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Landeshauptstadt: Männerabend mit „Bong“

Keine Wasserpfeife aber ähnlich berauschend: Die Glanzlichtern der DDR-Musiksendung mit Jürgen Karney auf DVD

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Gesehen hat Jürgen Karney seine eigene Sendung nie. Erst jetzt, nach 30 Jahren, will der einstige „Bong“-Moderator einen Blick drauf werfen. Der Anlass ist eine Vierer-DVD-Box mit dem Best-off der DDR-Musiksendung, die jetzt bei Sony Music erschienen ist. Glanzlichter der Ost-Pop-Musik, die von 1983 bis 1989 durch die Wertungssendung wanderten.

„Das ist was für unseren Männervideoabend“, sagt Karney bei einem Kaffee am Nauener Tor. „Und vorher wird Alkohol getrunken“, orakelt der 59-Jährige. Vor Kurzem erst ist Karney mit seiner Entertainment-Firma aus Berlin an den Stadtrand von Potsdam gezogen, den Ort, wo er seit der Wende viel gemacht hat. Viele erinnern sich an Karney hauptsächlich als den Radiomoderator, der 1996 zu BB-Radio kam. Als Programmdirektor manövrierte er den Regionalsender damals in die erste Liga. Für Radio Teddy produziert er mittlerweile das dritte Kindermusical, er ist Mitglied im Kanuclub und moderiert jedes Jahr den Potsdamer Kanalsprint.

Nun aber riskiert er einen Blick in die Vergangenheit. „Oh Gott, ich würde heute so vieles anders machen“, sagt er. Doch eigentlich interessieren ihn die Aufnahmen nicht wegen ihm selbst, sondern wegen der Kollegen. „Ich muss nicht immer den Typ dazwischen sehen“, sagt er. Dieser Typ hatte damals noch mehr Haare auf dem Kopf und trug Schnauzer – ein Schicksal, das er mit vielen der Musiker teilt, die in der Show auftraten und um die Gunst des Publikums in Form von Postkartenzuschriften buhlten.

Zusammengestellt hat die Auswahl der Popschnipsel der letzter Chef der Plattenfirma Amiga, Jörg Stempel, die die „Bong“-Hits jeweils auf Vinyl presste. Mit dem Abstand der Jahre betrachtet, liefert das Paket ein Déjà-vu – irgendwo zwischen romantisierender Geschichtsbetrachtung mit leichtem Gruseleffekt und persönlicher Erinnerungskultur. An dieser Musik kam damals keiner vorbei. „Wir wollten mit ,Bong’ den Zeitgeist aufgreifen“, sagt Karney. Mit der Vorgängersendung, dem Schlagerstudio, war das nicht gelungen.

Die Musiksendung mit dem für damalige Verhältnisse frischen Namen wurde monatlich mit viel Aufwand in den Fernsehstudios in Adlershof produziert. Karney, gelernter Nachrichtentechniker, machte damals bereits Radio und wurde für das neue Format ausgewählt. „Ich bin da so reingerutscht“, sagt er. Vielleicht passte es, dass er so locker rüberkam, obwohl nichts während der Sendung dem Zufall überlassen war. Jeder Wortwechsel, jeder Gag war vorher geprobt und abgestimmt. Es waren Live-Sendungen, man musste sich verlassen können, dass ihm nicht doch eine unpassende Bemerkung, beispielsweise über schönen Ostseeurlaub, rausrutschte. Und das Publikum, dem eventuell mal das Mikro hingehalten wurde, war handverlesen, sagt Karney. Brav waren sie, saßen still im Saal, während die Popstars ihre Playback-Nummern lieferten. Das sei allerdings ein generelles Phänomen der Achtziger gewesen, so der Moderator. Auch im Westen habe man bei Ilja Richters „Disco“ zünftig in den Reihen gesessen.

Auch die musikalischen Gäste der Sendung ließen es eher selten richtig krachen. „Wir machten schließlich netten Pop, keine Rockmusik.“ Einmal hatten sie bei Silly angefragt. „Aber Tamara Danz wollte keine Wertungsscheiße“, erinnert sich Karney an die Antwort der Sängerin. Schade sei das gewesen, von Haus aus kann Karney echter Rockmusik durchaus etwas abgewinnen, hört die Rolling Stones und Led Zeppelin. City und Rockhaus waren Dauergäste in der Sendung, selbstverständlich die DDR-Erfolgsgaranten Karat und Puhdys. Ebenso Petra Zieger, IC Falkenberg, die Modern Soul Band, aber auch bunte Rock‘n‘Roll-Combos inklusive Tanzeinlage und Vertreter der Neuen Deutschen Welle – die es zwar offiziell in der DDR nicht gab, die aber dennoch existierte, mit Bands wie Juckreiz und Inka. Auch Potsdamer Musiker wie der Pianist Andy Schulte oder der Saxophonist Ralf Benschu waren häufig Gäste bei „Bong“.

Für die Sendung wurden sogar Videos produziert – damals etwas Besonderes, aber man wollte fortschrittlich sein. Originelle Schauplätze mussten her, und so schipperten die Puhdys in einem Dampfer über die Havel, City ging theatralisch in Pelzmänteln zum Eisangeln. Mit Michael Barakowski drehte man 1986 im Schloss Sanssouci und der Orangerie „Zeit, die nie vergeht“, das Lieblingslied aller Armisten. Stilles virtuelles Baudenkmal ist das Video von „Steffen“, der seinen Liebeskummer zwischen den Regalen der mittlerweile verschwundenen Humboldtbuchhandlung wandelnd besingt: mit seinem Hit „Luise“ über seine Lehrerin.

Ganz vom Schlager verabschiedete man sich eben doch nicht. Frank Schöbel, Angelika Mann, Ute Freudenberg, es ging nicht ohne sie, dazu kamen seltsame Comedyeinlagen, bis hin zu Männern im Schlafrock. Und so war im Sommer 1989 Schluss mit „Bong“. „Das Thema war ausgequetscht“, sagt Karney. Und als das Konzept für eine neue Samstagabendshow stand, kam die Wende.

Die DVD-Box ist bereits im Handel erhältlich. Im kommenden Frühjahr, so Karney, ist eine „Bong“-Tour mit den erfolgreichsten Gästen jener Zeit durch die alte Republik geplant. Jürgen Karneys Empfehlung: „Das ist was für Leute, die ihre musikalische Erinnerung suchen.“

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