Sonntagabend war „Feuchtgebiete“ als deutscher Wettbewerbsbeitrag bei dem Festival in Locarno gestartet, bereits am Dienstag feierte der prominent besetzte Streifen – unter anderem mit Edgar Selge, Meret Becker, Axel Milberg – eine viel beachtete und umjubelte Premiere in Berlin. Erste Stimmen sprechen von einer gelungenen Verfilmung von Roches 2,5 Millionen Mal verkauftem Bestseller. Regisseur David Wnendt, der für „Die Kriegerin“ unter anderem den „Prix Europa“ und den „Deutschen Filmpreis“ erhielt, sei es gelungen, das schlüpfrige Buch jenseits von Schlüpfrigkeit, Schmuddel und Spekulation zu verfilmen. Bei aller Tabulosigkeit und Provokation wird am Ende doch deutlich, dass es hier auch um die Suche eines einsamen Mädchens nach Aufmerksamkeit und einer Familie geht.

David Wnendt mochte Charlotte Roches Roman von Anfang an. Ihm gefällt die weibliche Perspektive auf Erotik, aber auch der Humor, die brillanten Assoziationsketten und Beobachtungen des täglichen Lebens, wie er im Zeit-Interview sagte. Die öffentliche Reaktion auf das Buch habe teilweise losgelöst vom Inhalt stattgefunden. Anfangs habe es entrüstete Kommentare zu dem Filmprojekt gegeben. Offensichtlich habe Roche einen wunden Punkt getroffen. „Wenn eine Frau so offen über Sexualität oder Verdauungsprobleme schreibt, scheint das in unserer Gesellschaft vielen Männern gegen den Strich zu gehen“, so der Regisseur Wnendt. Die Aufregung, die das Buch ausgelöst hat, hält er für ein spezifisch deutsches Phänomen. Unverblümter Umgang mit Sexualität ecke in Deutschland an. Wenn eine Frau im deutschen Film sich der freien Liebe hingibt, werde ihr meist eine psychische Störung zugeschrieben.

Natürlich werden in Charlotte Roches Filmvorlage auch Tabus gebrochen, die das Filmteam vor einige Herausforderungen gestellt hat. Auch Schauspieler müssen Schamgrenzen überwinden. Auf der Deutschlandpremiere verriet die Hauptdarstellerin Carla Juri, wie David Wnendt es dennoch schaffte, den Film mit sehr expliziten Szenen zu drehen. Vor Beginn der Dreharbeiten sei er mit dem ganzen Team in die Sauna gegangen. Zur Auflockerung der Stimmung. Carla Juri war dafür dankbar, der Saunabesuch habe den Teamgeist gestärkt.

Ungewöhnliche Methoden hatte David Wnendt bereits bei den Dreharbeiten zur „Kriegerin“ genutzt. Jahrelang hatte er für das HFF-Filmprojekt in rechten Kreisen recherchiert, er war bei Nazi-Demos mitgelaufen, hatte rechte Jugendclubs besucht und junge Frauen aus der Szene in Brandenburg kontaktiert. Mit ihnen sprach er über ihre Lebensgeschichte. So gelang es ihm, Lebenswege von Frauen nachzuzeichnen, die im rechten Milieu gelandet waren. Er wollte wissen, warum junge Frauen rechtsextrem werden. Jugendliche Rebellion, fehlende Zuneigung und Perspektivlosigkeit waren Aspekte dafür. Das begegnete ihm in Roches „Feuchtgebieten“ wieder. In beiden Filme sieht Regisseur Wnendt extreme Frauenfiguren im Vordergrund, mit all ihren Widersprüchen und Verletzlichkeiten. Härte und Zärtlichkeit würden bei beiden Figuren nah beieinanderliegen. Das hatte das Interesse des Regisseurs geweckt.

Der in Gelsenkirchen geborene David Wnendt entstammt einer Diplomatenfamilie. Er wuchs in Islamabad, Miami, Brüssel, Prag und im rheinländischen Meckenheim auf. Er studierte Betriebswirtschaftslehre und Publizistik an der Freien Universität Berlin. Nach abgeschlossenem Magisterstudium folgte bis 2011 das Studium im Regiefach der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“. Im Studium realisierte er unter anderem den Kurzfilm „California Dreams“ über einen jugendlichen Außenseiter, der auf dem Internationalen Kurzfilmfestival Berlin ausgezeichnet wurde. In dem Film „Kleine Lichter“ ging es um eine Babysitterin, die nach dem Unfalltod ihres querschnittgelähmten Schützlings von einem älteren Arbeitslosen aufgenommen wird. Der große Erfolg kam dann schließlich mit seinem Abschlussfilm „Kriegerin“.

Sein neuer Film beginnt mit einem Zitat aus einem Forum der Bild-Zeitung. Ein Buch wie „Feuchtgebiete“ sollte niemals gelesen oder verfilmt werden, hieß es darin sinngemäß. Dass Wnendt es dennoch gemacht hat, lag wohl auch daran, dass er in dem Buch etwas anderes gesehen hat, als die öffentliche Debatte wiedergab. Er sah die faszinierende Hauptfigur, den Humor und die Herausforderung, einen inneren Monolog zu verfilmen. Ihm ging es weder um die Provokation noch um das Pornografische. Auch wollte er einen Film für das normale Publikum machen, sagte Regisseur Wnendt im Deutschlandradio. Das habe gewisse Grenzen gesetzt. „Es hat Spaß gemacht, diese Grenzen auszutesten.“

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