Landeshauptstadt: Nahost ohne Konflikt
Jugendliche aus Israel und Palästina lernen in Potsdam auf Einladung der „Grenzgänger“ miteinander lachen
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Jugendliche aus Israel und Palästina lernen in Potsdam auf Einladung der „Grenzgänger“ miteinander lachen Schallendes Lachen im Zelt der Kulturcamper im Volkspark zur gestrigen Mittagszeit. Auf der Bühne versuchen rund 20 Jugendliche eine menschliche Pyramide zu bilden. „Das ist Wahnsinn“, staunt Undine Kulla, eine der Betreuerinnen der jungen Leute. Denn eigentlich sind zwei Teile der Gruppe offiziell Feinde: Noch bis Montag sind auf Einladung des Projekts „Grenzgänger“ jeweils sechs Schüler aus Israel und Palästina samt ihren Betreuern zu Besuch in Potsdam – um sich kennen zu lernen und damit Vorurteile abzubauen. Die „Grenzgänger“ gibt es seit 2002. Gegründet hat sie der Streetworker Gunnar Schulz aus der Villa „Wildwuchs“ im Babelsberger Park. 2003 und 2005 organisierten er und viele junge Helfer für Potsdamer Schüler und Studenten zwei Erfahrungsreisen nach Israel und Palästina – „nun endlich ist der Gegenbesuch da“, freut sich Projektchef Schulz. Die Jugendlichen aus dem Nahen Osten sind von den „Grenzgängern“ über ihre Schulen eingeladen worden, ein Großteil der Reisekosten kommt von der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Nach der Anreise am Freitag und Samstag kamen die beiden Gruppen erst einmal bei Gastfamilien unter. Gemeinsam besuchten sie schon den Bundestag und gingen paddeln – ohne Streit, mit viel Freude, wie die deutschen Projektteilnehmer übereinstimmend berichten. Es hätte auch anders laufen können. Undine Kulla, die seit 2003 bei den „Grenzgängern“ dabei ist, erzählt von einem ähnlichen Versuch in Frankfurt an der Oder. „Dort wurden die beiden Gruppen schließlich getrennt, jede hat dann für sich selbst die Stadt entdeckt.“ Umso glücklicher ist sie, dass es hier so unbefangen zwischen den Jugendlichen zugeht, „sie können über ernste Themen sprechen, ohne sich in die Wolle zu bekommen.“ Nun wohnen sie gemeinsam in einer Herberge. Szenenwechsel, der Abend vor dem Ausflug zu den Kulturcampern. Das „Al Globe“ in der Charlottenstraße ist voll besetzt. Vorn moderiert Rudi Pahnke, Vorsitzender des Berliner Instituts „Neue Impulse“ für Kooperationen im Jugendaustausch Deutschland und Israel e.V., eine Diskussion mit dem Palästinenser Rami Lama, dem Israeli Tomer Avraham und dem Hermannswerder-Gymnasiasten Silas Mücke. Thema: „Wie viel Frieden verträgt die Gerechtigkeit?“ Vorsichtig führt Pahnke die drei jungen Leute an die schwierige Frage heran. Sie sollen den Kampf für Gerechtigkeit in ihrer Heimat beschreiben, ob er überhaupt notwendig sei. Was wäre für sie Gerechtigkeit, fragt Pahnke. Rami Lama antwortet: „Wir haben keine Freiheit in unserem Land, keine Menschenrechte, wir können uns zwischen unseren Städten nicht frei bewegen – das muss sich ändern.“ Der Israeli Tomer sieht es ganz ähnlich: „Niemand darf nach seinem Glauben oder seinem Aussehen behandelt werden.“ Silas Mücke spricht fast verschämt von einem „Wohlstandsgefälle“ in Deutschland. Pahnke kommt dem Kern näher. Er fragt, welche Mittel für die Gerechtigkeit eingesetzt werden dürfen. Alle sind sich einig: Keine Gewalt. Ohne den Konflikt wäre das Leben schöner. Später mischt sich der palästinensische Reiseleiter Muhammed ein. Er erzählt, was Ungerechtigkeit für ihn ganz praktisch bedeutet: „Die Israelis haben fünf Stunden nach Deutschland gebraucht, wir wegen der Kontrollen 40.“ Undine Kulla verfolgt die Diskussion aufmerksam, sie war schon oft in der Region unterwegs. „Es ist eine andere Welt dort, als in den Medien dargestellt – und auch unter den Palästinensern gibt es Leute, die den Holocaust leugnen, Gewalt verherrlichen und sich Frieden nur ohne Israel vorstellen können“. Doch für den Moment ist sie froh, dass es mit dem Zusammenleben zumindest in Potsdam klappt. In einem Monat bringt sie mit den „Grenzgängern“ eine schriftliche Dokumentation über die bisherige Arbeit des Begegnungsprojekts heraus. Vielleicht steht dort dann auch der Satz des Israelis Tomer Avraham am Ende der Diskussion im „Al Globe“: „Vielen Dank für diese vielleicht einmalige Chance, wir verstehen uns ja recht gut.“ Befreites Lachen folgt – wie tags darauf im Kulturcamperzelt. Am Samstag findet im Waschhaus das von den „Grenzgängern“ organisierte „Border Breakin“ Beatz“-Festival statt. Dort spielen die 17 Hippies, Casino Gitano sowie die israelische Band Gaya. Einlass ist 17 Uhr, Beginn ab 18 Uhr. Der Erlös geht in die MigrantInnenberatungsstelle und in die Versöhnungsarbeit im Nahen Osten.
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