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Landeshauptstadt: „Menschenverachtende Barriere“

Gedenken an die Maueropfer: Gedenkstättenkonzept in Arbeit, CDU will Stehlen für Opfer, Grüne fordern Schutz für Mauerreste

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Hunderte Potsdamer gedachten gestern an verschiedenen Orten der Landeshauptstadt dem Mauerbau vor 46 Jahren. Brandenburgs Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) nannte die innerdeutsche Grenze „eine menschenverachtende Barriere“. Sie sei ein „weltweites Sinnbild für Menschenverachtung gewesen. Seit 89 steht sie für Bürgerwillen und Zivilcourage“. 133 Opfer hat das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam als Zahl der Mauertoten zwischen 1961 und 1989 veröffentlicht, mehr als 20 sind es im heutigen Stadtgebiet sowie in Teltow und Kleinmachnow. In Gedenken an 28 Jahre Mauer erarbeitet der Verein Lindenstraße 54 derzeit in Abstimmung mit der Stadt ein Gedenkstättenkonzept für den ehemaligen Stasi-Knast in der Innenstadt. Und auch die Potsdamer CDU will alle Mauertoten im Stadtgebiet mit „kleinen Stehlen zum Gedenken an die Opfer“ ehren, kündigte Hans-Wilhelm Dünn von der Jungen Union an. Das Konzept soll am Tag des Mauerfalls, dem 9. November, vorgestellt werden.

Den Schutz vorhandener Zeitzeugnisse möchte Manfred Kruczek vom Verein „Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte im Land Brandenburg“ erreichen. Gemeinsam mit Gisela Rüdiger von der Außenstelle der Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen erinnerte er gestern vor den Original-Mauerstücken in der Stubenrauchstraße an die Opfer des Mauerbaus. „Die Stadt soll sich zu dem Denkmal bekennen“, sagte Kruczek. Bis heute stehen die sechs Mauerteile am Griebnitzsee nicht unter Denkmalschutz – trotz eines Stadtverordnetenbeschlusses aus dem Jahr 2003. Schon vor fünf Jahren erklärte Landeskonservator Detlef Karg in einem Schreiben an Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD): Die Mauerreste erfüllen aufgrund „ihres fragmentarischen Charakters nicht mehr die Kriterien eines Einzeldenkmals“. Daher schlug Karg vor, „ein großes Stück des ehemaligen Postenweges einschließlich der Mauerfragmente als Denkmalbereich unter Schutz zu stellen“. Hätte die Stadt diesen Vorschlag aufgegriffen, hätte sie womöglich auch weniger Probleme mit den Anwohnern und einem offenen Kolonnenweg, sagte Manfred Kruczek. Er plädiert für „Aufklären, nicht Verklären“. Auch die Lehrer sollten wie vor zwei Jahren vom Bildungsminister empfohlen, ihre Zurückhaltung aufgeben und über die Schrecken an der Grenze berichten.

Die Potsdamer Bündnisgrünen wollen nun erneut einen Anlauf unternehmen und die Unterschutzstellung der Mauerreste beantragen. Zudem soll der Metalldrahtzaun in Groß Glienicke als Denkmal erhalten bleiben, forderte Uwe Fröhlich vom Landesvorstand gestern. In Groß Glienicke steht übrigens ein Mauerstück unter Denkmalschutz – das geschah noch vor der Eingemeindung zu Potsdam im Jahr 2003 unter Verwaltung des Landkreises Potsdam-Mittelmark. Dass nicht jeder schlechte Erinnerungen an die Mauer hat, erklärten zwei Anwohner der Stubenrauchstraße gestern gegenüber Gisela Rüdiger. „Na, wieder Märchenstunde?“, sagten sie. Man solle nicht immer übertreiben, so der Mann, der sich Manfred nennt und der mit einem Diamant-Klapprad und in seiner braunen Trainingshose des früheren Armeesportvereins den Hund Gassi führte. Hier sei nicht geschossen worden, so die beiden. Es sei zwar hier Schluss gewesen und der Weg am Griebnitzsee konnte nicht genutzt werden, aber das könnten sie bei den ganzen „Neu-Einwohnern“ auch bald nicht mehr, so die beiden. Auch der Vorsitzende der Jungen Union, Hans-Wilhelm Dünn, hatte am Tag des Mauerbaus eine Begegnung mit der Vergangenheit: Ein ehemaliger Stasi-Major habe ihm ein Info- Blatt der Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR (Isor) in den Briefkasten gesteckt. Darin sei auch das Buch „Erinnerungen und Erzählungen ehemaliger Grenzsoldaten“ als Tipp des Monats angepriesen worden.

Die Geschichte der Grenzsoldaten, die am 7. Februar 1962 im Grenzabschnitt 1 des Grenzregiments 34 bei Staaken Dienst hatten, werden darin nicht zu finden sein. An dem Tag starb Willi Block im Kugelhagel von 72 Schüssen. Ihm gelang bereits zwei Mal vorher die Flucht in den Westen, zwei Mal kam er zurück. Der dritte Fluchtversuch war sein Tod. Die Geschichte wird in dem Buch von Hannelore Strehlow „Der gefährliche Weg in die Freiheit“ erzählt (kostenlos bei der Landeszentrale für Politische Bildung zu erhalten). Auf West-Berliner Seite wurde dieser Fall bekannt, nachdem zwei Grenzsoldaten geflüchtet sind und davon in den Medien erzählten. Ein dritter Grenzsoldat, ein Augenzeuge der Hinrichtung, floh ebenfalls einige Wochen später.

Etwa 7000 andere wurden im Stasi-Gefängnis in der Lindenstraße 54 inhaftiert. Dort gedachten Mitglieder der Fördergemeinschaft „Lindenstraße 54“ sowie Bürgermeister Burkhard Exner dem DDR-Unrecht. Das Gebäude diente den Nazis, der sowjetischen Besatzungsmacht und der DDR-Staatssicherheit als Gefängnis. Die Geschichte des in der Lindenstraße 54 Inhaftierten Franz Schleusener erzählte CDU-Kreischef Wieland Niekisch: Schleusener sei der erste CDU-Fraktionsvorsitzende der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung nach dem 2. Weltkrieg gewesen, davor war er von 1914 an sechs Jahre lang Oberbürgermeister von Brandenburg (Havel). Er habe die christdemokratische Partei nach Gründung der DDR nicht zu einer Blockpartei machen wollen und wurde im März 1950 im Alter von 73 Jahren inhaftiert. Er sei kurze Zeit später im Gefängnis gestorben, so Niekisch. „Bis heute ist nicht bekannt, wo er begraben ist“, sagt Niekisch.

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