Landeshauptstadt: Mit dem Rucksack bis nach China
Zwei Studenten reisten 1987 illegal durch den Ostblock. Das Hotel Mercure zeigt eine Ausstellung mit Fotos jenes Sommers
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In ein Interhotel, wie es das Hotel Mercure zu DDR-Zeiten war, hat Marion Mentel damals nie einen Fuß gesetzt. Die ostdeutsche Hotelkette war zahlungskräftigen Besuchern aus dem westlichen Ausland vorbehalten. Nun wird ausgerechnet in mehreren einstigen Interhotels die Ausstellung „Die verbotene Reise“ gezeigt: Bilder vom Sommer 1987, als Marion Mentel und ihr damaliger Freund Jens Kiesling illegal durch die Sowjetunion bis in die Mongolei und China reisten.
Seit 25 Jahren kann auch Marion Mentel reisen, wohin sie will. Und doch war diese Tour durch den fernen Osten ihre bisher beeindruckendste. Vielleicht, weil es damals gefährlich war, sie nie wusste, ob irgendjemand herausbekommt, was sie vorhat und letztlich auch durchziehen wird. Vielleicht auch, weil sie ein wenig von der Weite hinter dem Eisernen Vorhang spürte. Über den langen Reise-Sommer hat Anfang des Jahres Spiegel-Autor Peter Wensierski ein Buch geschrieben. Marion und Jens kramten ihre Fotos hervor, die bis dahin auf dem Dachboden gelagert hatten, und gestalteten eine Ausstellung. Am kommenden Dienstagabend wird zur Vernissage im Hotel Mercure auch das Buch vorgestellt. Neben den beiden Protagonisten, die mittlerweile kein Paar mehr sind, aber diese aufregende Erinnerung teilen, wird der Buchautor Wensierski anwesend sein und mit den Reisenden über diese wilden Monate sprechen.
Marion Mentel wurde 1961 in Potsdam geboren und lebte hier bis 1983. Heute betreibt sie in Bad Belzig einen Kunsthof. Weil sie sich Potsdam noch sehr verbunden fühlt, wollte sie auch hier die Ausstellung zeigen, sagt sie beim Vorbereitungstreffen mit Hotelchef Marco Wesolowski. Das Thema Reisen, findet er, passt schließlich in ein Hotel.
Die beiden Mittzwanziger reisten damals weniger komfortabel. Und vor allem undercover. Denn DDR-Bürger sollten sich nur in der heimatlichen Republik oder einer Handvoll „Bruderländer“ erholen. Die unübersichtliche Sowjetunion gehörte nicht dazu. Hierfür brauchte man eine Einreisegenehmigung. Nicht einmal einen Reisepass bekamen DDR-Bürger ohne Weiteres. Den ließen sich auch Mentel und Kiesling erst während der Reise in einer DDR-Botschaft ausstellen. Sie seien ihnen geklaut worden, gaben sie damals vor.
Mit einer fingierten, auf sie umgeschriebenen Einladung eines russischen Bergsteigerklubs bekam das Paar zunächst ein Einreisevisum für die SU. Marion Mentel wurde extra für die Reise Mitglied im Potsdamer Bergsteigerverein. „Ich bin nie im Leben geklettert“, sagt sie lachend.
Es ging durch die Sowjetrepubliken, dann durch die Mongolei. Dieses Land, sagt Marion Mentel, hat sie am meisten beeindruckt, die Chinesen eher weniger. Sie wanderten, fuhren per Anhalter, mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Teilten sich ein Bett in einer Herberge oder schliefen in der Natur, im Zelt. „Jens schleppte fast 50 Kilo, ich um die 25“, erzählt sie. Dazu kam die Fotoausrüstung. Eine Kamera für Schwarz-Weiß-Filme, eine für Farbe. Und ein sperriges Weitwinkelobjektiv. Die Fotos zeigen die beiden in Bergdörfern, Kinder posieren neugierig. Kühe laufen über die Dorfstraße. Oder bei der Rast am Seeufer. Marion Mentel erinnert sich an die Weite in der Mongolei. Die Wetterphänomene. Die Millionen Mücken, die mit der Dämmerung über sie herfielen. „Da konnte man eine Phobie entwickeln“, sagt sie.
Einmal muss das Paar sich trennen. An der chinesischen Grenze bekommen sie ohne Visum keine Fahrkarte nach China, also reist er zurück nach Ulan Bator, sie schläft eine Nacht allein im Wald. Natürlich war das gruselig. Aber Jens Kiesling kommt mit einem Visum zurück, möglicherweise haben ein paar Dollarscheine geholfen, die er dem Beamten über den Schreibtisch reichte. Und er hoffte darauf, dass keiner mal einfach so von Ulan Bator nach Berlin telefonieren würde. Fast zeitgleich wird ihnen im Bus die halbe Reisekasse gestohlen. Aber irgendwie geht es, sie leben einfach, kaufen ihr Essen an kleinen Imbissständen oder werden von gastfreundlichen Mongolen in die Jurte eingeladen. „Die Menschen in der Mongolei haben mich beeindruckt – sie leben mit der Natur, nehmen alles so, wie es ist“, sagt sie. Diese Langsamkeit, die Entspanntheit, weil man eben auch mal drei Tage auf die nächste Mitfahrgelegenheit warten muss, das hat sie von der Reise mitgenommen. Auch die Vorliebe für Tee – „In der DDR trank man sowieso mehr Tee als Kaffee“, sagt sie – und die Fähigkeit, mit Essstäbchen unfallfrei umgehen zu können.
Die Rückreise trat Marion Mentel allein an. Ihr Freund hatte sich entschieden, in China über die bundesdeutsche Botschaft in die BRD auszureisen. „Ich versteh das, er hatte hier keine berufliche Zukunft“, sagt Marion Mentel. Weil er Russischunterricht geschwänzt hatte, war er von der Uni geflogen. Auf Mentel hingegen wartete ein Studienplatz in Berlin-Weißensee, wo sie Bühnenbild studierte. Die Fotos von der Reise im Freundeskreis zu zeigen, ist kaum möglich. Irgendwann meldet sich die Stasi. Und lässt sie aber nach einem Verhör in Ruhe. „Er wollte ausreisen, ich wollte reisen“, sagt sie. „Und ich hatte komischerweise keine Angst. Ich dachte immer, ich rutsche da schon irgendwie durch.“
Zur Vernissage für geladene Gäste am 4. November um 19 Uhr im Hotel Mercure gibt es russische, mongolische und chinesische Spezialitäten. Die ersten fünf Anrufer, die sich unter dem Stichwort „Verbotene Reise“ beim Hotel unter Tel.: (0331) 2722 melden, dürfen in Begleitung dabei sein. Die Bilder sind bis 14. Dezember zu sehen.
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