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Umbrüche in Öl. Die DDR-Kunst zeigt, wie sich die ostdeutsche Gesellschaft verändert hat. Anhand der Darstellungen – hier Bilder im Depot des Kunstarchivs Beeskow – können heute Historiker die zeitlichen Brüche von damals nachvollziehen.

© Anja Tack

Homepage: „Kunst wirkt wie ein Seismograph“

ZZF-Historiker erklären anlässlich der Potsdamer Tagung zur DDR-Kunst, was sie aus Kunstwerken heute noch herauslesen können

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Herr Danyel, Sie leiten ein Projekt zur DDR-Kunst. Was können Historiker aus Kunstwerken erfahren?

An Bilderreihen aus einer bestimmten Zeit lassen sich interessante Entwicklungen zeigen. Blickt man etwa auf die Malerei der DDR in den 1980er Jahren, lässt sich ein neuer Umgang mit Individualität und Subjektivität in der Gesellschaft erkennen. Zahlreiche Porträts zeigen bisher ungewohnte und eigenwillige Bilder von Menschen, die sich nicht mehr unter die damals offiziellen Vorstellungen vom normierten sozialistischen Leben subsumieren lassen. Kunst wirkt hier wie ein Seismograph und macht die Erosion von Herrschaft und politischer Kontrolle und gleichzeitig eine gewisse Endzeitstimmung sichtbar. Die ostdeutsche Gesellschaft hat sich verändert und die Kunst zeigt diesen Wandel. Im Übrigen auch wenn man sich die in dieser Zeit entstandenen Arbeiterbilder ansieht. Zahlreiche Selbstbildnisse von Künstlern aus den 1980er Jahren zeigen ebenfalls diese Veränderungen.

Sehr interessant! Was sehen Sie noch?

Ein Beispiel für einen anderen Blick der Kunst auf die Menschen und die Gesellschaft sind die teils düsteren Stadtlandschaften, die schonungslos heruntergekommene Altstädte und die Umweltverschmutzung mit einer neuen Bildsprache sichtbar machen. So liefert die Kunst spannende Einblicke in die späte DDR-Gesellschaft unmittelbar vor dem Umbruch.

THOMAS SCHAARSCHMIDT: Interessant ist hier auch die zeitliche Abfolge. Es gibt neben der späten Phase auch die des Aufbaus, etwa mit Bildern von Eisenhüttenstadt und klassischen Bildern der Berliner Stalinallee. Anhand dieser Darstellungen kann man die zeitlichen Brüche sehr schön nachvollziehen. Mit einer Ausstellung wollen wir das anhand von Arbeiterporträts zeigen, den klassischen Ikonen der DDR, die zunächst sehr heroisch dargestellt wurden. Man kann das von Willi Sitte über Werner Tübke bis zu Wolfgang Mattheuer finden. In der Abfolge der vier Jahrzehnte der DDR gibt es sehr interessante Abwandlungen und Variationen, bis hin zu einer Spätphase, in der man fast schon von einer Ironisierung dieser Arbeiterporträts sprechen kann.

Was interessiert die Zeithistoriker 20 Jahre nach dem Mauerfall an der DDR-Kunst?

JÜRGEN DANYEL: Zum einen die Tatsache, dass die DDR-Kunst zu einer Projektionsfläche für Diskussionen über den Prozess der deutschen Vereinigung geworden ist. Es gibt bis heute eine sehr heftige Auseinandersetzung darüber, wie man mit der DDR-Kunst umgehen, wie und wo man sie ausstellen soll, ob man sie überhaupt noch zeigen sollte. Zum anderen sind die Zeithistoriker auch aufgefordert, sich gegenüber neuen Quellen zu öffnen, mit denen sie ihre kulturgeschichtlich ausgerichteten Arbeiten untersetzen.

Wie kam es zu dem Projekt DDR-Kunst?

Der Auslöser war die Beobachtung, dass viele Kunstwerke aus der DDR nach 1989 aus den Sammlungen in die Depots verschwunden und damit nicht mehr öffentlich sichtbar sind. Es macht deshalb Sinn, sich einen Überblick über diese in der Öffentlichkeit nicht mehr präsenten Werke zu verschaffen, um auf dieser Grundlage nach neuen Wegen für einen differenzierten Umgang mit diesen Kunstbeständen zu suchen.

Ist die DDR-Kunst heute tatsächlich versteckt und vergessen?

SCHAARSCHMIDT: Viele der Kunstwerke lagern bereits seit der Nachwendezeit in Depots. Wir haben eine ganze Fülle von neuen Bildern bei unseren Recherchen zutage befördert. Nun geht es uns erst einmal darum, die Bestände zu sichten, ihren Wert einzuschätzen und zu einer Auseinandersetzung mit dieser Kunst einzuladen. Das verlangt natürlich, dass sie ins Bewusstsein gerückt wird. Dazu soll der „Bildatlas Kunst in der DDR“ dienen.

Wie wird dieser „Bildatlas“ aussehen?

DANYEL: Neben der Erfassung der verstreuten Bestände soll in dem Projekt auch die Kunst- und Sammlungspolitik der DDR näher erforscht werden. Die Ermittlung von Informationen zu einzelnen Werken und Sammlungen ist gleichzeitig die Grundlage für die Forschungsarbeit. Wir wollen wissen, wie die Bilder in die verschiedenen Sammlungen der DDR kamen: Wie wurde angekauft? Wer hat angekauft? Wie sind Künstler mit diesen Aufträgen umgegangen? Wie stark waren die Aufträge politisch motiviert? Es geht um eine ganze Gemengelage von mit dem Kunstsystem DDR und der staatlichen Kunstpolitik zusammenhängenden Faktoren, die mit dem Projekt erstmals systematisch erforscht werden. Als Grundlage für den „Bildatlas“ dient ein umfassendes Verzeichnis der Werke in einer Forschungsdatenbank, die später auch online für Kunstwissenschaftler, Kuratoren und Zeithistoriker zugänglich gemacht werden soll. Parallel dazu wird es eine Publikation geben, die vor allem eine Typologie der verschiedenen Sammlungen und der damit zusammenhängenden Bestandsbildungen versucht. Geplant ist überdies eine größere Ausstellung zur Kunst in der DDR.

Verraten Sie uns mehr darüber...

SCHAARSCHMIDT: Die Ausstellung „Abschied von Ikarus – Bildwelten in der DDR neu gesehen“ soll am 3. Oktober 2012 in Weimar eröffnet werden. Die Ausstellung will die Ergebnisse des Bildatlas-Projektes insofern deutlich machen, dass sie die Veränderungen der Bildwelten in den 40 Jahren DDR deutlich macht. Teilweise geht es dabei auch um die frühen Aufbrüche in eine Moderne, die dann abgebrochen werden, in der Formalismusdebatte der späten 40er Jahre, dann die Entwicklung im sozialistischen Realismus und später die Brüche, die es ab den 60er und 70er Jahren gegeben hat. Es geht teilweise um die Fokussierung auf Bildinhalte und deren Wandlungen über längere Zeiträume.

Sie kooperieren mit mehreren Einrichtungen.

DANYEL: Insgesamt sind an dem Verbundprojekt nicht nur Zeithistoriker, sondern die Kunstsoziologen um Professor Karl-Siegbert Rehberg an der TU Dresden, die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden und das Kunstarchiv Beeskow beteiligt. Es geht darum, die in verschiedensten Museen, Galerien und Sammlungen verstreuten Werke der Malerei aus der DDR zu sichten, zu erfassen und diese Landschaft gewissermaßen zu kartografieren. Dokumentiert werden dabei auch die Wege der Bilder in die verschiedenen Sammlungen.

Wie muss man sich Kunst in einem staatlich organisierten Rahmen vorstellen?

Wenn man einen Blick beispielsweise in das Kunstarchiv in Beeskow wirft – die größte Sammlung der DDR-Auftragskunst – dann stellt man fest, dass man dort nicht nur vordergründig politische Kunst im Auftrag der Agitation und Propaganda und etwa nur „Arbeiterbilder“ findet, sichtbar wird vielmehr eine sehr differenzierte Kunstlandschaft der DDR. Auch viele Künstler, die bis heute anerkannt und vor 1989 im Westen als interessant galten, haben Auftragsarbeiten gemacht. Es geht uns darum, die konkreten Konstellationen und Aushandlungsprozesse des Kunstsystems in der DDR sichtbar zu machen. Die Situation der Kunst hat sich im Verlauf der DDR-Geschichte verändert, die Spielräume wurden größer. Letztlich hat sich unter dem Mantel der offiziellen staatlichen Kunstpolitik eine wesentlich differenziertere Kunstszene herausgebildet. Das wollen wir an einzelnen Sammlungstypen und auch der Entstehungsgeschichte einzelner Bilder deutlich machen. Das ist ein wichtiger Zugang, um sich noch einmal neu über die Kunst in der DDR zu verständigen.

Der heutige Umgang mit diesem Erbe ist recht kontrovers.

Wie man an der wieder entbrannten Diskussion um den ersten Teil der Dauerausstellung „Der geteilte Himmel“ in der Neuen Nationalgalerie sieht, gibt es nach wie vor eine heftige Debatte um die DDR-Kunst. Man kann noch nicht von einem entspannten Umgang mit dem künstlerischen Erbe der DDR sprechen. Eine der Konfliktlinien verläuft entlang der Frage, ob durch die wieder gezeigten Werke ein Ungleichgewicht weiterlebt, nämlich jenes zwischen der sogenannten offiziellen Kunst auf der einen und der nonkonformen Kunst auf der anderen Seite, die sich eher in den Nischen der DDR-Gesellschaft, im Untergrund abgespielt hat und nicht oder nur gering in den Sammlungen der großen Museen und Galerien vertreten ist.

Was ist der Kritikpunkt?

Die Kritiker sagen, dass die Dominanz der offiziellen Kulturpolitik, die sich in den Sammlungen spiegelt, durch die erneute Präsentation der in der DDR staatlich privilegierten Bilder konserviert wird. Eine in diesem Zusammenhang noch zu klärende Frage ist, inwieweit offizielle Kunstpolitik des Staates und die Sammlungspolitik der einzelnen Museen völlig identisch waren, oder ob es dort Spielräume gab. Wenn dem so ist, kann die Kunst in der DDR, wie sie sich in den Sammlungen spiegelt, nicht allein auf den Herrschaftsanspruch der offiziellen Kunstpolitik reduziert werden.

SCHAARSCHMIDT: Das Thema ist heute noch sehr aufgeladen. Die Planung der Ausstellung ist auch eine gewisse Gratwanderung gewesen. Ursprünglich sollte die Ausstellung den Titel „Rückkehr der Bilder“ tragen. Das hat bei vielen Befremden hervorgerufen, weil der Eindruck erweckt werden könnte, dass DDR-Kunst rehabilitiert werden soll, indem sie aus den Depots in die Ausstellungsräume zurückgeführt wird. Deshalb heißt die Ausstellung nun „Abschied von Ikarus“.

Wie sollte aus Sicht der Historiker mit diesem Kulturerbe heute umgegangen werden?

DANYEL: Die Kunstwerke aus der DDR nur noch als bloße Zeitdokumente zu begreifen, wäre zu kurz gegriffen. Die Werke haben natürlich jeweils eine eigene ästhetische Dimension. In diesem Kontext sind sie auch zu sehen. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass Kunst immer auch Projektionsfläche für gesellschaftliche Entwicklungen ist, ein Katalysator für bestimmte Prozesse und Konflikte, oft spiegeln sich in ihr Umbrüche in der Gesellschaft. So lassen sich an Kunstwerken aus der Anfangszeit der DDR wie auch aus ihrer späten Phase Umbrüche, Konflikte, Hoffnungen oder veränderte soziale und kulturelle Konstellationen festmachen.

SCHAARSCHMIDT: Die Abschlussausstellung in Weimar ist nicht in erster Linie eine historische Ausstellung, sondern eine Kunstausstellung, die dementsprechend im Neuen Museum und damit in einem Kunstmuseum stattfindet. Das heißt, dass bei der Auswahl der Gemälde ästhetische Qualitätskriterien eine große Rolle spielen. Zudem versuchen wir aus dem großen Fundus unseres Bildatlas-Projekts solche Bilder auszusuchen, die neue Sichtweisen zeigen und quer zu altbekannten Sehgewohnheiten liegen, die wir immer mit DDR-Kunst identifizieren.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Die Tagung findet heute ab 9 Uhr am ZZF Potsdam, Am Neuen Markt 9d, statt. Um 15.30 Uhr spricht Jutta Götzmann über DDR-Kunst im Potsdam Museum.

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