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Durchsucht: Neonazi bei der NPD-Demo am 15. September 2012.

© M. Thomas

Landeshauptstadt: Neonazis auf dem Friedhof

Polizei: Nach Jahren des Rückgangs wieder mehr politisch motivierte Gewalt Verfassungsschutz: 100 Rechts- und 130 Linksextremisten in Potsdam

Stand:

Potsdam - Nach Jahren des Rückgangs steigt in Potsdam die Zahl rechter und linker Gewalttaten wieder leicht an. Das bestätigte die Polizei auf PNN-Anfrage. Zugleich schrecken Neonazis nicht mehr davor zurück, illegale Fackelzüge auf Potsdamer Friedhöfen zu veranstalten. Das geht aus dem neuen Bericht des Landesverfassungsschutzes für das vergangene Jahr hervor.

Laut Polizeichef Maik Toppel gab es 2012 sechs rechtsextreme Gewalttaten in Potsdam, von denen fünf aufgeklärt werden konnten. 2011 hatte die Polizei nach eigenen Angaben keine einzige Gewalttat registriert, 2010 nur drei. Selbst die Antifa hatte erklärt, dass Potsdams Neonazis weniger gewaltbereit agierten. Dem linken Spektrum werden für 2012 sieben Gewalttaten zugeordnet, drei mehr als 2011 – fünf davon wurden aufgeklärt. Toppel sagte, trotz des Anstiegs fänden Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten im Vergleich zu früheren Zeiten nur noch auf niedrigem Niveau statt. Als typische rechte Gewalttat schildert der Verfassungsschutz einen Vorfall vom 29. Mai 2012 am Schlaatz: An einer Bushaltestelle sei ein Schüler mit fremdländischen Aussehen von zwei Männern beleidigt und mehrfach ins Gesicht geschlagen worden. Andere, gerade die linken Gewalttaten, seien im Umfeld von Demonstrationen begangen worden, hieß es bei Polizei.

Zugleich heißt es vom Verfassungsschutz, zwischen dem 12. und dem 13. April 2012 hätten Neonazis aus der Region anlässlich der Bombardierung Potsdams im Zweiten Weltkrieg auf dem Neuen Friedhof eine illegale Versammlung durchgeführt. Stadtsprecher Stefan Schulz sagte den PNN, dabei seien Teelichter vor Grabsteine der Opfer des Bombenangriffs am 14. April 1945 gestellt worden. Die Polizei habe Ermittlungen eingeleitet. Weitere Vorkommnisse auf einem der städtischen Friedhöfe seien aber nicht bekannt, so Schulz. Im Vorfeld des 14. Aprils in diesem Jahr organisiere die Polizei – auch mit Zivilstreifen – Kontrollgänge über die Friedhöfe. Zugleich sei man auf Informationen aus der Bevölkerung angewiesen, um Aufmärsche schnell zu unterbinden, so Schulz.

Für die Potsdamer Neonazis bemerkt der Verfassungsschutz weiter, dass sie neben illegalen Fackelzügen inzwischen auch zu „unkonventionellen Aktionsformen“ fähig sind – so das Zumauern des Haupteingangs der Arbeitsagentur am Horstweg im August 2012. Die symbolische Steinmauer wurde mit den Worten „Frei, Sozial, National“ beschmiert.

Erstmals bestätigt der Verfassungsschutz die Existenz der auch in Potsdam aktiven rechtsextremen Fußball-Gang „Crimark“. Es handele sich um Fans des FC Union Berlin. „Die führenden Akteure kommen aus Potsdam und Umgebung“, heißt es. Der Name „Crimark” setzt sich aus „Crime” (Verbrechen) und „Mark“ zusammen. Von der Antifa hieß es bereits im vergangenen Juni, die Gruppe versuche mit Drohungen und Gewalt junge Fans des SV Babelsberg 03 einzuschüchtern. Dazu treffen die Verfassungsschützer allerdings keine Aussage. Dadurch aber werde das aggressive Potenzial der Gruppe marginalisiert, kritisierten die Ultra-Fans des SVB 03 in einer Erklärung.

Kaum wahrnehmbar ist in Potsdam der parteigebundene Rechtsextremismus. Die NPD sei bereits seit zwei Jahren weitestgehend inaktiv, so die Verfassungsschützer. Es existiere allerdings ein Stützpunkt der Jungen Nationaldemokraten. Zugleich werden im neuen Bericht der Behörde acht Potsdamer Neonazi-Bands genannt – zwei mehr als im Vorjahr.

Auf PNN-Anfrage teilte das Innenministerium mit, man gehe von etwa 100 Rechts- und 130 Linksextremisten in Potsdam aus. Bei Letzteren sei die Zahl der Mitglieder im Schwinden begriffen, so der Verfassungsschutz. Allerdings versuchten Linksextreme Themen wie den Kampf gegen Rechtsextremismus oder gegen steigende Mieten zu besetzen, um taktische Bündnisse mit demokratischen Gruppierungen einzugehen, um diese zu beeinflussen. Man mobilisiere mit Aktivitäten gegen gemeinsame Feindbilder – etwa anlässlich der „Sommertour der NPD“ am 10. August 2012 am Luisenplatz. Dabei hätten Autonome aus dem Schutz der Menge Gegenstände geworfen, heißt es im Bericht. Als gravierend wird ein vor der NPD-Demonstration am Hauptbahnhof am 15. September 2012 im Internet aufgetauchtes Video bewertet, in dem vermummte Personen eine Barrikade aus Mülltonnen errichten und Pyrotechnik entzünden. Die Staatsanwaltschaft habe dies als Aufforderung zu Straftaten eingestuft. Als Hardliner unter den Autonomen sei vor der Demo der „Arbeitskreis Antifa Potsdam“ aufgetreten.

Weiter stellt der Verfassungsschutz fest, dass die Ankündigungen von Autonomen, Veranstaltungen im Jahr des 300. Geburtstages von Friedrich II. zu stören, nur zaghaft und ansatzweise umgesetzt worden seien: „Das lässt auf einen weiteren Schwund der Szene schließen“. Wieder im Verfassungsschutzbericht verzeichnet ist die Rote Hilfe e.V. als eine Konsensorganisation des linksextremistischen Spektrums, deren eigentliches Ziel in der Überwindung des demokratischen Rechtsstaates liege. Wie berichtet ist der Potsdamer Linken-Bundestagskandidat Norbert Müller Mitglied in dem Verein – die Rote Hilfe unterstütze Linke bei rechtlichen Auseinandersetzungen, hatte Müller erklärt.

Noch eines stellt der Verfassungsschutz fest: Nachdem sich die jahrelang beobachtete „Islamische Gemeinschaft am Park Sanssouci“ (IGAPS) aus Potsdam zurückgezogen hat, ist das Urteil jetzt eindeutig: „In den Moscheen und Gebetsräumen im Land Brandenburg, wie in Potsdam und Cottbus, scheinen radikale Prediger momentan keine Akzeptanz zu finden.“ Gerade Muslime mit Migrationshintergrund zeigten sich kaum aufgeschlossen gegenüber islamistisch-extremistischem Gedankengut, so die Verfassungsschützer.

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