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Menschenmassen auf dem Alten Markt: Paul von Hindenburg am 21. März 1933 auf dem Weg zur Nikolaikirche, wo zunächst ein Gottesdienst stattfand.

© Franz Boroffka/Potsdam Museum/Franz Boroffka

Potsdam im Jahr 1933: Eine Stadt wird gleichgeschaltet

Der „Tag von Potsdam“ ist als „Begräbnis der deutschen Demokratie“ in die Geschichte eingegangen. Aber wie sah die schrittweise NS-Gleichschaltung vor Ort aus? Eine Chronik.

Am Dienstag jährt sich der „Tag von Potsdam“ zum 90. Mal. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurde am 21. März 1933 der neue Reichstag mit einem Festakt in der Potsdamer Garnisonkirche eröffnet. Der Tag wurde von den Nationalsozialisten als Schulterschluss zwischen den alten preußischen Eliten und dem neuen Regime inszeniert – der neue Kanzler Adolf Hitler zeigte sich in scheinbar demütiger Pose mit Reichspräsident Paul von Hindenburg. Zehntausende begeisterte Bürgerinnen und Bürger säumten die Straßen.

Der Umbau zu einer nationalsozialistisch-gleichgeschalteten Gesellschaft passierte nicht an einem Tag. Wie diese Entwicklung auf lokaler Ebene aussah, wie sich der Alltag der Menschen änderte, wie NS-Ideologie und Führerkult nach und nach in fast alle Lebensbereiche einsickerten, ist auf der Webseite brandenburg-33.de auf einer interaktiven Karte für mehr als 20 Orte in Brandenburg nachvollziehbar.

In dem gemeinsamen Projekt des Aktionsbündnisses Brandenburg gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus und des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam (MMZ) werden mehr als 200 Ereignisse aus den Monaten vor und nach der „Machtergreifung“ verortet. Für acht Städte, darunter Brandenburg an der Havel und Luckenwalde, gibt es zudem Audiowalks. Die folgende Chronik mit Ereignissen in Potsdam stützt sich größtenteils auf diese Webseite.

2. April 1932

In Babelsberg (damals Nowawes) wird eine 37-jährige Näherin mit Gas vergiftet in ihrer Wohnung aufgefunden, wie die Fehrbelliner Zeitung berichtet. Grund für die Selbsttötung: drohende Arbeitslosigkeit. Solche Zeitungsmeldungen häufen sich. Im Sommer 1932 erreicht die Arbeitslosenzahl im Deutschen Reich durch die Weltwirtschaftskrise die Sechs-Millionen-Marke. In der Provinz Brandenburg muss der Haushalt wegen riesiger Steuerausfälle um 25 Prozent gekürzt werden.

Der Preußenadler mit Hakenkreuz von Julius Schramm sollte um 1940 am Alten Rathaus angebracht werden. Zu sehen ist er im Potsdam Museum.
Der Preußenadler mit Hakenkreuz von Julius Schramm sollte um 1940 am Alten Rathaus angebracht werden. Zu sehen ist er im Potsdam Museum.

© Andreas Klaer

20. Juli 1932

Reichspräsident Paul von Hindenburg löst über eine Notverordnung mit dem sogenannten „Preußenschlag“ die sozialdemokratisch geführte Regierung Preußens auf. Als Vorwand dient die angebliche Unfähigkeit der Regierung angesichts des „Altonaer Blutsonntags“ drei Tage vorher, als es bei einem Marsch der SA zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und 18 Toten kam.

Als Nachfolger des bisherigen Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD) wird Reichskanzler Franz von Papen in das Amt eines Reichskommissars für Preußen eingesetzt. Durch den Eingriff in die Länderhoheit seitens der Reichsregierung wurde später den Nazis die Übernahme der Macht erleichtert.

Mythos Preußen: Der Titel, der im Potsdam Museum ausgestellten Gedenkausgabe zum „Tag von Potsdam“ zeigt nicht Hitler, sondern Friedrich II.
Mythos Preußen: Der Titel, der im Potsdam Museum ausgestellten Gedenkausgabe zum „Tag von Potsdam“ zeigt nicht Hitler, sondern Friedrich II.

© Andreas Klaer

1. und 2. Oktober 1932

Zum „Ersten Nationalsozialistischen Reichsjugendtag“ strömen zehntausende Jugendliche zum Luftschiffhafen, wo sie in einem riesigen Zeltlager unterkommen. Adolf Hitler ist als Redner angekündigt. Fotos zeigen, wie die Menschenmenge im Stadion ihr Idol mit Hitlergruß empfängt, viele Hakenkreuzflaggen sind zu sehen. Eigentlich hatte die Stadt strenge Auflagen gemacht, ein Umzug und politische Reden waren verboten worden, Fahnen ebenso. Der Potsdamer Polizeipräsident äußerte sich danach in der Presse resigniert: Die schiere Zahl der Teilnehmenden mache es unmöglich, irgendwelche Auflagen durchzusetzen. Ein Erinnerungsbuch mit Fotos trägt den Titel „Der Tag von Potsdam“.

26. Februar 1933

Der Regierungspräsident in Potsdam teilt mit, dass es verboten sei, öffentlich Geld- oder Sachspenden für die Zwecke der KPD oder ihrer Nebenorganisationen zu sammeln. Es dürfe nur noch in geschlossenen Versammlungen und bei den eigenen Mitgliedern gesammelt werden. Die Kommunistische Partei gehörte zu den politischen Hauptgegner:innen der Nazis.

21. März 1933

Der Buckower Lokalanzeiger berichtet von einem enormen Zuschauer:innenandrang zum „Tag von Potsdam“. Die Potsdamer Hotels seien lange ausverkauft gewesen, Anwohner:innen hätten Fensterplätze an Fremde vermietet. Bis zu 500 Reichsmark hätten „reiche Amerikaner“ gezahlt. Die Fehrbelliner Zeitung meldet, dass „zur Feier des Tages“ der Unterricht „an allen preußischen Schulen und Hochschulen“ ausfällt. Schüler:innen und Schulleitungen hören um 12 Uhr gemeinsam die Reden Hitlers und Hindenburgs im Radio. Hitler ist nach den offiziellen Feierlichkeiten noch bei Prinz August Wilhelm von Preußen in der Villa Liegnitz im Park Sanssouci zum Essen eingeladen.

Hitler-Hausplakette und Sondermünzen: Devotionalien zur Erinnerung an den 21. März im Potsdam Museum.
Hitler-Hausplakette und Sondermünzen: Devotionalien zur Erinnerung an den 21. März im Potsdam Museum.

© Andreas Klaer

30. März 1933

Der wegen Betrugs angeklagte Vertreter H. Ganitsch aus Berlin lehnt den als Beisitzer der Großen Strafkammer Potsdam fungierenden Gerichtsassessor Löwenthal ab, weil dieser als Jude befangen sein könnte. Die Strafkammer gibt dem Antrag statt, wie der Buckower Lokalanzeiger berichtet. Der Fall zeigt, dass sich im politischen Klima nach der „Machtübernahme“ viele Menschen die antisemitische Stimmung zunutze machten, noch bevor entsprechende Gesetze zur Ausgrenzung geschaffen wurden – mit Erfolg.

Den in der Uniform des Leib-Husaren-Regiments Nr. 1 aufgetretenen Ex-Kronprinzen Wilhelm von Preußen hatte Hitler persönlich eingeladen.
Den in der Uniform des Leib-Husaren-Regiments Nr. 1 aufgetretenen Ex-Kronprinzen Wilhelm von Preußen hatte Hitler persönlich eingeladen.

© Bundesarchiv/wikipedia commons / o.Ang.

1. April 1933

Die NSDAP ruft zu einem landesweiten Boykott von Geschäften, Arztpraxen und Anwaltskanzleien, die von Juden oder Jüdinnen betrieben werden, auf. In Potsdam werden Geschäfte in der heutigen Friedrich-Ebert-Straße und in der Brandenburger Straße von außen beschmiert. SA-Männer stellen sich vor die Türen und hindern Kunden am Eintreten. 

23. April 1933

Das zum Karstadt-Konzern gehörende Warenhaus Lindemann in der Brandenburger Straße muss als Folge des Aprilboykotts einige Angestellte fristlos entlassen. Ein Teil der ehemaligen Angestellten will nun vor dem Potsdamer Arbeitsgericht gegen die Entlassung vorgehen, meldet der Buckower Lokalanzeiger.

27. April 1933

Der Kommissar des NSDAP-Gauleiters für den Kreis Potsdam gibt bekannt, dass der Organist der Garnisonkirche, Otto Becker „arischer“ und nicht – wie Gerüchte behaupten – jüdischer Abstammung sei. Das sei durch „umfangreiches Aktenmaterial […] durch Jahrhunderte einwandfrei“ nachweisbar, heißt es in der Presse. Am 7. April war das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen worden, mit dem Menschen jüdischer oder anderweitig unerwünschter Herkunft aus dem Staatsdienst entfernt werden sollten. Auch viele Unternehmen, Verbände und Kirchen verlangten später „Ariernachweise“.

40.000
Menschen hören dem als Ministerpräsident eingesetzten Hermann Göring bei der Kundgebung am 1. Mai zu.

1. Mai 1933

Bei einer Kundgebung redet der als Ministerpräsident von Preußen eingesetzte Reichsminister Hermann Göring (NSDAP) vor 40.000 Menschen. Bereits um sechs Uhr früh waren die Arbeiterinnen und Arbeiter im „roten“ Vorort Nowawes (Babelsberg) von einem Spielmannszug geweckt worden. Obwohl die Nationalsozialisten den 1. Mai zum Feiertag gemacht haben, müssen die Arbeiter:innen in die Betriebe, wo Appelle stattfinden. Danach geht die Belegschaft geschlossen zum Festumzug. Im Babelsberger Park findet eine unabhängige Maifeier statt, wo der Kommunist Walter Klausch spricht – die Teilnehmenden bei solchen Veranstaltungen riskierten Verhaftungen.

Beim Staatsakt in der Garnisonskirche sprach Reichskanzler Adolf Hitler am 21. März 1933 vor Reichspräsident Paul von Hindenburg.
Beim Staatsakt in der Garnisonskirche sprach Reichskanzler Adolf Hitler am 21. März 1933 vor Reichspräsident Paul von Hindenburg.

© dpa

4. Mai 1933

Die Richter am Landgericht Potsdam sind geschlossen zur NSDAP übergetreten, berichtet der Buckower Lokalanzeiger.

16. Mai 1933

Spätabends zur Sterbestunde des als Märtyrer verehrten 1930 getöteten SA-Sturmführers Horst Wessel versammeln sich die SA und Anwohner:innen auf dem Adolf-Hitler-Platz in Nowawes (heute Peter-Weiss-Platz). Der Horst-Wessel-Gedenkstein wird mit der Hakenkreuzfahne bedeckt und Gruppenführer Ernst Berlin ergreift das Wort, um Horst Wessel zu gedenken. Zum Abschluss wird das Horst-Wessel-Lied gesungen. Das Setzen eines Gedenksteines im „roten“ Nowawes kann als Provokation und Machtbekundung gewertet werden.

22. Mai 1933

Auf dem Bassinplatz verbrennen Anhänger verschiedener NS-Jugendorganisationen als „undeutsch“ eingestufte Bücher. Als „Fackelzug nationaler Jugend“ war die Veranstaltung in der Potsdamer Tageszeitung angekündigt worden. Um acht Uhr abends treffen sich die Anhänger vor dem NSDAP-Parteilokal in der heutigen Hegelallee 38 und marschieren mit Fackeln durch die Stadt. Am Ende steht die Bücherverbrennung. Die Bücher seien vorher aus Schulen, Privathaushalten sowie Betriebsbibliotheken eingesammelt worden, heißt es in der Presse.

23. Mai 1933

Der Buckower Lokalanzeiger berichtet von der feierlichen Übergabe der Fahne des Gaus Brandenburg der nationalsozialistischen Schülerschaft auf dem Hof der ehemaligen Kadettenanstalt in Potsdam in der Heinrich-Mann-Allee. Prinz August Wilhelm von Preußen fordert die Schülerschaft zur Treue gegenüber Adolf Hitler auf. Die Veranstaltung endet mit dem gemeinsamen Singen des Horst-Wessel-Liedes. Im Juli wird das Internat in eine der ersten Nationalpolitischen Bildungsanstalten (Napola) umgewandelt, eine NS-Eliteschule.

Am 21. März jährt sich der Handschlag von Adolf Hitler und dem damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg vor der Garnisonkirche zum 90. Mal.
Am 21. März jährt sich der Handschlag von Adolf Hitler und dem damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg vor der Garnisonkirche zum 90. Mal.

© Bundesarchiv/wikipedia commons / Theo Eisenhart

12. Juni 1933

Auf dem Ufa-Filmgelände in Neubabelsberg wird unter Mitwirkung von 60 Hitlerjungen der Film „Hitlerjunge Quex“ gedreht. Der Film setzt dem bei Straßenkämpfen im Jahr davor getöteten und zum Märtyrer stilisierten Herbert Norkus ein Denkmal.

23. Juli 1933

Die Beteiligung an den Kirchenwahlen in Potsdam ist „außerordentlich stark“, heißt es in der Potsdamer Tageszeitung. Die NS-treuen „Deutschen Christen“ können sich knapp durchsetzen. Sie lagen in den Gemeinden von Garnisonkirche, Pfingstkirche, Nikolaikirche, Auferstehungskirche und in Nowawes vorn. Bei Heiliggeist-, Erlöser- und der Friedensgemeinde konnte sich die konkurrierende Liste „Evangelium und Kirche“ durchsetzen.

27. Juli 1933

Potsdams Oberbürgermeister Arno Rauscher (DNVP) ordnet an, dass sämtliche Angestellten und Beamt:innen des Magistrats mit dem Hitlergruß durch Erheben des rechten Armes zu grüßen haben – auch außerhalb des Dienstes.

16. September 1933

Die erste Arbeitssitzung des Preußischen Staatsrates findet in der Marmorgalerie des Neuen Palais’ statt. Ministerpräsident Hermann Göring besucht am Morgen zunächst das Grab Friedrichs II. in der Garnisonkirche, wie die Schlösserstiftung recherchiert hat. Göring sieht den Staatsrat in besonderer Verantwortung beim Aufbau des „Dritten Reiches“, erklärt er in seiner Eröffnungsrede im Neuen Palais: Er solle den Grundstein zu einer „wahrhaft nationalsozialistischen Staatsverfassung“ legen. Nach der „Machtergreifung“ war der repräsentative Schlossbau in Potsdam stärker in den Fokus der neuen Staatsführung gerückt. Als erstes großes Vorhaben werden die nördlichen Commun-Gebäude umgebaut, um darin die „Reichsführerschule des deutschen Arbeitsdienstes“ einzurichten. Göring lässt sich im Neuen Palais auch eine private Wohnung einrichten.

2. Oktober 1933

In der Kanaloper am Stadtkanal wird als erste Vorstellung des neuen NS-Verbands Deutsche Bühne e. V. das Drama „Schlageter“ von Hanns Johst, dem späteren Präsidenten der Reichsschrifttumskammer, aufgeführt.

31. Dezember 1933

Der NSDAP-Gauleiter Wilhelm Kube teilt im Schwedter Tageblatt vom 30. Dezember 1933 mit, dass allen politischen Amtswalter:innen und Amtsträger:innen von Nebenorganisationen in der Silvesternacht von 20 Uhr bis 8 Uhr des Neujahrstages das Tragen der Uniform außerhalb der eigenen Wohnung verboten ist. Möglicherweise wollte Kube verhindern, dass die Amtsträger:innen bei eventuellen Ausschweifungen als solche erkannt werden und damit das Image der NSDAP schädigen.

Die Uniformierung fast aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens war ein äußeres Zeichen der Gleichschaltung. Trug ein Mitglied einer nationalsozialistischen Organisation keine Uniform, konnte das disziplinarische Folgen haben. Legte jemand unberechtigt die Bekleidung der NSDAP an, so stand dies ab Sommer 1933 unter Strafe.

27. April 1934

In der Neuen Königstraße (Berliner Straße 62, Villa Bergmann) wird eine Reichsjugendführerinnenschule des Bunds Deutscher Mädel (BDM), dem weiblichen Pendant zur Hitlerjugend, feierlich eingeweiht. Schräg gegenüber befindet sich bereits eine Reichsjugendführerschule der Hitlerjugend.

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