zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Kegeln, Kästner und Kaffeekränzchen

Bertha Simonsohn betrieb eine Drogerie in der Brandenburger Straße

Stand:

Am Donnerstag werden in Potsdam die ersten „Stolpersteine“ verlegt. Mit diesem Gedenk-Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig soll an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert werden - bundesweit bereits in mehr als 300 Orten. Die PNN stellen jeden Tag jüdische Potsdamer vor, vor deren letzter Wohnung bald ein „Stolperstein“ liegen wird. Heute: Bertha Simonsohn, Brandenburger Straße 19.

Zur Zeit bin ich eine Sehenswürdigkeit“, schreibt Bertha Simonsohn in einem Brief am 25. November 1942: „Die einzige Jüdin in Potsdam.“ 66 Jahre alt ist sie da und seit zwei Jahren Witwe. Ihr Geschäft in der Brandenburger Straße 19 hat sie längst verkaufen müssen, sie wohnt in einer „Sammelunterkunft“ in der Innenstadt. Auf die Straße traut sie sich allerdings kaum noch: „Erstens fällt es mir körperlich schwer und dann will man nicht auffallen“, schreibt sie an ihre drei Söhne: „Ebenso schmerzlich sind die mitleidigen Blicke wie die hasserfüllten oder der Spott der lieben Jugend.“ Der Brief an die drei Söhne, die sich bereits im Ausland in Sicherheit gebracht haben, ist ihr Abschiedsbrief: Am 19. April 1943 wird die Potsdamerin ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und stirbt dort kurze Zeit später.

„Sie war eine temperamentvolle, lebenslustige Frau“, sagt Josefine Markarian. Die 14-jährige Voltaire-Schülerin spricht von Bertha Simonsohn als einer Frau, „die wir wohl gerne kennengelernt hätten“. Sie hat sich zusammen mit drei Klassenkameraden für das Stolperstein-Projekt auf die Suche nach Lebensspuren von Bertha Simonsohn gemacht. Dabei hat sie Nachkommen in England und den USA gefunden: Melvyn Simonson zum Beispiel, Berthas Enkel, der in London lebt – den Familiennamen hat er dem englischen Sprachgebrauch angepasst. „Regen E-Mail-Verkehr“ gibt es seit einigen Monaten zwischen Potsdam und der britischen Metropole, wie Josefine Markarian berichtet. Melvyn Simonson will sogar zur Stolperstein-Verlegung am Donnerstag nach Potsdam kommen. Auf das Treffen mit Berthas Enkel sind die Schüler bereits gespannt. Auch in Amerika haben sie eine Bekannte der Familie Simonsohn ausfindig gemacht: Tamara Uziel, deren Mutter mit Berthas Schwiegertochter befreundet war.

Bei der Hochzeit mit Max Simonsohn hat Bertha Gersmann, geboren am 1. Juli 1876 in Schneidemühl, bereits ein vier Jahre altes Kind, Ludwig. Zwei weitere Söhne folgen: 1901 wird Richard geboren und drei Jahre später Ernst, der Jüngste. Zu dieser Zeit lebt die Familie vom Geschäft in der Brandenburger Straße 19 – eine „Drogerie“, wie auf alten Fotos des Hauses zu lesen ist. Die Wohnung befindet sich direkt darüber.

Um den Laden und die Familie muss sich Bertha Simonsohn dann während des ersten Weltkriegs allein kümmern: Denn ihr Mann Max wird Soldat, zieht als Feldwebel nach Russland und Rumänien – eine Zeit, an die sich die Kinder noch zehn Jahre später erinnern. In einem musikalischen Lebensrückblick, den die drei Söhne zur Silberhochzeit der Eltern am 29. Oktober 1925 verfassen und zum besten geben, sind ihnen die Kriegsjahre eine ganze Strophe wert. Noch scheint es das Leben gut zu meinen mit den Simonsohns. Max kehrt nach Potsdam zurück. Die Söhne verlassen nach und nach das Haus, alle drei heiraten. Der gute Kontakt zu den Eltern bleibt auch danach bestehen: So fährt Bertha oft zu Richard und seiner Frau Hertha nach Berlin Charlottenburg. Es ist ein kulturell interessierter Kreis, der sich dort im Garten der Simonsohns trifft: Zu den Freunden des Haushalts gehört auch der Schriftsteller Erich Kästner. Er steht noch nach dem Krieg in Briefwechsel mit Berthas Schwiegertochter, die nach London emigriert ist.

Aus der Berliner Zeit gibt es viele Fotos, die ihr Enkel Melvyn aufbewahrt hat. Josefine Markarian hat mit ihren Mitschülern einige Bilder ausgewählt und eine Wandtafel für Bertha Simonsohn gestaltet: Zu sehen ist eine gestandene und zufriedene Frau mit einem verschmitzten Lächeln. „Sie liebte das Kegeln und ihre Kaffeekränzchen“, erzählt Josefine Markarian.

Daran ist für Bertha allerdings schon bald nicht mehr zu denken. Die Simonsohns müssen ihren Besitz protokollieren und werden zur so genannten „Judenvermögensabgabe“ gezwungen. Ihr Geschäft und das Haus müssen sie verkaufen, das Geld wird auf ein Konto eingezahlt, auf das sie keinen Zugriff haben, erklärt Josefine Markarian. Dabei hätte Bertha Simonsohn das Geld gerade jetzt besonders dringend gebraucht – denn ihr Mann ist schwerkrank und braucht Medikamente. Die kann Bertha nun nicht mehr bezahlen. Max stirbt im Jahr 1940.

Nach dem Tod ihres Mannes wohnt Bertha Simonsohn in der Waisenstraße 57, der heutigen Dortustraße, einer „Sammelunterkunft“ für Potsdamer Juden. Das Haus kennt sie gut: Denn es gehörte einst ihrem Onkel James Gersmann, dem letzten Vorsitzenden der Synagogengemeinde. Als Bertha Simonsohn von dort aus im November 1942 den Brief an ihre Söhne schreibt, ahnt sie vielleicht schon, welches Schicksal sie erwartet: „Ich bin dann in Theresienstadt bei Prag, wo alle Juden über 65 Jahre hingeschickt werden, aufgenommen“, schreibt sie, offenbar gefasst: „Man muss einen Vertrag freiwillig unterschreiben.“ Ihre Papiere hinterlegt sie bei einer Berliner Adresse. Im April 1943 wird Bertha Simonsohn mit dem „86. Alterstransport“ ins Konzentrationslager Theresienstadt geschafft. Sie stirbt dort am 17. Juni 1943, kurz vor ihrem 67. Geburtstag.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })