Potsdam in der "Zeit": München des Ostens?
Die „Zeit“ ist der Frage nachgegangen: Wie lebt es sich in Potsdam? Diagnose des Blicks von außen: Potsdam zeigt, wie großartig und wie schwierig Reichtum sein kann. Und hat einen Ort zum Träumen.
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Potsdam - Was nicht alles über Potsdam geschrieben wurde. Ob in der „FAZ“ oder im „Spiegel“, stets ging es um die angebliche Musealisierung der Stadt, vorangetrieben durch reiche Neu-Potsdamer, die alten Potsdamer gerieten ins Hintertreffen, würden ihre Stadt nicht mehr wiedererkennen. Verlust an Identität?
Nun widmet sich auch „Die Zeit“ aus Hamburg der Landeshauptstadt, ihrem Aufstieg, dem Boom. Der Beitrag in der am heutigen Donnerstag erscheinen Ausgabe ist der letzte Teil einer Serie über „Das Neue Glück im Osten“. Die Wochenzeitung fragt angesichts der wachsenden Lebenszufriedenheit, bei der der Osten mit dem Westen inzwischen gleichzieht, „wie glücklich es macht, in den ostdeutschen Landeshauptstädten zu wohnen“.
"Ein bisschen wie München im Osten"
Erfurt, Dresden, Magdeburg und Schwerin waren schon an der Reihe, nun ist Brandenburg mit Potsdam dran. Und die Autoren nähern sich in dem doppelseitigem Stadtporträt weitaus differenzierter als andere überregionale Medien der Stadt an der Havel – und doch spielt auch der Reichtum wieder eine Rolle.
Das Fazit der Autoren lautet: Potsdam ist „ein bisschen wie München im Osten“, denn hier gebe es im Gegensatz zu anderen Landeshauptstädten der neuen Bundesländer Geld. Das mache viele froh, manchen aber auch Sorgen. Es ist ein vielschichtiges, auch amüsantes Porträt, das da in der „Zeit“ zu lesen ist.
Garnisonkirche: "Die Wunde der Stadt"
Aber von vorn: Das Bild dieser Stadt zeichnen die Autoren nicht nur anhand des Konflikts um den umstrittenen Wiederaufbau der historischen Mitte und der Garnisonkirche nach. Sie setzen das Bild als Puzzle zusammen – anhand von vielen Fragen an viele Potsdamer. Ulrike Wildner, die Leiterin des Standesamt erzählt, dass Potsdam Weltspitze beim Heiraten ist, jedenfalls wenn man die Zahl der Trauungen ins Verhältnis zur Einwohnerzahl setzt. Viele heiratswillige Paare kämen von außerhalb, auch wegen der vielen schönen Orte in der Stadt, um das Fest ihres Lebens zu feiern.
Natürlich kommt die Garnisonkriche zur Sprache – als „Wunde dieser Stadt“ – und die Kritik an dem „Rekonstruktionskult“, die erbitterten Debatten darum, wie beim Landtagsschloss oder dem Spuren ihres Lebens im Stadtbild zu verlieren, nicht mehr mitzukommen. Die Autoren stellen fest: „Der Konflikt um die Kirche steht für viele Konflikte in dieser Stadt. In Potsdam zeigt sich auch was passiert, wenn eine Oststadt vermünchnert.“ Weil die Reichen und Schönen in die Villen an den Ufern gezogen sind, weil sie sich engagieren für die Rekonstruktionen der Stadt nach historisch-preußischem Vorbild, weil selbst sie kaum mehr eine Wohnung finden hier. „In Potsdam wird sichtbar, wie großartig und wie schwierig Reichtum sein kann: Er lässt die Stadt prosperieren. Reichtum kann eine Stadt jedoch auch ersticken“, schreibt die „Zeit“.
„Potsdam wird kein Preußen-Disneyland werden“
Für die Autoren ist klar, dass es genau dieses „alte Geld“, der selbstverständliche Reichtum ist, der Potsdam von den anderen ostdeutschen Landeshauptstädten abhebt: Der „Wohlstand, der zu Mäzenatentum führt“. Dirigent Christian Thielemann kommt zu Wort, Hasso Plattner, der SAP-Mitgründer, wird natürlich erwähnt.
Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) findet trotz aller Konflikte zwischen neuen und alten Potsdamern, dass die Stadt von den wohlhabenden Neu-Potsdamern nicht nur materiell profitiert, weil sie sich einbringen, Kultur schaffen, ihre Villen und Gärten zum Tag des offenen Denkmals öffnen. Er sagt: „Es wird nach außen immer kolportiert, dass sich die Schönen und Reichen Potsdam nach ihren Vorstellungen wieder aufbauen würden. Ganz so einfach ist es aber nicht. Die Entscheidungen trifft die Stadtverordnetenversammlung.“ Und der frühere Ministerpräsident Manfred Stolpe sagte: „Potsdam wird kein Preußen-Disneyland werden.“
Das Kleinstädtische in der Großstadt
Dass die Stadt immer wieder neu um ihr Selbstverständnis ringt, die Konflikte offen austrägt, hat für Stolpe etwas Gutes: „Das ist ein praktisches Übungsfeld für Toleranz in Potsdam.“ Und Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), Potsdamer, hebt in dem ganzen Streit um den Wiederaufbau das Pragmatische hervor. Endlich hat die Stadt wieder ein Zentrum, wo jahrzehntelang Brache war.
Christian Näthe, Jahrgang 1976, Schauspieler, der beim Bündnis „Stadtmitte für alle“ mitmacht, seine Heimatstadt „wirklich schön“ findet, beklagt das Kleinstädtische der Großstadt, die Verspießerung im Stadtbau: „Über diese Schönheit legt sich der Schleier einer gefährlichen Ruhe.“ Es sind die schrumpfenden Freiräume zwischen all dem Wiederaufbau des Preußenerbes, der Prunkbauten. „Was ich der Stadt vorwerfe, das ist, dass ihr die Fassade lieber ist als der Inhalt“, sagt Nähte.
Potsdam hat noch immer Freiräume
Auch Susanne Ahlefelder-Potthas, Lehrerin, wird erwähnt. Sie zog nach dem Mauerfall nach Potsdam, verliebte sich in die Patina der Stadt und kämpft heute im Verein „Griebnitzsee für alle“ für ein freies Ufer wo einst die deutsch-deutsche Grenze verlief. Die „Zeit“-Autoren befinden: „Der Kampf um diesen Weg ist noch längst nicht entschieden, aber es ist kein Kampf Ost gegen West. Es ist ein Kampf um die Frage, ob Potsdam eine Stadt des Unter-sich-Bleibens sein will. Eine Stadt der Grüppchen. Oder eben nicht.“
Freiräume gibt es immerhin noch. Maria Erke, 25, studiert in Berlin, sie zog es aus Dresden nach Potsdam. Auf der anderen Seite der Glienicker Brücke ist es ihr zu stressig, hier hat sie die Auswahl zwischen Entspannen am See oder schneller Ausflüge ins laute Berliner Nachtleben. Potsdam ist für sie „nicht einfach Brandenburgs Hauptstadt, sondern eine Stadt mit S-Bahn-Verbindung nach Berlin“. Das macht sich für sie auch in Potsdam selbst bemerkbar, an der Kultur, der Vielfalt. Die Studentin lebt in einem Hausprojekt, noch gibt es diese Nischen.
Was die Pendler ärgert
Kathleen Schubert hat mit ganz anderen Probleme zu kämpfen. Sie betreibt ein Nagelstudio in Potsdam und wurde befragt, was der Stadt unter den Nägeln brennt. Schubert erlebt beide Seiten des Booms. Sie erstickt in Arbeit, kann sich vor Kunden kaum retten, findet aber einfach keine neuen Mitarbeiter, keine Verstärkung.
Und ganz nebenbei streift die „Zeit“ in ihrem Stadtporträt noch die anderen großen Potsdamer Themen. Manfred Förster, 58, Chauffeur von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), spricht die Zeppelinstraße an. „Es ist schlimm geworden“, sagt er. Weil weniger Autos in der Innenstadt fahren, die Straßen wegen der hohen Feinstaub-Belastung einspurig sein sollen. Ob das gut geht? Förster hat seine Zweifeln, wegen der vielen Pendler. „Ich wohne außerhalb in einem Dorf, früher brauchte ich eine halbe Stunde bis Potsdam, jetzt ist es eine ganze“, sagt Förster.
Große ostdeutsche Kunst nicht nur in Dresden und Berlin
Auch Woidke selbst kommt zu Wort. Er darf erzählen, wo die Macht sitzt. Naja, eigentlich erzählt er nur, wie es in seinem Büro in der Staatskanzlei aussieht: sachlich und preußisch. Finanzminister Christian Görke (Linke) berichtet, wo er am liebsten bei Tisch die heiklen Themen klärt: im Piazza Toscana in Babelsberg. Die neue Osteria an der Langen Brücke ist ihm zu sehr sehen und gesehen werden. Überhaupt die Restaurants, man könnte täglich in ein anders gehen. Görke bleibt der Piazza Toscana treu, gute Preise haben sie da, für Potsdamer Verhältnisse jedenfalls. Nach dem Essen gibt es dann für den Minister einen sizilianischer Bitterlikör. Prost!
Der Blick wendet sich zum Museum Barberini von Mäzen Hasso Plattner. Läuft gut. Plattner freut sich über „internationale Anerkennung“. Und die „Zeit“ lobt: „Wer große Kunst in Ostdeutschland sehen will, muss nicht mehr nach Dresden und Berlin fahren.“ Potsdam ist ein paar Ligen aufgestiegen.
Der Platz zum Träumen
Aber wo bleibt jetzt nun das Glück? Leben will man ja auch. Schauspielerin Nina Gummich, 26, die Entdeckung des Potsdamer Hans Otto Theaters, erzählt, wo sie gern schreit. Es hat mit Baden zu tun und mit Naturgewalt. Sie weiß aber auch, wo es sich gut tanzen lässt – und wo man träumt: im Café Eden im Park Sanssouci.
Wer will da schon weg aus Potsdam, auf Weltreise gehen?
Gar nicht nötig, schreibt die Autorin Jana Hensel, die sich den Hauptbahnhöfen der Landeshauptstädte widmet. Am Potsdamer Bahnhof reicht es, sitzen zu bleiben. Die Welt kommt von selbst vorbei. Potsdam ist eben etwas Besonderes: „In keiner anderen Stadt sind die Leute bekanntlich so glücklich wie hier. Potsdam ist wie Dresden ohne Pegida. Dafür mit Kai Diekmann, Wolfgang Joop, Günther Jauch.“
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