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Homepage: „Know-How-Verluste können wir uns nicht mehr leisten“

Die bildungspolitische Sprecherin der Union Katherina Reiche über Studienabbrecher, Kernfusionsforschung und neue Gesetze

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Die bildungspolitische Sprecherin der Union Katherina Reiche über Studienabbrecher, Kernfusionsforschung und neue Gesetze Reicht die Exzellenzinitiative von Bund und Ländern aus, um den Hochschul- und Forschungsstandort Deutschland nach vorne zu bringen? Die Exzellenzinitiative ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie bietet die Chance, dass sich gute Hochschulen und Fachbereiche aus der breiten Masse hervorheben können. Dies gilt auch für Brandenburg, das in den Wissenschafts-Rankings bisher leider oft hinten lag. Ich hoffe, dass nun Brandenburgs Hochschulen mit dem ein oder anderen Cluster erfolgreich sein werden und zeigen können, welches Potenzial sie haben. Die Exzellenzinitative wird aber nur den gewünschten Erfolg bringen, wenn die Hochschulen gleichzeitig mehr Freiheit und Autonomie erhalten. Zudem müssen wir über die jetzige Exzellenzinitiative hinaus gezielt Forschungskooperationen mit Unternehmen anregen. Rot-Grün nimmt für sich in Anspruch, die Ausgaben für Hochschulen und Forschung um 30 Prozent gesteigert zu haben. Die Regierung Schröder ist 1998 angetreten, die Forschungsausgaben zu verdoppeln. Sieben Jahre später ist daraus eine Kürzung geworden. Bis 2004 hat die Bundesregierung die Forschungsmittel um 7,74 Prozent erhöht. Bei einer Inflationsrate von 8,4 Prozent ist dies eine reale Kürzung. Über diesen Misserfolg können die willkürlich zusammengestellten Teilrechnungen von Frau Bulmahn nicht hinwegtäuschen. Besonders hart hat es die Innovationsförderung für den Mittelstand und den Hochschulbau getroffen. Wirtschaftsminister Clement hat die Technologieförderung als Spardose seines Haushaltes benutzt. Die Bundesmittel für den Hochschulbau wurden in den letzten Jahren von 1,1 Milliarden Euro auf 925 Millionen Euro runtergekürzt. Woher sollten Mittel für höhere Ausgaben bei Bildung und Forschung kommen? Bei 50 Milliarden Euro Defizit allein auf Bundesebene sind die Spielräume eng. Wir werden in allen Bereichen unter anderem bei der Steinkohleförderung massiv Subventionen abbauen. Sie wollen die Forschungsförderung beim Bund konzentriert sehen. Wie sieht es mit dem Hochschulbau aus? Die Frage liegt auf Eis, weil die Förderalismusdebatte zum erliegen gekommen ist. Sie muss so bald wie möglich gelöst werden. Für Brandenburg wäre es nicht zu schaffen, den Hochschulbau aus eigenen Mitteln zu tragen. Müssen Brandenburg und Berlin in der Wissenschaft enger zusammenrücken? Wir wollen die Fusion von Berlin und Brandenburg. Es ist wichtig, dass die Kräfte gebündelt werden. Es gibt zwar auch Bereiche, in denen Berlin alleine erfolgreich sein könnte, etwa in der Medizin. Aber im Bereich der Geowissenschaften sowie der Luft und Raumfahrt ist Brandenburg ganz vorne. Die Zahl der Studienplätze in Brandenburg ist vergleichsweise zu gering. Es ist der Verdienst von Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU), wenn die Hochschulen aus Nullrunden und Kürzungen weitgehend heraus gehalten werden. Aber ohne Zweifel müssen wir bei den Studienplätzen weiter investieren. Sie befürworten Studiengebühren, gleichzeitig sollen aber die Studienplatzzahlen steigen. Wie geht das zusammen? Österreich, Australien und Kanada beispielsweise haben gezeigt, dass das sehr wohl möglich ist. In Österreich gingen die Studierendenzahlen nach der Einführung von Gebühren kurzfristig zurück. Jetzt ist die Zahl der Erstsemster dort höher als jemals zuvor. Voraussetzung für die Einführung von Studienbeiträgen ist natürlich, dass sie sozial abgefedert werden. Wir wollen, dass sie nachlaufend bezahlt werden können – also erst, wenn der Absolvent über ein regelmäßiges Einkommen verfügt. Jedem sollen günstige Darlehensmodelle offen stehen, für die Begabten soll es Stipendien geben. Das ist ja auch das Erfolgskonzept in den anderen Ländern. Die KfW-Bankengruppe hat einen sehr attraktiven Vorschlag für einen allgemeinen Studienkredit zu sehr günstigen Konditionen gemacht, den jeder unabhängig von seiner finanziellen Lage in Anspruch nehmen kann. Die KfW hat die Realisierung zwar erst einmal verschoben, um damit nicht in die Mühlen des Wahlkampfs zu kommen. Ich bin aber sicher, dass sie den Vorschlag schon bald wieder aufgreift. Mit den Studienbeiträgen wird die Qualität des Studiums steigen. Die Hochschulen sollen sie vor allem für die Lehre einsetzen, um Tutorien und Bibliotheken zu finanzieren sowie Leistungsstipendien auszuschreiben. Dann steigt auch die Erfolgsquote. Unser Problem in Deutschland sind ja nicht zu geringe Anfängerzahlen. Es beginnen schon fast 40 Prozent eines Jahrgangs ein Studium, aber nur 19 Prozent eines Jahrgangs schließen erfolgreich ab. Die vielen Studienabbrecher deuten auf Qualitätsmängel hin. Das müssen wir in den Griff bekommen. Die Erfolgsquote lässt sich nur durch ein möglichst reibungsloses Studium anheben, ohne Warteplätze, unmögliche Schließzeiten von Bibliotheken oder Auslosen von Laborplätzen, aber mit intensiver Betreuung. Das ist unser Ziel. Können so auch die so genannten bildungsfernen Schichten studieren? Da muss früher angesetzt werden. In der Grundschule und im Kindergarten muss der Lernprozess verstärkt werden. Zudem brauchen wir einen Bewusstseinswandel. Es muss allen Bürgern vermittelt werden, dass das Studium nicht in erster Linie ein Kostenfaktor ist, sondern eine Investition in die persönliche Zukunft. Akademiker verdienen im Schnitt mehr und sind viel seltener arbeitslos. Wenn wir glaubhaft zeigen können, dass das Studium in der Regel auch erfolgreich abgeschlossen wird, treten die Kostenargumente schnell in den Hintergrund. Ein junger Akademikerhaushalt wird durch Studiengebühren mit einem Schuldenberg aus der Hochschule gehen. Die Belastungsgrenze ist gedeckelt. Wir reden von höchstens 500 Euro pro Semster. Die Gesamtbelastung aus den Studienbeiträgen liegt damit bei 4000 bis 5000 Euro. Die Einführung der Studienbeiträge und die genaue Ausgestaltung ist Sache der Länder. Die Unionsgeführten haben sich auf Eckpunkte geeinigt, Baden-Württemberg bereitet schon ein Modell vor. Das sieht zum Beispiel vor, dass die maximale Verschuldungssumme für BAföG-Empfänger auf 15 000 Euro begrenzt ist. Heute liegt diese allein aus dem BAföG schon bei 10 000 Euro. Das Teure am Studium sind die Lebenshaltungskosten und das Teuerste ist ein erfolglos abgebrochenes Studium. Ich setze mich zudem dafür ein, dass das Bildunsgsparen so gefördert wird wie heute schon das Bausparen. Dann können die Familien früh anfangen vorzusorgen. Und die Gerechtigkeit? Es stellt sich schon die Frage, ob ein persönlicher Beitrag zu viel verlangt ist für ein Studium, das z.B. im Fach Jura rund 30 000 Euro kostet und in der Medizin 130 000 Euro. Ich frage mich, warum Nicht-Akademiker 90 Prozent des Studiums für angehende Akademiker bezahlen sollen. Es ist sozial ungerecht, dass der Fleischermeister, die Krankenschwester und der Müllmann die Ausbildung der Akademiker zahlen. Es ist nicht erklärbar, wieso die Gebühren für Kindergartenplätze explodieren und das Studium kostenfrei bleibt. An welchen Punkten unterscheiden sich die bildungspolitischen Vorstellungen der CDU am deutlichsten von Rot-Grün? In der Schule setzen wir auf Leistung. Wir wollen keinen rot-grünen Einheitsschulbrei, sondern die Kinder begabungsgerecht fordern und fördern. PISA gibt uns recht. Wo die Union regiert, ist Schule besser. Für die Hochschulen wollen wir Autonomie. Rot-Grün hat aus dem Hochschulrahmengestz ein Zwangskorsett gemacht. Die Hochschulen brauchen Freiheit, sie müssen sich ihre Studenten und ihre Wissenschaftler selbst aussuchen dürfen. Die ZVS, die bisher die Studenten zugewiesen hat, gehört nicht mehr ins 21. Jahrhundert. Hochschulen müssen gute Jungwissenschaftler länger beschäftigen können. Dafür muss die heute geltende strenge Befristungsgrenze von zwölf Jahren gelockert werden. Sie wollen auch Gesetze ändern. Damit sich die Wissenschaft in Deutschland gut entwickeln kann und für die Schaffung zukunftsträchtiger Arbeitsplätze neue Technologiefelder erschlossen werden können, wollen wir Gesetze ändern, die die Forschung hemmen. In erster Linie gilt dies für das rot-grüne Gentechnikgesetz. Wir müssen auch zu einer ausgewogenen Energieforschung zurückkehren. Allein auf erneuerbare Energien zu setzen reicht nicht. In der Fusionsforschung sind wir Spitze, aber unter Rot-Grün sind wichtige internationale Projekte ins Ausland gegangen. Der ITER wird eben nicht in Greifswald, sondern in Südfrankreich gebaut. Solchen Know-How-Verlust können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Wir müssen auch dringend in der Frauenförderung voran kommen. Und auf der Ebene des Kanzlers? Deutschland braucht einen autonomen Wissenschaftsberater, der mit am Kanzlertisch sitzt. Ähnlich wie in Großbritannien, wo mit Sir David King ein unabhängiger renommierter Wissenschaftler als Chief Scientific Adviser mit am Kabinettstisch sitzt und beratend zu allen Fragen der Wissenschaft sein Wort erhebt, von Klimaschutz über BSE bis Vogelgrippe. So kann sofort auf alle Ressourcen der Wissenschaft zurückgegriffen werden, um konzertiert auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können. Ein solcher Berater, der unabhängig von der Regierung auch unbequeme Dinge ansprechen kann, würde dazu führen, dass wissenschaftliche Beratung an Vertrauen gewinnt. Das Interview führte Jan Kixmüller

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