Landeshauptstadt: Kunst am Bauzaun
Endlich ist Potsdams Mitte bunt: Junge Sprayer aus Brandenburg und Berlin verschönerten auf 208 Metern die Landtagsbaustelle
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Innenstadt - Nikola Wacke arbeitet gerade die Details der weißen Rose im Zentrum des Bildes aus. Immer wieder tritt sie kurz zurück, wirft ab und zu einen Blick auf ihre Entwurfskizze. Die weiße Rose hat die 32-jährige Berlinerin nicht nur wegen des Kontrastes gewählt, sondern auch wegen ihres Bezuges zur gleichnamigen Widerstandsbewegung um die Geschwister Scholl. Ihr Graffiti ist noch nicht fertig: „Das Rot da oben ist nicht ganz gedeckt und die beiden Hände, die noch dazukommen, sind auch nicht ganz so einfach.“
Nikola Wacke ist eine der 48 jungen Künstler aus Brandenburg und Berlin, die 208 Meter Zaun an Potsdams bekanntester Baustelle – dem Landtagsschloss am Alten Markt – verschönern dürfen. Gearbeitet wird seit Freitagnachmittag, am Sonntag arbeiten einige immer noch an ihren Werken, begleitet von staunenden Passanten, die immer wieder ins Gespräch kommen mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Nikola Wacke – ihr Künstlerpseudonym lautet „Danger“ (Gefahr) – hat es beim Wettbewerb um jeweils zehn Meter Bauzaun mit einem Regenbogen-Entwurf unter die Teilnehmer geschafft. Zwei Hände, eine hell-, die andere dunkelhäutig, greifen nach einer weißen Rose. Den Hintergrund bilden Regenbogenfarben. Gleich neben ihr sprayt der 24-jährige „Jeys“ aus Cottbus mit einer Maske über dem Gesicht, um nicht zu viele giftige Dämpfe einzuatmen. „Meine Gasmaske hab’ ich im Auto liegengelassen“, sagt Nikola Wacke, „aber ich spraye ja draußen, da ist das nicht so schlimm. Außerdem schwitzt man unter der Maske ganz schön.“ Die 1000 Farbdosen, die den Künstlern zur Verfügung stehen, wurden von der Aktion „Tolerantes Brandenburg“, dem Landtag, der Stadt Potsdam und dem brandenburgischen Finanzministerium gesponsert – sie unterstützen die „208 Meter Toleranz“-Aktion.
Am Bauzaun arbeiten vor allem junge Männer, Nikola „Danger“ Wacke gehört zu den wenigen Frauen, die Graffiti sprühen. Schlechte Erfahrungen in der Sprayer-Szene hat die Berlinerin in der Vergangenheit nicht gemacht: „Am Anfang war da schon etwas Skepsis. Manche haben halt geguckt und gedacht ‚Was will die hier?’ Da ist man als Frau schon unter Druck. Und wenn das Graffito dann scheiße wird, sagen natürlich alle: ‚War ja klar!’ Aber ich glaube, das ist in jeder Männerdomäne so.“ Sich ein Graffito zum Thema Toleranz auszudenken, war für sie auch deshalb nicht schwer: „Toleranz ist überall wichtig, egal ob zwischen einzelnen Menschen oder zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Und sie fehlt immer noch vielen.“
Die meisten Potsdamer aber scheinen sehr tolerant: Viele bleiben interessiert stehen, um die Entstehung der Kunstwerke zu beobachten. „Wir finden es ganz toll, dass man hier sprayen kann, sodass es kein Ärgernis ist“, sagt Doris Guldner aus Potsdam. Sie sei durch ihren Graffiti-begeisterten Enkel auf die Aktion aufmerksam geworden. „200 Graffiti habe ich schon fotografiert“, sagt der siebenjährige Nicolas.
Auch Wacke findet das Graffiti-Wochenende klasse: „Von einer so großen, öffentlichen Graffiti-Aktion, die als Event konzipiert ist, habe ich in Berlin auch noch nicht gehört, das ist schon einzigartig.“ Normalerweise können Graffiti-Künstler nur in eher abgelegenen Bereichen offiziell sprayen, aber „hier kann es jeder sehen“, sagt Nikola Wacke. Einen Bauzaun zu besprühen hält sie für eine gute Idee. Der Potsdamer Benjamin Bauer – vergangenes Jahr Oberbürgermeister-Kandidat für die Wählergruppe Die Andere – glaubt, dass die Aktion große Bedeutung für die Sensibilisierung gegenüber Sprayern in der Landeshauptstadt haben könnte: „Man muss den Leuten Graffiti erst einmal näherbringen, um ihnen zu zeigen: Wir wollen hier Kunst machen, wir sind keine Verbrecher.“
Einige der Künstler haben sich sehr Ungewöhnliches zum Thema Toleranz ausgedacht: Der Entwurf von Falk Wieland aus Märkisch-Oderland sieht sogar eine kleine Treppe vor dem Bauzaun vor, die, wenn man sie betritt, den Blick über den Bauzaun erlaubt, wo ein Schild die Neugierigen informiert: „Glückwunsch! Sie haben den Blick über den Tellerrand gewagt“. Auch wenn Nikola Wacke weiß, das Graffiti eine vergängliche Kunst sind, fände sie es schade, wenn ihr Bild irgendwann übermalt würde: „Man hat sich ja schließlich viel Mühe dafür gegeben. Aber ich glaube, andere Sprayer haben vor Graffiti eher Respekt als vor einer leeren Hauswand.“ Ähnlich sieht das Nico aus Potsdam: „Wenn mein Bild den Sommer übersteht, ist es schon gut. Aber wenn es übersprayt wird, dann fände ich es besser, wenn es ganz übermalt wird anstatt nur mit Tags vollgezeichnet zu werden.“
Der Bauzaun wird bis Mitte 2013 stehen bleiben, danach soll er abgebaut und erneut jugendlichen Sprayern zur Verfügung gestellt werden. Einen Interessenten aus Potsdam, der den Zaun kaufen würde, soll es bereits geben.
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