zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Mehr als nur Faktenwissen

Wo sich Schüler in Potsdam an historischen Orten mit DDR-Geschichte beschäftigen können

Stand:

Unbekannte DDR? Die Wellen schlugen hoch, als eine Studie der Freien Universität Berlin Ende 2007 zu dem Schluss kam, dass Brandenburger Schüler weniger über die Geschichte der DDR wissen als Schüler in Bayern. Monika Deutz-Schröder und Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat hatten 750 Schüler aus zehnten und elften Klassen in Frankfurt (Oder), Neuruppin und Potsdam befragt. Das Ergebnis: Vier Fünftel von ihnen gaben an, das Thema DDR werde zu selten oder nie in der Schule behandelt.

Dabei gibt es gerade in der Landeshauptstadt die Möglichkeit, sich an verschiedenen historischen Plätzen über die Geschichte des untergegangenen SED-Staates zu informieren. Zum Beispiel in der Gedenkstätte „Lindenstraße 54“. Wo die Stasi jahrelang politisch Unliebsame einsperrte, empfängt heute Catrin Eich regelmäßig Schülergruppen aus ganz Brandenburg. Die Lehrerin für Deutsch und Geschichte ist eine von 14 „Gedenkstättenlehrern“, die sich das Brandenburgische Bildungsministerium leistet. Die Projekttage, die Eich in Potsdam anbietet, sind kostenlos.

Was genau die Schüler erwartet, werde vorher individuell mit dem Lehrer abgestimmt, erklärt Catrin Eich. Denkbar sind ein Rundgang durch die Gedenkstätte mit Selbsterkundung, aber auch Gespräche mit Zeitzeugen oder die kreative Arbeit – zum Beispiel mit Collagen oder Gedichten. Zu etwa 20 ehemaligen Häftlingen aus dem Gefängnis in der Lindenstraße habe sie Kontakt: Auf Anfrage könne sie auch ein Zeitzeugengespräch an der Schule organisieren. Bis zum vergangenen Jahr habe sie außerdem Projekttage im ehemaligen KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße angeboten. Das Gebäude ist momentan wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen.

Seit Catrin Eich 2002 vom Ministerium an die Gedenkstätte berufen wurde, nimmt die Zahl der Projektteilnehmer jährlich zu: Waren es am Anfang noch 204 Besucher, so kamen im Schuljahr 2006/07 insgesamt 3378 Schüler in die Lindenstraße. Dabei spiele die DDR-Sozialisierung der Lehrer keine Hauptrolle, betont Eich: Ihre Lehrerfortbildungen besuchen zunehmend auch ältere Lehrer.

Der FU-Studie steht Eich skeptisch gegenüber. Denn das Wissen um die DDR könne nicht nur als „konkretes Faktenwissen“ abgefragt werden, findet sie: „Es geht darum, Schlüsse zu ziehen für das eigene Handeln.“ Bei Projekttagen diskutiere sie zum Beispiel regelmäßig mit den Schülern darüber, ob man eigentlich für die Stasi arbeiten „musste“ oder nicht. Die Freunde verraten, um beruflich Karriere zu machen? Auch Erzählungen der Eltern, die von einer „schönen Kindheit“ schwärmen, werden thematisiert: „Jeder hat das Recht, zu sagen, ich hatte eine schöne Kindheit“, stellt Eich klar. Die Schüler sollen aber auch nachvollziehen, „wie eine Diktatur funktioniert, wie mit Andersdenkenden umgegangen wurde und wie schnell man in die Mühlen geraten konnte“. Für dieses Stück „Demokratie- und Rechststaatserziehung“ sei das Wissen um die genauen Regierungsdaten Konrad Adenauers nicht entscheidend. Sie habe die Schüler bisher immer als „aufgeschlossen“ erlebt: Besonders gespannt seien sie auf die Zeitzeugen: „Da gehen sie emotional unheimlich mit.“

Von ähnlich positiven Erfahrungen berichtet auch Waldtraud Börner von der Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde in der Großbeerenstraße 301: „Die Schüler haben Interesse und wollen wirklich viel wissen über die DDR.“ Zu den Projekttagen in der Stasi-Unterlagenbehörde kamen im vergangenen Jahr 138 Schüler nach Potsdam. Außerdem war Börner im Land unterwegs: So habe sie im Kreis Pritzwalk 2007 mit zehn Klassen gearbeitet. Dabei erstellen die Schüler eine „Zeitschiene“ zur DDR-Geschichte und arbeiten mit konkreten Schicksalen: „Das funktioniert sehr gut“, sagt Börner. Kopien der bearbeiteten Aktenauszüge können die Schüler mitnehmen. Die vor drei Jahren erarbeitete kostenlose Unterrichtsmappe mit Arbeitsmaterialien habe sie mittlerweile 2900-mal verschickt. „Alle Schulen wissen von unserem Angebot“, sagt Waldtraut Börner. Der Cornelsen-Verlag werde jetzt Teile der Mappe in die Neuauflage des Brandenburgischen Schul-Geschichtsbuches aufnehmen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })