
© Andreas Klaer
Anradeln gegen ein Tabu: „Mut-Tour“ mit Fokus auf Depressionen
75 Menschen mit und ohne Depression radeln bei der „Mut-Tour“ quer durch Deutschland, um das Thema zu entstigmatisieren und Betroffenen Mut zu machen. Am Mittwoch machten sie in Potsdam Halt.
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Wer Depressionen hat, sitzt nur zu Hause, ist ständig todtraurig? Ein beliebtes Klischee, das oft nichts mit der Realität von Menschen mit Depressionen zu tun hat: „Es gibt ganz unterschiedliche Symptome, jeder Mensch reagiert da anders“, sagt Claudia Madry, Leiterin des achtköpfigen Etappenteams der „Mut-Tour“, die am Mittwoch Station in Potsdam machte. „Depression hat viele verschiedene Gesichter.“
Bestes Beispiel ist die Mut-Tour selbst, die seit 2012 vom Verein „Mut fördern“ durchgeführt wird: 15 Teams mit insgesamt 75 Teilnehmenden fahren quer durch Deutschland, um das Thema Depression zu entstigmatisieren. Start war am 24. Mai in Bochum, Ziel ist Rostock am 6. September.
Seit Corona gibt es immer mehr jüngere Menschen mit Depressionen. Aktuell ist vor allem Schulstress ein großes Thema.
Oliver Geldener vom Potsdamer Selbsthilfezentrum SEKIZ
Mit dabei sind Menschen mit und ohne Depression, so wie Cora Merker: „Ich habe Angehörige mit Depression und bin auch selbst betroffen“, sagt sie. Sie nehme an der Mut-Tour teil, weil sie das Thema aus der Tabu-Ecke herausholen möchte: „Es tut gut zu wissen, dass es auch andere Betroffene gibt und dass es eine Erkrankung ist, aus der es einen Weg heraus gibt.“
Unterstützt wird die Aktion vom Selbsthilfe-, Kontakt- und Informationszentrum Potsdam (SEKIZ): „Allein bei uns gibt es sechs Selbsthilfegruppen zum Thema Depression“, sagt Oliver Geldener von SEKIZ. „Seit Corona sind es mehr Gruppen geworden, die Nachfrage ist groß.“ Ein Grund dafür seien unter anderem auch die langen Wartezeiten für Therapieplätze, sagt Geldener: „Zum Teil warten Betroffene mehr als ein halbes Jahr, manche sogar mehr als ein Jahr.“
Geldener betont jedoch, dass Selbsthilfegruppen nie eine Therapie ersetzen können: „Aber generell ist Selbsthilfe immer sinnvoll, auch als Begleitung zu einer Therapie.“ Zu den Selbsthilfegruppen von SEKIZ würden sowohl Jüngere als auch Ältere kommen: „Seit Corona gibt es immer mehr jüngere Menschen mit Depressionen. Aktuell ist vor allem Schulstress ein großes Thema“, so Geldener.
Laut dem AOK-Gesundheitsatlas Brandenburg bekam 2022 jede zehnte Person in Potsdam die Diagnose Depression. Damit liegt Potsdam leicht unter dem Landesschnitt: Hier war es jede neunte Person.
Immer noch viele Vorurteile
Noch immer haben Menschen mit Depressionen mit vielen Vorurteilen zu kämpfen: „Manche sagen: ‚Ach komm, du siehst doch gesund aus, du kannst doch arbeiten gehen‘“, sagt Merker. „Aber eine Depression ist oft von außen nicht sichtbar, das ist anders als ein gebrochenes Bein.“ Auch sie selbst höre öfters Kommentare, dass sie nicht wirklich depressiv sein könne, weil sie so viel Sport mache: „Aber Sport ist etwas, was mir unglaublich hilft, den Alltag zu bewältigen“, sagt Merker. „Wenn ich den nicht machen würde, dann würde ich jetzt nicht hier stehen.“

© Andreas Klaer
Die Mut-Tour will daher auch zeigen, was gegen Depressionen helfen kann: Sport. Tatsächlich hatte erst im Frühjahr der Potsdamer Sport- und Gesundheitswissenschaftler Andreas Heißel mit seinem Projekt „Sport-/Bewegungstherapie bei Depression“ gezeigt, dass eine Sporttherapie bei leichten und mittleren Depressionen ähnlich wirksam ist, wie eine Psychotherapie.
Das Wichtigste sei aber, überhaupt über Depressionen zu reden, sagt Merker: „Wer betroffen ist, sollte auf jeden Fall mit jemanden darüber sprechen, egal ob mit Freunden oder mit dem Hausarzt.“
Wer selbst an Depressionen leidet und Hilfe und Austausch sucht, hat in Potsdam mehrere Anlaufmöglichkeiten: Neben den Selbsthilfegruppen von SEKIZ gibt es auch den Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes Potsdam und die Allgemeine Sozialberatung der Caritas in Potsdam. Wer anonym mit jemandem sprechen möchte, kann sich jederzeit an die Telefonseelsorge unter 0800/1110111 und 0800/1110222 wenden.
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