
© imago/DeFodi
Sport: „Lyon ist wesentlich stärker geworden“
Turbine Potsdams Trainer Bernd Schröder über das Champions-League-Finale und sein Faible für ManU
Stand:
Herr Schröder, kennen Sie schon das Craven Cottage in London, wohin Sie am Dienstag mit Turbine Potsdam fliegen?
Nein, es ist mir noch völlig unbekannt.
Auf Fotos macht dieses bereits aus dem 19. Jahrhundert stammende Fußball-Stadion direkt am Themse-Ufer, in dem Turbine Potsdam am Donnerstag das Champions League-Finale gegen Olympique Lyon bestreitet, einen sehr charmanten Eindruck. Freuen Sie sich schon darauf?
Natürlich. Und ich werde heute Abend noch aus erster Hand einige Eindrücke vermittelt bekommen, denn mein Sohn Thoralf war am Sonntag dort. Er hat sich als Arsenal-Fan dort das Derby des FC Fulham gegen Arsenal, das 2:2 ausging, angeguckt und kann mir deshalb einiges um das Drumherum erzählen.
Der Hamburger SV hat im vergangenen Jahr im Craven Cottage gegen Gastgeber Fulham FC sein Europa-League-Halbfinal-Rückspiel mit 1:2 verloren und ist ausgeschieden. Kein gutes Omen für eine deutsche Fußball-Mannschaft dort, oder?
Das ist jetzt eine andere Konstellation. London ist sowohl für uns als auch für Lyon ein neutraler Platz. Wir haben dort beide vorab die gleichen Voraussetzungen.
Turbine und Olympique kennen sich bereits aus dem letztjährigen Finale im spanischen Getafe – erleichtert oder erschwert das Potsdams Mission Pokalverteidigung?
Lyons Spielstärke beschäftigt mich schon sehr, weil Olympique nach den uns vorliegenden Erkenntnissen wesentlich stärker geworden ist als 2010.
Wie schätzen Sie die Französinnen ein?
Sie sind noch dreißig Prozent besser als im vergangenen Jahr, weil sie sich verstärkt und das Trainerteam ausgewechselt haben. Lyon wird jetzt von Patrice Lair trainiert und hat mit Nationalspielerin Sonia Bompastor und der schwedischen National-Mittelstürmerin Lotta Schelin zwei ganz starke Spielerinnen in ihren Reihen. Gegen Bombastor haben wir schon 2005 in Montpellier gespielt, als sie dort Mannschaftskapitän des HSC war. Sie ist jetzt nach einem Jahr in der USA-Profiliga zurück in Frankreich und spielt nun für Lyon. Schelin fehlte im vergangenen Jahr wegen einer Verletzung im Endspiel, und mit den beiden hat Olympique eine wesentlich höhere Spielstärke. Was sich auch in der französischen Meisterschaft ausdrückte, wo die Mannschaft ungeschlagen blieb. Die werden also am Donnerstag mit stolzgeschwellter Brust in das Endspiel gehen.
Turbine sammelte nach dem frühen Bundesliga-Abschluss Ende März in den vergangenen Wochen zwar im Bundesliga-Cup weiter Spielpraxis – sechs Nationalspielerinnen und einige angeschlagene Kickerinnen fehlten aber in der Vorbereitung auf das Finale in London. Wie gut ist Ihre Mannschaft für London gerüstet?
Das wird sich sicher erst zeigen, wenn im Finale der Ball rollt. Wir denken, dass wir unter den gegebenen Umständen alles getan haben, um uns als Team gut präsentieren zu können. Die Einzelspielerinnen haben eine gute Verfassung, aber wie es nach sechswöchiger Trennung von unseren Nationalspielerinnen mannschaftlich aussehen wird, muss man nun abwarten.
Kann es ein Handicap werden, nicht bestmöglich eingespielt zu sein?
Es könnte sein, aber in einem Spiel kann man so etwas auch mal überbrücken. Das richtet sich danach, wie stark wir individuell auftrumpfen können, denn über die individuellen Stärken kommt auch ein vernünftiges Spiel zustande.
Was muss Turbine gelingen, um diesmal nicht wie 2010 einen Ritt auf Messers Schneide zu erleben?
Wir müssen möglichst schnell ein Tor machen und ein schnelles Gegentor verhindern. Dann könnte es klappen.
Im Endspiel 2010 eroberte Turbine die Trophäe in einem Elfmeter-Krimi gegen Lyon. Haben Sie deshalb jetzt verstärkt Elfer trainiert?
Nein, weil das wenig Zweck hat. Es zeigt sich immer wieder, dass sichere Schützinnen gerade an einem solchen Tag oder in einer bestimmten Situation versagen. Das kann man nicht nachstellen. Wir haben normales Schusstraining gemacht, aber kein Elfmeterschießen.
Am Tag nach dem Finale wird Bundestrainerin Silvia Neid verkünden, welche Spielerinnen aus dem gegenwärtig 26-köpfigen vorläufigen WM-Aufgebot ausscheiden. Befürchten Sie, dann in London als Seelentröster gefragt zu sein?
Unsere Nationalspielerinnen wissen eigentlich damit umzugehen, denn wen es trifft, der wird sicher nicht ganz überrascht, sondern schon darauf vorbereitet sein. Sollte diese Situation eintreffen, müssen wir als Verein nicht mit irgendwelchen Floskeln versuchen, etwas zu sagen.
Wie werden Ihre Spielerinnen Anja Mittag, Babett Peter, Fatmire Bajramaj, Bianca Schmidt und Josephine Henning erfahren, ob sie beim WM-Turnier in Deutschland dabei sind oder nicht?
Sie werden es nach dem Endspiel telefonisch von der Bundestrainerin erfahren. Ich hoffe, dass nicht vorab etwas durchsickert, weil eine Absage natürlich eine Spielerin im Finale belasten könnte.
Wer bei der WM dabei ist, muss schon am Samstag zurück zur Nationalmannschaft fliegen und verpasst damit das Champions-League-Finale der Männer im Londoner Wembleystadion.
Das werden diese Spielerinnen sicher gern in Kauf nehmen.
Nach dem Finale wird Potsdams Mannschaft angesichts zahlreicher Abgänge nicht mehr so aussehen wie jetzt. Bislang hat Turbine nur den Zugang Patricia Hanebecks vom Zweitligisten 1. FC Köln verkündet. Wann werden Sie verraten, wer in der neuen Saison noch nach Potsdam kommt?
Spätestens am 5. Juli bei unserem großen Fan-Fest im Freilichtbereich des Kongresshotels am Templiner See, wo es eine Übertragung des WM-Spiels Deutschland gegen Frankreich geben wird. Dort wollen wir alle Neuzugänge präsentieren, bis auf den, der noch bei der WM sein wird.
Jetzt in London werden Sie selbst und die anderen Turbine-Spielerinnen sich das Männer-Endspiel zwischen Manchester United und dem FC Barcelona anschauen. Welchem beider Kontrahenten wird Bernd Schröder die Daumen drücken?
Mein Fokus liegt seit Jahren auf einem solchen Verein wie Manchester United. Ich beobachte sehr wohlwollend die dortige Vereinskultur und die Mannschaft, die dank Sir Alex Ferguson mehr eine Trainer- als eine System-Mannschaft ist. Gäbe es eine Mischung zwischen der Spielweise von ManU und von Barcelona, wäre das für mich die Mannschaft des Jahrhunderts. Beide Vereine prägen mit ihrer Spielweise den europäischen Fußball. Wobei ich näher bei ManU stehe. Bei den Engländern muss man aber abwarten, wie sie sich präsentieren können, denn die Saison war lang. Es könnte sein, dass sie jetzt am Ende im Finale, das krönender Abschluss sein soll, ein bisschen ausgepowert sind.
Es heißt, Sie seinen ein Verehrer des ManU-Trainers Sir Alex Ferguson.
Verehrer ist übertrieben, aber ich habe großen Respekt vor seiner Leistung. Wir sind ja fast ein Jahrgang. Ferguson hat eine jahrelange Erfahrung im Profifußball und strahlt eine große Kontinuität und Geradlinigkeit aus, eine Unverwechselbarkeit der Person und der Spielweise seiner Mannschaft.
Könnte es nun im Wembleystadion ein Treffen zwischen dem Schotten und Ihnen geben?
Höchstens im Vorfeld, aber nicht während des Endspiels, das ja kein Kindergartenspiel oder Ferienlager ist. Kann sein, dass die UEFA schaut, ob man sich mal im Vorfeld trifft. Aber wer weiß, ob Sir Alex Ferguson überhaupt weiß, dass es Frauenfußball gibt.
Wären Sie mit einem erneuten Triumph im Champions-League-Finale so etwas wie ein Sir Ferguson des Frauenfußballs?
Nein, das kann man nicht vergleichen. Jeder muss seinen eigenen Stil prägen. Ich finde Vergleiche zwischen Trainern und Spielern im Männer- und Frauenfußball problematisch. Vereine kann man von der Philosophie und Strategie her vielleicht vergleichen. Die Trainer haben verschiedene Vorstellungen, vom den Gehältern mal ganz zu schweigen
Das Interview führte Michael Meyer.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: