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Schweigt weiter. Der angeklagte Silvio S.

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Landeshauptstadt: Quälendes Schweigen

Im Prozess um den Mord an Elias und Mohamed sind die Beweise gegen Silvio S. erdrückend. Doch warum redet er nicht? Diese Frage geht auch an seine Verteidiger. Deren Rolle wurde hinterfragt

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Staatsanwalt Peter Petersen kann sich das Schweigen von Silvio S. auch nicht erklären. Es ist inzwischen der siebte Verhandlungstag vor der Ersten Schwurgerichtskammer am Landgericht Potsdam gegen den 33-Jährigen. Mehrfach hatte der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter den Angeklagten um eine Aussage gebeten. Die Beweislage in dem Prozess, zu dem 48 Zeugen geladen und an dem fünf Sachverständige beteiligt sind, ist erdrückend. Doch Silvio S. sagt – nichts.

„Ich finde es rätselhaft, warum er schweigt“, sagte Petersen am Rande der Verhandlung. „Das kann ich nicht nachvollziehen.“ Das sei auch nach einer Verurteilung für Silvio S. von Nachteil. Wenn er die Straftaten nicht verarbeitet, dann könne ihm auch kein Gutachter nach Verbüßung einer lebenslangen Haft nach 15 Jahren bescheinigen, ungefährlich zu sein. „Und dann bleibt er da, wo er jetzt ist“, sagte Petersen. Im Knast. Der Staatsanwalt ist sich seiner Sache jedenfalls sicher: „Ich überführe ihn auch ohne Geständnis.“ Die Ergebnisse der Obduktion der Leichen von Elias und Mohamed seien klar – „sonst hätte ich keine Anklage erhoben“.

In der Verhandlung selbst setzt Petersen den Anklagten zunehmend unter Druck. Am Montag stellte er im Verhandlungssaal jene Gegenstände aus der Asservatenkammer aus, die die Polizei bei S. nach der Festnahme am 29. Oktober 2015 in dessen Auto gefunden hatte: eine Wäschewanne mit Katzenstreu, in der Mohamed lag, Sado-Maso-Utensilien wie Fesseln, Knebel, Masken, aber auch Chloroform, mit dem er Mohamed betäubte und einen Gürtel, mit dem er den Jungen erdrosselte.

Am Dienstag, dem siebten Verhandlungstag, erhöhte Petersen noch einmal den Druck. Im Verhandlungssaal hatte er eine lebensechte, etwa einen Meter große Puppe mit Tigerköstum und Perücke aufgestellt – direkt gegenüber von S., ihren Blick auf den 33-Jährigen gerichtet, mehrere Stunden. Erst am Nachmittag sollte die Puppe dann eine Rolle spielen, als ein Beamter des Berliner Landeskriminalamtes als Zeuge aussagte, der den Computer von S. ausgewertet hatte.

Er fand vor allem Bild- und Videodateien: Gewaltpornos mit Vergewaltigungsszenen, Hetero- und Homosexvideos, Bilder von SM-Utensilien, mitgezeichnete TV-Beiträge über Kinder. „Die Sequenzen waren brutal, die Mehrzahl mit Gewalt“, sagte der Beamte. Auch Bilder zweier unbekannter Jungen waren darunter. Und der Ermittler fand auch noch Fotos mit besagter Puppe. S. muss sie selbst gemacht haben. Sie zeigen ihn bei sexuellen Handlungen mit der Puppe im Bett. „Damit hat er geübt. Er hat seine Visionen und Fantasien daran ausgelebt und ausprobiert“, sagte Gerichtspräsident Dirk Ehlert.

Als im Gerichtssaal die Puppe und die Fotos zur Sprache kamen, war es der Moment von Petersen. Er zog sich einen Gummihandschuh über, hob die Puppe empor und trug sie durch den Gerichtssaal. Er legte sie demonstrativ auf den Zeugentisch, entkleidete sie, hielt sie wieder hoch und trug sie zur Richterbank, wo sich Verteidiger, Nebenklage-Anwälte und Sachverständige mit den Richtern die Fotos mit der Puppe anschauten. Petersen blickte dabei immer wieder auf Silvio S., ein eisiger, ein direkter Blick. S. sank in diesem Moment in sich zusammen. Wie sich sein Auftreten überhaupt in dem Prozess verändert hat. Saß er anfangs aufrecht und schaute wie teilnahmslos durch den Saal, so wirkt er jetzt aufgewühlt, schüttelt den Kopf, vergräbt den Kopf in seine Hände.

Das liegt auch an den grausamen Details seiner Tat, die am Dienstag erneut ausführlich geschildert wurden. Vor der Szene mit der Puppe hatte die Schwurgerichtskammer bereits zwei Vernehmungsbeamte einer Berliner Mordkommission als Zeugen gehört. Sie waren nach der Festnahme von Silvio S. nach Brandenburg geeilt. In der Vernehmung hatte S. die Entführung und den Mord an Mohamed gestanden und auch eingeräumt, Elias getötet zu haben, allerdings ohne im Fall des am 8. Juli im Potsdamer Stadtteil Schlaatz entführten Jungen Details zu nennen. Von der ersten Vernehmung existierte auch ein Protokoll, das aber von S. und seinem Anwalt nie unterzeichnet worden war. Indem das Gericht die Beamten nun hörte, ist das damalige Geständnis von S. nun indirekt doch verwertbar.

Die Angaben der Beamten über den Verlauf der Vernehmung decken sich jedenfalls: Demnach schilderte S. mit feuchten Augen, wie er den Vierjährigen am 1. Oktober 2015 am Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) entführte, wie er ihn in seiner Wohnung in Kaltenborn bei Jüterbog (Teltow-Fläming) am 2. Oktober missbrauchen wollte – und ihn später erwürgte, weil M. sich wehrte gegen den sexuellen Missbrauch.

Die Eröffnungsfrage der Beamten bei der Vernehmung, Start 17.36 Uhr am 29. Oktober, war: „Wie geht es Ihnen?“ S. hätte dann geantwortet: „Mir geht es eher schlecht, weil man so etwas nicht macht.“ Aber was, hakten die Beamten nach: „Menschen entführen oder Menschen töten“, soll S. gesagt haben. Den Beamten fiel vor allem auf, wie nüchtern und ruhig S. das alles schilderte, den Missbrauch von Mohamed, wie sich der Junge wehrte, wie er selbst „grantig“ wurde, den Jungen erst erfolglos würgte, mit Chloroform betäubte, zu einem Knäuel fesselte, mit einem Gürtel erdrosselte und die Leiche versteckte in einer Wanne mit Katzenstreu aus Sorge vor Verwesungsgeruch. Dass es Mohamed doch gefallen haben muss, weil er sich ja nicht gewehrt hätte.

„Es war kein Mitgefühl zu erkennen“, sagte eine Beamtin vor Gericht. Die Aussagen gerade zum Tod von Mohamed seien sehr sachlich gewesen, sagte die Beamtin. Ihr Kollege erklärte: „Da war kein Wimmern, kein Bedauern, keine Empathie, keine Entschuldigung.“

Damals soll S. zu dem Mord an Mohamed gesagt haben: „Es musste sein, weil er sonst rumgequiekt hätte. Ich musste ja abends zur Arbeit.“ Als es konkret um die sexuellen Handlungen an Mohamed ging, hätte S. teilweise – als er sich daran erinnerte – gegrinst, gelächelt, berichteten die beiden Vernehmungsbeamten. Zudem habe S. es auch genossen, im Mittelpunkt zu stehen. Schließlich habe S. auch eingeräumt, Elias getötet zu haben. Auf die Frage, ob er von Beginn an geplant habe, Mohamed zu töten, habe der Anwalt von S., Mathias Noll, eingegriffen. Zudem habe S. noch eine Skizze gemalt, wo auf seiner Gartenparzelle der verscharrte Leichnam von Elias zu finden sei.

Dann aber brach Verteidiger Noll die Vernehmung ab, es war um 21.04 Uhr, angeblich weil S. übermüdet gewesen sei. Das sei überraschend gewesen, sagten die Polizisten. Nach ihrem Eindruck sei S. keineswegs übermüdet gewesen.

Eine weitere zuerst geplante und mit dem Anwalt verabredete Vernehmung am nächsten Tag sei nicht mehr zustande gekommen, trotz noch vieler offener Fragen. Und obwohl S. den Beamten mehrfach signalisiert haben soll, dass er gern aussagen würde, seine Anwälte sich aber nicht einig seien. Schon am Vortag soll Noll den Start der Vernehmung verzögert und signalisiert haben, dass er seinen Mandanten für nicht schuldfähig halte. Am nächsten Tag hätten die Anwälte dann auf Korrekturen im Protokoll, das in der Vernehmung selbst stets mit S. abgesprochen worden sei, gedrängt, angeblich weil etwas falsch verstanden worden sein soll. Die Beamten wollte er bei der Korrektur nicht dabeihaben. Was aber nicht zulässig ist.

Seither schweigt S. auf Anraten seiner Verteidiger, das Vernehmungsprotokoll ließ Noll seinen Mandanten auch nicht mehr unterzeichnen. Widersprochen hatte er dem Protokoll auch im Gerichtssaal nicht.

Nur einmal noch sprach S. mit den Beamten. Das war auf der Fahrt im Polizeiwagen zum Berliner LKA am Abend nach seiner Festnahme. Nach beiläufigen Gesprächen im Wagen sprach die Beamtin Silvio S. noch einmal direkt an und fragte, seit wann er denn wisse, dass er auf Jungs stehe. S. gab nur kurz zurück, was das mit Jungs zu tun habe.

Am Ende des Verhandlungstages wiederholte der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter seinen Appell an Silvio S. erneut: „Uns ist bewusst, dass Sie ein Schweigerecht haben, das wir achten. Das ist etwas Elementares. Es schützt Sie.“ Aber wenn S. doch noch aussagen wolle, dann solle er dies mit Blick auf den Prozessverlauf – für den 26. Juli ist das Urteil geplant – doch in der nächsten Zeit machen. „Ich will nicht in Sie gehen, Sie müssen entscheiden“, sagte Horstkötter. „Der Einzige, der weiter zur Aufklärung beitragen kann, sind Sie.“ Ganz besonders im Fall von Elias. Den soll S. am 8. Juli 2015 von einem Spielplatz im Potsdamer Stadtteil Schlaatz entführt und danach, als der sexuelle Missbrauch scheiterte, ermordet haben. Was aber genau geschah, weiß nur Silvio S. Er schaute am Ende seinen Anwalt kurz an, als ob er etwas sagen wollte.

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