Von Henri Kramer: Neonazis, Autonome, Islamisten
Verfassungsschutz nimmt NPD-Stadtverordneten, Fußballfan-Initiative und Islam-Gruppe ins Visier
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Ein „Neonationalsozialist“ im Stadtparlament, Linksextreme in einem Babelsberger Fußballprojekt, eine Islamgruppe mit zweifelhafter Geisteshaltung: Seitenweise wird im gestern erschienenen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2010 über demokratiefeindliche Bestrebungen in Potsdam referiert.
RECHTSEXTREMISMUS
Im Visier der Verfassungsschützer steht der Potsdamer Stadtverordnete Marcel Guse von der NPD. „Deutlicher, klarer und eindeutiger kann sich ein NPD-Funktionär nicht mehr zur Ideologie der NSDAP bekennen“, schreibt die Behörde über Guse, der seit Juni 2009 im Stadtparlament sitzt. Unter anderem schrieb Guse laut Verfassungsschutz auf der Internetseite des NPD-Kreisverbands Havel-Nuthe anlässlich des Flugzeugabsturzes des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski im vergangenen April, es sei ihm „egal“, ob ein polnischer Präsident „samt Gefolge ins Gras beißt“. Guse weiter: „Mich interessiert nur eine Frage: Wann kehrt die Heimat meiner Vorfahren wieder heim ins Reich.“ Laut Verfassungsschutz sei das selbst dem NPD-Kreisverband zu weit gegangen: Der Beitrag von Guse sei wieder entfernt worden, heißt es im Bericht.
Ebenso beschäftigt sich der Verfassungsschutz mit dem Potsdamer Stützpunkt der Jungen Nationaldemokraten (JN), der NPD-Jugend. Die Potsdamer JN-Mitglieder seien eng mit „Freien Kräften“ verbunden, also mit oft noch radikaleren Neonazis ohne Parteibindung. Weiterhin berichtet der Verfassungsschutz über Verbindungen zwischen Personen aus der rechtsextremen Musik-Szene und dem Rocker-Klub „Hells Angels“ in Potsdam. Mindestens zweimal hätten diese im Winter vor einem Jahr gemeinsam Partys gefeiert. Insgesamt gebe es in Potsdam sechs Neonazi-Bands, eine weniger als vor einem Jahr. Die Gruppen würden allerdings kaum in der Landeshauptstadt spielen – sondern etwa in Sachsen, dort aber vor bis zu 400 rechtsextremen Gästen. Laut Polizei werden Rechtsextremen in Potsdam für das vergangene Jahr drei Gewalttaten, 47 Propagandadelikte und 30 weitere Straftaten zur Last gelegt.
LINKSEXTREMISMUS
Neu ist in diesem Jahr die Initiative „Fußballfans beobachten Polizei“ des Fanprojekts Babelsberg, das von der Stadt Potsdam, dem Land Brandenburg und dem Deutschen Fußball-Bund finanziert wird, im Verfassungsschutzbericht aufgeführt. An der Fan-Initiative seien dem „autonomen Linksextremismus zuzuordnende Fußballfans (...) beteiligt“. Sie glaubten, damit Rechtsextremismus und „faschistische Staatsgewalt“ zu bekämpfen. Schon 2007 hatte der Verfassungsschutz „Fußballfans beobachten Polizei“ in Zusammenhang mit „Stadion-Aktivitäten“ der „linksextremistischen Antifa“ gebracht.
Auch die Potsdamer Punk-Band „Wicked World“ wird vom Verfassungsschutz erwähnt: In ihrem Song „Ich will Deutschland brennen sehen“ würden die Musiker von Bomben träumen, „mit denen der Staat weggesprengt werden soll“. Kritisiert wird auch der Auftritt der Band „Pestpocken“ aus Gießen im alternativen Kulturzentrum „Archiv“ im vergangenen Mai: Die Musiker der Gruppe legten „eine Hass auf das demokratische System verherrlichende Haltung an den Tag“.
Insgesamt geht der Verfassungsschutz von rund 2500 Personen in Potsdam aus, die mit linksextremen Bestrebungen sympathisieren, sie unterstützen oder zur autonomen Szene gehören. Über einem Foto des alternativen Wohnprojekts in der Zeppelinstraße 26 schreibt der Verfassungsschutz auf Seite 128 des Berichts, „ihre Wohnobjekte“ würden autonome Bewohner „argwöhnisch verschlossen“ halten. Nur zu Veranstaltungen der Szene würden die Häuser einem „ausgesuchten und vertrauenswürdigen“ Publikum geöffnet. „Manche betreiben einen eigenen Sicherheitsdienst, verdunkeln die Fenster und ziehen während der Dauer einer Veranstaltung die Handys der Besucher ein, damit keine Informationen nach außen dringen können“, so der Verfassungsschutz.
Als Gewaltdelikt von Seiten der linken Szene in Potsdam wird der Angriff auf eine Gruppe Rechtsextremer erwähnt, die im November Flyer der NPD verteilten. Ebenso sei im Oktober das Auto eines Rechtsextremen während einer Veranstaltung der NPD in der Gaststätte „Wiesenbaude“ in Brand geraten. Die Polizei rechnet Linksextremen in Potsdam für das vergangene Jahr fünf Gewalttaten und 20 weitere Straftaten zu.
ISLAMISTEN
Zum vierten Mal in Folge nehmen sich die Verfassungsschützer in ihrem Jahresbericht die „Islamische Gemeinschaft am Park Sanssouci“ (IGAPS) vor. Die Gemeinschaft präsentiere sich zwar als „Ansprechpartner in Sachen Islam und Fürsprecher eines friedlichen Miteinanders“. Doch würden die Menschen so über die „extremistischen Ziele“ der IGAPS getäuscht. Ihre Ideologie sei daraufhin angelegt, „demokratiefeindliche und antisemitische Ressentiments in der Gesellschaft zu verbreiten sowie extremistische Einstellungen unter Muslimen zu fördern“. Jedoch komme die IGAPS mit Sitz in der Weinbergstraße bei der Verbreitung ihrer Ideen „kaum voran“, so der Verfassungsschutz. Die IGAPS hatte alle Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Weiterhin schreibt der Verfassungsschutz, die „islamistisch-extremistisch ausgerichtete Erweckungs- und Missionierungsbewegung“ Tablighi Jama''at (TJ) habe mit Missionarsgruppen versucht, auch in Potsdam neue Mitglieder zu gewinnen. Erkenntnisse zum Erfolg dieser Bestrebungen lägen nicht vor.
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