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Landeshauptstadt: In Potsdam rasten, in Berlin ausrasten

700 Gäste machen auf dem Potsdamer Campingplatz Sanssouci-Gaisberg Ferien – zwischen Isomatte und Plastikfrosch

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Eine halbe Stunde – und Evas und Marias Urlaubsquartier ist in einem gelben Beutel verschwunden. Dabei haben die beiden Freundinnen eben noch mit Evas Eltern und dem jüngeren Bruder vor ihrem gelben Zelt auf einer Decke gesessen und gefrühstückt: Ihr letztes Picknick mit Seeblick, denn gleich danach geht es zurück in die sächsische Heimat nach Freiberg. Eine ganze Woche lang habe sie das Frühstück im Freien genossen – jeden Tag gegen 8 Uhr. Nein, für Langschläfer ist der Campingplatz am Gaisberg nichts: Bereits früh am Morgen ertönen laute Rufe aus dem Megafon. Denn dann beginnen die Ruderer auf dem Templiner See mit ihrem Training – unter genauen Anweisungen, die ihr Coach durch den Trichter brüllt.

Aber ewig auf der Matratze oder der Iso-Matte will hier ohnehin niemand liegen. Die meisten der 700 Gäste verlassen den Platz tagsüber für Ausflüge – meistens nach Berlin, sagt Campingplatz- Betreiber Dieter Lübberding. Kurz nachdem die wärmenden Sonnenstrahlen auf die Zeltplanen, die Wohnmobil- und Campingwagendächer zwischen den hochstehenden Erlen treffen, scheint der ganze Platz aufzuwachen: Männer und Frauen mit zerwuschelten Haaren und zerknitterten Gesichtern huschen in Richtung der Duschkabinen. In Bademänteln oder Jogginghosen – das Handtuch auf der Schulter und die Waschtasche unter den Arm geklemmt.

Die anspruchsvolleren Zelter können sich seit Mai dieses Jahres ab zwölf Euro pro Tag eigene Bäder mieten – zusätzlich zum Zelt-Stellplatz ab 8,80 Euro pro Erwachsenem. Vor allem die Rad- und Wasserwanderer würden laut Lübberding dieses Angebot nutzen: „Kanuten und Radler verdienen viel Geld, da steigen irgendwann die Ansprüche“, meint der Camping-Chef. Die Freiberger Familie Schuttlers allerdings finden ein eigenes Privatbad im Campingurlaub „übertrieben“. Das sei was „für Versnobte“, so Mutter Conny Schuttler, obwohl ihre Familie selbst mit dem Rad unterwegs ist. So früh wie möglich wollen sie nun Richtung Heimat aufbrechen, gleich nachdem Zelte, Matten, Töpfe und Tassen irgendwie am Rad verstaut sind. Einen Campingkocher habe sie gar nicht gebraucht, sagt Mutter Conny Schuttler, denn es gebe eine öffentlichen Küche.

Die benutzen vor allem Parkgäste, die in den 40 Zelten schlafen, die derzeit auf dem Platz stehen. Diejenigen, die mit den rund 140 Wohnwagen und -mobilen angereist sind, haben den Herd gleich mit an Bord. Wie Janet und Ben Breuseker aus den Niederlanden. Seit zwei Tagen sind sie hier, erzählt Janet während sie am gedeckten Klapptisch auf ihren Mann mit den frischen Brötchen wartet, die es jeden Morgen an der Rezeption zu kaufen gibt: In Potsdam stehe Sanssouci als einziges Ausflugsziel auf dem Plan. Sie interessiere vor allem Berlin: Dort wollen sie „ganz viel Cappuccino trinken und Menschen anschauen“ – Janets Traumvorstellung von einem „erholsamen“ Urlaub. Holländer seien eben Städteurlauber, erklärt Lübberding. Er scheint Recht zu haben. Der größte Teil der ausländischen Camper sind Niederländer. Aber neben dem Wohnwagen der Breusekers stehen auch Fahrzeuge aus England, Portugal und Italien. Und neben einem riesiges Motorrad sitzt John Mc Gloughlin aus Südafrika auf der Wiese und blättert in einer „Magic-Camper“-Broschüre. Der Kapstädter tourt mit seiner Frau Michelle durch Europa. In England sind sie gestartet, haben sich dort bei Ebay die BMW-Maschine gemietet. In Griechenland und Spanien waren sie bereits, in Deutschland haben sie schon Dresden besucht. Nun wollen sie sich Berlin und Potsdam anschauen – das holländische Viertel und Schloss Sanssouci. Auf den Potsdamer Campingplatz sind sie durch den Reiseführer „Magic-Camper“ aufmerksam geworden, den sie sich in Griechenland gekauft haben. Von noch weiter angereist sind die Dicksons aus Australien. Die beiden zeltenden Lehrer wollen während ihrer dreimonatigen Europareise eine Woche in Potsdam bleiben.

Lübberding begrüßt gerade Familie Moroni, die den ersten Tag am Platz ist. Plötzlich ruft Giuseppe Votta aus dem Wohnmobil gegenüber: „Sie kommen aus Milano? Ich auch!“ den neuen Platz-Nachbarn in seiner Muttersprache zu.

Der Mailänder war schon in Dresden und Lübbenau, bevor er hierher kam, um die „Monumente“ von Potsdam und natürlich Berlin zu besichtigen. Einen ganzen Monat war der Italiener in Deutschland. Heute fährt er nach Hause. Aber es sei sehr „bello“ hier, findet er: Service und Platz seien „molto bene“. Nur dass der Park ein bisschen abseits liege. Zwei Stunden benötige man von hier aus nach Berlin. Gut, dass wenigstens der Shuttle-Bus die Gäste mindestens viermal täglich zum Bahnhof fährt. Kirsten Henriksen schaut aus einem Campingwagen mit dänischen Kennzeichen. Auch sie zieht es vor allem nach Berlin, in Potsdam schlafe sie nur. „In Potsdam rasten, in Berlin ausrasten“, sei das Konzept vieler Urlauber, meint Lübberding. Dass sie vielleicht auch auf der grünen Badewiese liegen könnte und im See schwimmen hält Kirsten Henriksen für abwegig: „Im See baden mag ich nicht“, sagt sie und schüttelt sich ein wenig dabei. Sie bevorzuge das Meer. Anneliese Lehmann schwimmt dagegen gern im Templiner See. Täglich bade sie hier.

Während der „normale“ Potsdam-Camper im Schnitt nur zwei Tage hier bleibe, wohnen die Lehmanns aus Halle von April bis Anfang Oktober hier – „je nach Wetter“. 70 Dauercamper bevölkern laut Lübberding den Ufergürtel seines Parks – vorwiegend Rentner. Ihre Wohnwagen mit den Vorzelten, in die ein vollständiger Haushalt passt, ähneln einer Laubenpieper-Kolonie. Manche haben ihre winzigen Vorgärten liebevoll mit Gartenzwergen und Goldlöwen geschmückt und erfreuen sich an Teichen mit Plastikfröschen – alles im Mini-Format auf einer Fläche von rund 80 Quadratmetern. Nachbar Horst Cezanka aus Spandau mäht wie jede Woche gerade seinen Rasen, der so saftig grün aussieht, dass ihn die anderen Camper darauf ansprechen. Wenn so viel Menschen einen ganzen Sommer dicht an dicht wohnen, gibt es natürlich auch mal Zank. „Der Miesling“ sei wieder vorbeigekommen, sagt Anneliese Lehmann und guckt bedeutungsvoll zu Dieter Lübberding: „Der hat wieder gemeckert!“ Mit den anderen Nachbarn vertrage sie sich aber gut, „die ganze Truppe ist befreundet“. Seit 1964 verbringt die 67-Jährige ihre Ferien hier – noch bevor der Platz ein offizieller DDR-Campingplatz wurde. Damals hätten sie einfach den Förster vom Gaisberg gefragt, ob sie ihren Wohnwagen hier hinstellen können. Seit dem wachen sie hier jeden Sommertag „mit Vogelgezwitscher“ auf.

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