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Handlungsbedarf. Die Energiewende muss vor allem dort, wo sie stattfindet, besser begleitet werden, meinen Strukturforscher.

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Brandenburger Regionalforscher untersuchen die Energiewende mit mehreren Projekten in der Region

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Dass die Energiewende kein Selbstläufer ist, ist mittlerweile klar. Aktuell führt die EEG-Umlage zu steigenden Stromkosten und die Umsetzung der von der Politik gewollten Änderungen ist vor Ort oft nicht unproblematisch. Allein in Brandenburg gibt es mittlerweile 47 Initiativen gegen die Errichtung von Anlagen der erneuerbaren Energien, allen voran der Windenergie. Das brandenburgische Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) nimmt sich dem brisanten Thema nun aus Sicht der Raumwissenschaften an. Die Schlüsselfrage liegt für die Wissenschaftler nicht länger bei den technologischen Entwicklungen oder der Frage des gesellschaftlichen Konsens, sondern vielmehr im Zusammenspiel der Beteiligten auf lokaler Ebene – und zwar in den ländlichen Räumen, in den sich die Energiewende derzeit vornehmlich vollzieht.

„Bei Fragen der Mitgestaltung der Energiewende gibt es hier noch viele offene Fragen“, meint Timothy Moss vom IRS. Daher wollen die Regionalforscher gerade auch in Brandenburg, das bei den neuen Energieformen weit vorne liegt, die Entwicklung mit mehreren Projekten begleiten. Anfang 2014 wollen sie zwei brandenburgische Kommunen auswählen, in denen die Umsetzung neuer Energieformen – etwa als Bioenergiedorf oder mit Energiegenossenschaften – nicht ganz reibungslos verläuft. Die Wissenschaftler interessieren die zum Teil erheblichen Konflikte, die bei der Umsetzung der Energiewende vor Ort entstehen. Bundesweite Vergleichsfälle sollen zeigen, woran es liegt, dass einige Kommunen – in Brandenburg etwa das energieautarke Dorf Feldheim oder Prenzlau mit einem Hybridkraftwerk – erfolgreich sind, während andere nicht recht vorankommen. Den Wissenschaftlern geht es um Lerneffekte, sie suchen erfolgreiche Beispiele, die übertragen werden können. Für das Projekt im Auftrag des Bundesforschungsministeriums arbeitet das IRS eng mit der Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB) zusammen.

Ein zweites Forschungsprojekt richtet den Blick auf raumpolitische Fragen der Energiewende. Auch hier werden Modellregionen in Brandenburg genauer betrachtet. Zum einen soll eine länderübergreifende Untersuchung zwischen dem Landkreis Barnim und der Stadt Berlin klären, inwiefern der Wandel positive Synergieeffekte zwischen Stadt und Umland mit sich bringt. Die zweite Projekt-Region ist die Prignitz, eines der größten Windstromgebiete Deutschlands. Die Frage ist hier, wer von den vielzähligen Windkraftanlagen dort eigentlich profitiert. Im Vergleich mit ähnlichen Gebieten in Baden-Württemberg und Nordfriesland zeichne sich in der Prignitz ab, dass die Region nur wenig von der Entwicklung hat. Durch die Gegenüberstellung verschiedener Regionen wollen die Forscher künftig klären, warum das so ist.

Die negative Entwicklung betreffe vor allem Gebiete in Ostdeutschland, in Brandenburg beispielsweise auch die Uckermark und die Lausitz. Ein Grund dafür sei, dass die Eigentümer der Anlagen nicht aus der Region stammen. Ein anderer, dass man die Bürger nicht rechtzeitig an den Projekten partizipieren hat lassen. Hinzu komme, dass in den neuen Bundesländern nur wenige die wirtschaftliche Kraft für Beteiligungen an den Vorhaben hatten. „Wir müssen daher stärker hinterfragen, wer vor Ort von der Wende profitiert“, so Ludger Gailing, Mitarbeiter im zweiten Projekt. Die Raumforscher empfehlen in diesem Zusammenhang, die regionale Wertschöpfung stärker in die Landesplanung aufzunehmen – damit die Gewinne nicht ausschließlich bei denen bleiben, die das nötige Know-how bereits im Vorfeld mitbringen. Und damit die Erträge aus den neuen Energieanlagen auch in der Region bleiben. Eine wichtige Frage sei daher, wie die Bürger vor Ort stärker in den Wandel miteinbezogen werden können.

Ein anderer Aspekt ist der Netzausbau. Hier müsse vor allem vermieden werden, dass in den kommenden zehn Jahren Überkapazitäten aufgebaut werden. Denn diese Netze müssen dann auch – kostspielig – unterhalten werden, was ähnliche Probleme wie bei der Abwasserentsorgung mit sich bringen könnte. Hinzu komme, dass die Ernergiewende nicht immer so dezentral verlaufe, wie sich das manch einer wünscht. Einzelne Quellen erneuerbarer Energien sind zwar durchaus dezentraler Natur. „Doch die nötige Vernetzung macht daraus oftmals wieder ein Zentralsystem“, gibt Timothy Moss zu bedenken.

Durch die gleichzeitige Analyse von Akteuren, Institutionen und Räumen erwarten die Forscher um Timothy Moss eine einzigartige Perspektive auf die Umsetzung des komplexen Projektes Energiewende, das Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) unlängst als größte politische und wirtschaftliche Herausforderung seit dem Wiederaufbau nach dem Krieg bezeichnet hatte. „Darüber hinaus ist die Sichtweise hilfreich, Energie als eines von vielen regionalen Gemeinschaftsgütern zu sehen“, ergänzt Moss.

Die Energiewende spielt sich heute stärker in den ländlichen Räumen als in den Städten ab. „Dies stellt die Kommunen dort vor große Herausforderungen und lässt es sinnvoll erscheinen, dass die Instrumente auf zentraler Ebene die Notwendigkeit integrierter lokaler Handlungskonzepte mitdenken“, so Ludger Gailing. Dabei machen die Forscher auch eine große Diskrepanz zwischen den von der Politik vorgegebenen Gestaltungsmöglichkeiten durch die Energiewende und der tatsächlichen Situation vor Ort aus. Die großen Entwicklungschancen zu nutzen, erfordere meist hohe Wirtschaftskraft, gute Vernetzung und zivilgesellschaftliches Engagement. „Das schöne Bild der Gestaltungsregionen ist sehr brüchig und in Deutschland räumlich sehr differenziert anzutreffen“, meint Timothy Moss. Die Forscher wollen der Politik in den kommenden Jahren zu dem Wandel Handlungsempfehlungen geben. Denn wichtig sei es auch, zu erkennen, welche Fehler entstehen, wenn die Energiewende zu schnell vollzogen wird.

Andererseits gibt es aber auch eine Ebene, in der das Vorhaben Energiewende nach Ansicht der Wissenschaftler noch nicht angekommen ist. „Im angebotsorientierten Denken der Energieversorger findet kein Wandel statt“, sagte Moss. Hier gehe es weiterhin in erster Linie um den Ausbau von Anlagen und Investitionen, die Themen Energiesparen und -effizienz würden eher stiefmütterlich behandelt. Dennoch: Die Chancen, die in der Energiewende stecken, halten die Strukturforscher für groß. Hinzu komme ein großes internationales Interesse an den Ergebnissen der Forscher. Deutschland könnte hier Modellcharakter erlangen.

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