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Auf einer Tagung an der Universität Potsdam wurde das Fortwirken kolonialer Strukturen untersucht
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Die Vergangenheit ist noch längst nicht vorüber, stellt der englische Kulturwissenschaftler Paul Gilroy in seinem Vortrag fest. „Postkoloniale Gerechtigkeit“ war das Thema einer viertägigen Tagung der Universität Potsdam am Wochenende zusammen mit der Gesellschaft für die neuen englischsprachigen Literaturen (Asnel) und der Gesellschaft für Australienstudien (GASt). Wie können die ehemaligen Kolonialmächte angemessen mit ihrer Vergangenheit umgehen und wie wirkt diese auch heute noch in der aktuellen Politik fort? Die Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan wies darauf hin, dass auch das Konzept der „Postcolonial Justice“ wiederum in den früheren Kolonialstaaten entwickelt worden sei. Jedoch kommt sie zu dem Schluss, dass die Werkzeuge des Meisters auch benutzt werden können, um den Meister zu demontieren.
In der Diskussion wurde klar, dass auch in Deutschland noch lange nicht alle Strukturen erkannt und diskutiert sind, in denen sich die koloniale Vergangenheit manifestiert. Dies äußere sich nicht zuletzt im Umgang mit dem NSU Skandal. Viel zu lange hätten polizeiliche Untersuchungen dort einen rechtsradikalen Hintergrund ausdrücklich ausgeschlossen. Ein Sprecher sah auch positive Entwicklungen im Umgang mit der kolonialen Vergangenheit. 2009 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin Kreuzberg-Friedrichshain einen Uferstreifen der Spree und die entsprechende Straße nach der Aktivistin May Ayim zu benennen. Ayim hatte mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten, aber auch in Gedichten und Vorträgen, darauf hingewiesen, dass Bezeichnungen wie Neger, Mohr oder Mischling die Herabwürdigung des so Bezeichneten beinhalten. Sie forderte eine größere Sensibilität in der Alltagssprache und zeigte ein beispielhaftes gesellschaftliches Engagement.
Auf Straßennamen in Berlin, insbesondere im „Afrikanischen Viertel“ in Wedding, die auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands zurückgehen, weist auch Dirk Wiemann, einer der Organisatoren der Tagung, hin. „Berlin ist kein Raumschiff“, sagte Wiemann. „Aktuelle Politik hat ihre Wurzeln auch in der kolonialen Vergangenheit Europas.“ In der Bundeshauptstadt fokussiere sich die deutsche und auch die europäische Flüchtlingspolitik. Dies hätten erst kürzlich die Auseinandersetzungen um das Flüchtlingscamp am Oranienplatz gezeigt. Nach Ansicht von Wiemann hat Berlin und auch Europa noch nicht zu einer schlüssigen Position im Umgang mit den zahlreichen Flüchtlingen vom afrikanischen Kontinent gefunden. Diskussionen, die an der Universität über die Fortwirkungen des Kolonialismus geführt würden, erschienen außerhalb der Universität gelegentlich etwas abgehoben. Deshalb habe die Tagung auch die Auseinandersetzung mit lokalen Berliner Initiativen gesucht und deren Vertreter eingeladen.
Paul Gilroy ließ den „Kampf gegen den Rassismus in England“ in den vergangenen 30 Jahren Revue passieren. Er fragte, wie weit rassistische Strukturen auch heute noch bei der englischen Polizei und in der Gesellschaft fortwirken. Ausführlich ging Gilroy auf die Unruhen in England im Jahr 2011 ein, die begannen, als die Polizei den 29-jährigen Schwarzen Mark Duggan bei einer geplanten Festnahme erschoss. Ausgehend von dem Londoner Stadtteil Tottenham breiteten sich die Unruhen auch in Liverpool, Manchester, Birmingham und anderen englischen Städten aus. Mehrere Tote und erhebliche Sachschäden waren die Folge. Zwar hatte England sich bemüht, der Polizei rassistische Strukturen mit Schulungsprogrammen auszutreiben. Trotzdem konnte diese sich nicht zu einer Entschuldigung bei der Familie des Erschossenen durchringen. Auch nicht, nachdem eine offizielle Untersuchung festgestellt hatte, dass Mark Duggan unbewaffnet war.
Die australische Künstlerin Fiona Foley berichtete auf der Tagung darüber, wie sie es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit ihrer Kunst an die Geschichte der Ureinwohner Australiens zu erinnern und die Gesellschaft herauszufordern. Mit Stelen, deren Form sie an traditionelle Skulpturen der Aborigines in Australien anlehnt, greift sie eine Bestattungsform auf, bei der die Knochen der Verstorbenen in Grabpfosten eingefügt wurden. Foley erinnert daran, dass es in australischen Museen kaum ein Kunstwerk der Ureinwohner Australiens gibt.
Auch Stefanie Land-Hilbert, die derzeit in Potsdam promoviert, weist darauf hin, dass das westliche Bild vom indigenen Einwohner Australiens ebenso Klischee beladen sei, wie dasjenige des „Indianers“, wenn auch in anderer Weise. „Auch Karl Mays Winnetou prägt noch immer das verzerrte Bild von indigenen Völkern als edle Wilde mit“, sagte Stefanie Land-Hilbert. Tatsächlich aber fänden sich unter den Aborigines Australiens längst Ärzte, Rechtsanwälte und andere Akademiker. Stefanie Land-Hilbert untersucht, wie die Ureinwohner Australiens und Kanadas lange in Schulbüchern dargestellt wurden. Bis in die 1980er-Jahre sei die Kolonisation Australiens und Kanadas vorwiegend damit gerechtfertigt worden, dass erst die weißen Siedler den „Wilden“ die Kultur gebracht und die Rohstoffe der brachliegenden Kontinente erschlossen hätten. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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