Landeshauptstadt: Kondome statt Butterbrot
700 Potsdamer Zehntklässler bekommen zur obligatorischen Schulabgangsuntersuchung eine „Lümmeltüte“ mit Kondom und Info-Material / Sozialbeigeordnete will 2010 auch Gymnasien einbeziehen
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Zuckertüten zur Schuleinführung, Lümmeltüten beim Schulabschluss: Zehntklässler der Käthe-Kollwitz-Oberschule bekamen gestern bei der Schulabgangsuntersuchung im Potsdamer Gesundheitsamt erstmals „Lümmeltüten“ überreicht. Inhalt der dafür „zweckentfremdeten“ Butterbrottüten: Ein bunt verpacktes Kondom, eine Postkarte mit örtlichen Ansprechpartnern zum Thema Sexualität und Gesundheit sowie Infomaterial zum tödlichen HI-Virus und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Insgesamt 700 Potsdamer Zehntklässler bekommen die Tüte in den kommenden Tagen, brandenburgweit werden in 18 Kommunen 13 500 Exemplare verteilt.
Sabine Kaschubowski, Sozialarbeiterin bei der Potsdamer Aidshilfe, die das Projekt der Initiative „Brandenburg – Gemeinsam gegen Aids“ ins Leben gerufen hat, hofft, dass mit der Tütenaktion Wissenslücken geschlossen werden. Eine Vergleichsstudie unter brandenburgischen und polnischen Jugendlichen habe ergeben, dass die jungen Brandenburger zwar „ganz gut“ über die tödliche Immunschwächekrankheit Aids Bescheid wissen. Wo sie im Ernstfall aber Hilfe finden, sei dagegen weniger bekannt: So habe etwa jeder vierte Jugendliche nicht gewusst, dass man sich in Gesundheitsämtern kostenlos und anonym testen lassen kann. Die Adressen vom Gesundheitsamt und anderen Beratungsstellen finden sich nun auf einer handlichen Karte in den Tüten – zum Aufheben und Anpinnen.
Gymnasiasten gehen im ersten Jahr der Aktion allerdings leer aus: Denn sie müssen sich nicht der vom Jugendarbeitsschutzgesetz vorgeschriebenen Schulabgangsuntersuchung unterziehen, erklärt Kaschubowski. Potsdams Sozialbeigeordnete Elona Müller (parteilos) begrüßte die Tüten ausdrücklich und sprach sich dafür aus, sie im kommenden Jahr auch an Gymnasien zu verteilen. Sie wolle das mit dem Schulamt diskutieren. „Es kann nicht sein, dass wir diese jungen Menschen ausschließen“, sagte sie den PNN.
Auch für die weitere Finanzierung des Projekts will sie sich stark machen. Denn wie und ob es im kommenden Jahr wieder „Lümmeltüten“ geben wird, ist noch unklar. Insgesamt 9000 Euro Lottomittel vom Land Brandenburg sind in den vergangenen zwei Jahren in das Projekt geflossen, sagte Sabine Kaschubowski. „Die Kondome waren das teuerste“, erklärte sie: 7000 Euro kostete der Schülerkreativwettbewerb, bei dem die jetzt in den Tüten enthaltenen Kondomverpackungen entstanden.
Für die Weiterführung will Elona Müller nun gemeinsam mit der Aidshilfe die Krankenkassen ansprechen: „Das ist Gesundheitsprävention“, erklärte die Sozialdezernentin: „Und ein einziger Aids-Fall kostet schon ein Vielfaches mehr als diese ganze Kampagne.“
Das Beratungsangebot im Potsdamer Gesundheitsamt wird nach Angaben von Assistenzarzt Sascha Streicher „sehr gut angenommen“. Potsdam sei die Stadt, wo brandenburgweit die meisten Tests gemacht werden. Auch Brandenburger aus anderen Kommunen suchten die Anonymität in der Landeshauptstadt.
Diesen Trend bestätigte auch Jirka Witschak vom Katte e.V. (Kommunale Arbeitsgemeinschaft Tolerantes Brandenburg), der schwulen Männern Beratung und Hilfe anbietet: Gut 80 Prozent der Nutzer kämen aus anderen Landkreisen. Am 22. und 29. September bietet Katte e.V. im Rahmen der bundesweiten „Schnelltest-Wochen“ gemeinsam mit dem Gesundheitsamt Aids-Schnelltests an. Jana Haase
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