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Ich liebe Euch!: Quentin Tarantino mit Studio-Vorstand Carl L. Woebcken auf dem Roten Teppich in Berlin (großes Bild), im Hintergrund (2.v.r.) Henning Molfenter, Chef der Studio Babelsberg Motion Pictures. Links Medienboard-Chefin Kirsten Niehuus mit Tarantino und Studio-Vorstand Christoph Fisser, in der Mitte Christoph Waltz, rechts Schneidermeisterin Ute Kanter.

© Manfred Thomas

Von Jana Haase: Mach’s noch einmal, Quentin

Erst wollte es niemand glauben: Quentin Tarantino in Babelsberg. Morgen startet sein neuer Film in den Kinos

Stand:

Genau ein Jahr ist es jetzt her. Damals druckten die PNN das erste Foto, das Quentin Tarantino auf dem Babelsberger Studiogelände zeigt – die Gerüchte vom geplanten Dreh des US-Kultregisseurs („Pulp Fiction“) in Babelsberg, die Filmfans schon wochenlang elektrisiert hatten, waren damit endgültig bestätigt. Zu Hunderten standen sie dann im September Schlange, als Tarantino Komparsen für „Inglourious Basterds“ suchte. Und auch wenn die damalige Euphorie angesichts der aktuellen Nachrichten über geplante Kurzarbeit im Studio etwas abgekühlt ist – die erste Klappe für den Film im Oktober 2008 war aus Babelsberger Sicht der Start in ein spektakuläres Filmjahr: Während Tarantino mit Brad Pitt, einer ganzen Riege deutscher Schauspieler, 150 Stuntmen und 4000 Komparsen sein Nazi-Rache-Märchen wie im Rausch drehte, feierten die Studios auf dem Berlinale-Parkett die Premieren von „The International“ und „Der Vorleser“, brachten „Operation Walküre“ und den ersten „Hexe Lilli“-Film ins Kino, jubelten über den Oscar für Kate Winslet und konnten ein neues Projekt mit Oscar-Preisträger Roman Polanski an Land ziehen. Nur drei Monate nach Drehschluss wurde der Tarantino-Streifen dann im Mai bei der Weltpremiere in Cannes mit der Goldenen Palme für Darsteller Christoph Waltz ausgezeichnet. Für die Crew folgte ein Premierenmarathon rund um den Globus. Morgen nun startet der Film in den deutschen Kinos. Noch Fragen?

Wieso kam Tarantino nach Babelsberg?

Überzeugt hat den leidenschaftlichen Filmfanatiker wohl vor allem die Geschichte der Studios. Ehrfürchtig bedankt sich der Regisseur im „Babelsberg Buch“, dem Studio-Gästebuch: „Die Tradition dieses Studios ist unermesslich. Zu fühlen und zu hoffen, meinen Beitrag zur Geschichte dieses Studios geleistet zu haben, macht mich überglücklich. Ich liebe Euch!“ Fritz Lang, Emil Jannings, Georg Wilhelm Pabst – Tarantino kennt sie alle. Deshalb bekamen die Babelsberger den Streifen in Hollywood nahezu frei Haus: Tarantino drehe einen neuen Film, er solle in Cannes laufen, gesucht würden Produzenten und ein Drehort, hieß es anfangs. Da weder Drehbuch noch Besetzung oder Finanzierung feststanden, waren die Studiochefs zunächst skeptisch. Gemeinsam mit Produzent Lawrence Bender löste Tarantino die offenen Fragen innerhalb von wenigen Tagen. Auch das Geld aus dem Deutschen Filmförderfonds dürfte ein Argument gewesen sein.

Wo wurde gedreht?

Nicht nur in den Studios wurde gedreht, sondern auch in Görlitz und in der sächsischen Schweiz, außerdem in einem Bistro in Paris und im Berliner Fort Hahneberg. Görlitz’ Oberbürgermeister Joachim Paulick erinnert sich an den Tarantino-Besuch im Rathaus: „Das war unbezahlbar, wie er da vom Rathausturm aus über die Stadt blickte und den Film mit Worten vor uns entstehen ließ.“

Der Weltkriegsfilm als Materialschlacht: Was steuerte das Studio bei?

Das Art Department Studio Babelsberg arbeitete im Durchschnitt mit 100 Handwerkern, zeitweilig waren 170 Leute vor Ort. Verbaut wurden unter anderem 3000 Quadratmeter Rigipsplatten und 300 Kubikmeter Holz. Für die Schlüsselszenen in einem Kino, dass die Tricktechniker Nefzers in Brand setzten, wurden 350 Kinositze organisiert. Eine Herausforderung war auch der Bau des bis 1000 Grad feuerbeständigen Sets. Herrenmaßschneidermeisterin Ute Kanter durfte nicht nur Brad Pitt selbst Maß nehmen, sondern nähte auch für Hauptdarstellerin Diane Kruger eine cremebraune Seidenbluse – weil sie so oft gebraucht wurde, gleich in drei Ausführungen, zum Teil patiniert. Aus dem Studio-Fundus kamen unzählige Kleinrequisiten wie Bilder, Stühle, Geschirr, Aschenbecher und medizinische Instrumente. Die Leihscheine füllen mehr als fünf Aktenordner.

Wie lief die Arbeit am Set?

Zunächst einmal: Abgeschirmt. Zäune mit Sichtschutz umstellten die Marlene-Dietrich-Halle, und kaum eine frühere Produktion in Babelsberg dürfte so großes mediales Interesse geweckt haben. Als Sicherheitsmaßnahme mussten selbst Crewmitglieder Kameras und Handys abgeben, berichtet der Potsdamer Ralf Haeger, der mit seiner Geschäftspartnerin Angie Rau die Arbeit der 150 Stuntmen koordinierte. Den nötigen Teamgeist beschwor Tarantino etwa mit Filmabenden im FX Center, wo er seine Lieblingsfilme zeigte. Typisch am Set auch die immer neuen Einfälle des Regisseurs, die sofort ausprobiert wurden, so dass 12-Stunden-Arbeitstage nichts Ungewöhnliches waren. „Running Gag“ war folgender Wortwechsel: Nach Abschluss einer Szene rief Tarantino: „We do it again!“ – wir machen das nochmal – , worauf sein Assistent verwundert „Why?“ zurückfragte. Das war das Stichwort für die Filmcrew: „Because we love making movies!“, fielen sie im Chor ein - weil wir das Filmemachen lieben!

4000 Komparsen spielen in dem Film mit: Ist das Babelsberg-Rekord?

Nein, Rekordhalter ist Fritz Lang mit seinem Stummfilmklassiker „Metropolis“ von 1927: Nach Studioangaben gab es damals 36 000 Komparsen. Immerhin 6000 Statisten standen neben Jackie Chan für „In 80 Tagen um die Welt“ aus dem Jahr 2004 vor der Kamera.

Was bedeutet „Inglourious Basterds“ wirtschaftlich für die Region?

Vom geschätzten Budget von rund 70 Millionen Dollar – knapp 50 Millionen Euro – ist ein Großteil hier geblieben. Nach Studioangaben wurden in der Region 37 Millionen Euro ausgegeben. Die Crew bestand aus über 350 Filmschaffenden, etliche Drittfirmen wie Licht- und Kameratechnik-Anbieter, Casting-Agenturen, Autovermieter und Hotels waren beteiligt. Der Bund hat den Film mit 6,8 Millionen Euro aus dem Deutschen Filmförderfonds unterstützt, weitere 600 000 Euro flossen vom Medienboard Berlin-Brandenburg, 300 000 Euro gab die Mitteldeutsche Medienförderung.

Was unterscheidet den Tarantino-Film von anderen Hollywood-Drehs in Babelsberg?

Dass die Babelsberger mit Handwerk und Technik überzeugen, ist nicht neu – der Umfang der deutschen Schauspiel-Crew bei „Inglourious Basterds“ dagegen schon. Für Schauspieler wie Christoph Waltz, Daniel Brühl, Sylvester Groth und August Diehl könnte der Film zum internationalen Karriere-Sprungbrett werden. Medienboard-Chefin Kirsten Niehuus sieht in der Zusammenarbeit sowohl auf Produktionsebene als auch bei Darstellern „eine perfekte Verbindung“. Auch für die Stuntmen war der Dreh außergewöhnlich, sagt Stuntman Ralf Haeger: „Das hat die deutsche Stunt- Community zusammengeschweißt.“

Was bleibt von Tarantino in Babelsberg?

Die Filmkulissen – sofern nicht beim Dreh verbrannt – sind zwar schon zurückgebaut. Aber seit Ende Juli hat Tarantino eine eigene Straße auf dem Studiogelände, die bekanntermaßen bereits für Diskussionen gesorgt hat. Medienboard-Chefin Niehuus bezeichnet es als „absolute Auszeichnung für den Standort“, dass sich mit Tarantino ein „weltweit anerkannter Regisseur mit eigener Handschrift“ für Babelsberg entschieden hat. Für die Medienregion habe das eine „enorme künstlerische Bedeutung“. Und sonst: Der Stolz und das gute Gefühl bei den Studiomitarbeitern, einen Tarantino- Film auf die Beine gestellt zu haben, ist wohl unbezahlbar. Tarantinos Produzent Lawrence Bender hat es im „Babelsberg Buch“ so zusammengefasst: „Leute, ich kann gar nicht sagen, wie viel uns das bedeutet, mir, Quentin und den anderen. Ihr habt das möglich gemacht! Und ohne Euch gäbe es keine „Basterds“!“

(Mit Kay Grimmer)

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