
© Kai-Uwe Heinrich
Von Sidney Gennies, Cay Dobberke und Henri Kramer: Klicks zum finanziellen Ruin
Vorsicht, Kostenfalle: Auch Potsdamer Jugendliche laden sich bei Tauschbörsen illegal Filme und Musik herunter – die Folgen können gravierend sein
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Ein Song von Lady Gaga: Rund 1200 Euro. Ein Horrorfilm: Knapp 1000 Euro. Ein unbedachter Klick in einer Internettauschbörse: 450 Euro. Markus Timm bekommt ständig solche Fälle auf seinen Tisch. Der Potsdamer Anwalt beschäftigt sich mit einem Phänomen, das längst auch die brandenburgische Landeshauptstadt erreicht hat: Bundesweit werden nach Experten-Schätzungen jährlich mehrere Hunderttausend Abmahnungen wegen Verstößen gegen das Urheberrecht versandt – Tendenz steigend.
Eine von Timms derzeit rund 40 Mandanten ist Anke Gürtner (Namen v. d. Red. geändert). Im Mai erhielt sie überraschend Post von einer Münchner Anwaltskanzlei. „Auf 15 Seiten teilten mir die Anwälte mit, dass sie eine Filmfirma vertreten würden.“ Ihr Vorwurf: Anke Gürtner habe dieses Jahr am 6. Februar den Horror-Film „Halloween“ zum Herunterladen angeboten. Die Kanzlei verlangte von der Potsdamerin eine Unterlassungserklärung innerhalb einer Frist von wenigen Tagen. Zugleich wurden Schadensersatz und Abmahnkosten in Höhe von 956 Euro gefordert. „Bis dahin wusste ich gar nicht, was es mit Tauschbörsen im Internet auf sich hat“, sagt Anke Gürtner.
Ihr 17 Jahre alter Sohn René dagegen wusste sofort, was gemeint war. Er hatte den Film über den Internetanschluss seiner Mutter heruntergeladen, dazu eine Tauschbörse besucht. „Ich habe aber gar nicht mitbekommen, dass ich den Film dabei auch selbst zum Download angeboten habe“, sagt René. Die beiden gingen zu Anwalt Timm.
Solche Fälle gibt es Tausende in Deutschland. Schlagzeilen machte zuletzt im benachbarten Berlin der Fall einer Zehlendorfer Familie, deren zwölfjähriger Sohn 295 Songs illegal aus Internet-Tauschbörsen heruntergeladen hatte. Daraufhin kamen gleich mehrere Abmahnungen einer Anwaltskanzlei, die im Auftrag der Musikindustrie tätig ist. Anwaltskosten und Schadensersatz summierten sich pro Abmahnung auf bis zu 1200 Euro, sodass die Eltern den finanziellen Ruin befürchteten – berechtigte Forderungen der Rechteinhaber beliefen sich auf etwa eine Viertelmillion Euro.
Die Hemmschwelle zur Straftat ist beim illegalen Musikdownload besonders niedrig. Die Betreiber der Plattformen werben mit kostenloser „free“-Musik. Dass dabei die Urheberrechte unzähliger Künstler mit Füßen getreten werden, steht dort freilich nicht. Die Musikindustrie setzt deshalb auf „Aufklärung durch Abschreckung“, wie Daniel Knöll, Sprecher des Bundesverbandes der Musikindustrie (BVMI), erklärt. „Wir wollen, dass jeder jemanden kennt, der schon einmal erwischt wurde“, sagt Knöll. Dabei seien Minderjährige nicht einmal das Hauptproblem. Knöll vermutet sogar, dass häufig die Kinder nur von Erwachsenen vorgeschoben würden. „Wenn wir auf einem Computer Lieder von Helene Fischer finden, entspricht das nicht dem Geschmack eines 13-Jährigen.“
Andreas Klisch verweist auf einen anderen Aspekt. Der Potsdamer Medienpädagoge ist Vize-Chef des Vereins Landesarbeitsgemeinschaft Multimedia Brandenburg und Referent in der Potsdamer Medienwerkstatt mit Sitz am Schilfhof am Schlaatz. „Wenn Jugendliche anfangen, sich durchs Internet zu bewegen, haben sie häufig keine Spur von Unrechtsbewusstsein, dass das, was sie tun, auch illegal sein könnte.“ Auch Eltern könnten das kaum verhindern. „Wir versuchen in Seminaren an Schulen Dinge wie das Urheberrecht zu erklären.“ Schülern müsse geholfen werden, die unzähligen Angebote im Internet einzuordnen. So weise er zum Beispiel regelmäßig auch auf lizenzfreie Musik-Angebote hin. Doch ob das immer funktioniere, daran kann auch Klisch nicht glauben: „Die Alternativen sind nie so hip wie der aktuelle Lieblingssong, den ein Jugendlicher sind herunterladen möchte.“
Manches Mal mit bösen Folgen – in denen dann Mike Timm oder andere Anwälte Retter spielen sollen. Stolz verweist Jurist Timm dabei darauf, dass er bei seinen 40 Mandanten ein Gerichtsverfahren bisher vermieden habe. Ein Beispiel dafür sind Anke Gürtner und ihr Sohn. „In solchen Fällen sollte zunächst eine mit Hilfe eines Anwalts modifizierte Unterlassungserklärung rechtzeitig abgegeben werden“, sagt Anwalt Timm. Sonst drohe ein sehr teurer Haftungsprozess. Anders bei den Abmahnkosten, da legt er regelmäßig Widerspruch ein. „Die Rechtslage ist unklar und nicht einheitlich“, meint Timm.
Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele Familien durch die Netzausflüge ihrer Kinder in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Gemeinhin gilt als ausgemacht: Kann der Vorwurf der Urheberrechtsverletzung nachgewiesen werden, kommen Betroffene kaum umhin, Kosten des gegnerischen Anwalts zu begleichen. Aus seiner Praxis berichtet Anwalt Timm allerdings, dass nach dem Abschicken der Unterlassungserklärung samt Anwaltsschreiben bisher noch keiner seiner Mandanten verklagt worden sei. Dies sei auch bei Elke Förster der Fall gewesen, die im August mit ihrem Sohn André in seiner Kanzlei vorstellig wurde. Sie hatte von einem Anwalt eine Rechnung über 1298 Euro samt der obligatorischen Unterlassungserklärung erhalten – sie habe einen Streifen einer Pornofilm-Firma im Internet angeboten, so der Vorwurf.
Doch Elke Förster bestreitet das: „Zu der Zeit, als das passiert sein soll, war ich gar nicht zu Hause.“ Dem Anwalt legt sie eine Bestätigung von ihrer Arbeitsstelle bei. Und auch ihr Sohn bestritt, etwas mit dem Herunterladen zu tun zu haben. Anwalt Timm schrieb das alles an die Kanzlei, die seine Mandanten abgemahnt hatte. Seitdem hat er nichts mehr gehört. Urheberrechtsverletzungen verjähren nach drei Jahren.
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