Landeshauptstadt: Revolution aus der Kaffeetasse
Arabidopsis thaliana heißt die Modellpflanze der Gentechniker / 1200 Fachleute kamen zu internationalem Treffen
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Arabidopsis thaliana heißt die Modellpflanze der Gentechniker / 1200 Fachleute kamen zu internationalem Treffen Von Jan Kixmüller Eigentlich handelt es sich um ein banales Unkraut. Doch die Acker-Schmalwand, wie sie im Volksmund genannt wird, ist zum Star der Biotech-Szene avanciert. Unter ihrem lateinischen Synonym Arabidopsis thaliana hat sich das kleinwüchsige Kraut aus der Familie der Senfpflanzen – zu der viele Kulturpflanzen wie Kohl und Rettich gehören – als Modellorganismus der Pflanzenbiologie einen großen Namen gemacht. Vor vier Jahren wurde erstmals ihr Pflanzengenom vollständig sequenziert. Die Landkarte ist sozusagen da, jetzt sind weltweit rund 13000 Forscher daran, die Funktionen der einzelnen Gene zu erhellen. 1200 von ihnen trafen sich in dieser Woche auf Einladung des Golmer Max Planck Instituts für Pflanzenphysiologie (MPI) in Berlin, um den aktuellen Forschungsstand auszutauschen. Wenn auch die Arabidopsis nicht von großer landwirtschaftlicher Bedeutung ist, so bietet sie doch wichtige Vorteile für die Grundlagenforschung in Genetik und Molekularbiologie: Das Genom ist sequenziert, es existieren ausführliche genetische und physische Karten aller fünf Chromosome und, wie Prof. Mark Stitt vom MPI betont, ein kurzer, ungefähr 6-wöchiger Lebenszyklus von der Aussaat bis zur Samenreife erlaubt in einem Jahr Forschungsläufe vorzunehmen, die beim Mais beispielsweise bis zu sechs Jahre in Anspruch nehmen würden. Neben der reichen Samenproduktion zählt für die Forscher auch die Anspruchslosigkeit des Gewächses: „Man kann die Arabidopsis praktisch in jeder Kaffeetasse aufziehen“, schwärmt Stitt. Als Modellpflanze bietet das Kraut der Forschung ungeahnte Möglichkeiten. Gene, deren Funktion in der Arabidopsis thaliana geklärt sind, könnten in Nutzpflanzen zu hoher biotechnische Bedeutung gelangen. So kann man über die Aktivierung bestimmter Gene in anderen Pflanzen etwa Sojaöl mit hochaktivem Vitamin E anreichern, den Blütezeitpunkt beim Rettich kontrollieren und in Tomaten wie Raps eine höhere Kälte- und Trockenresistenz generieren. Aber auch die von den Landwirten gefürchtete Kraut- und Knollenfäule der Kartoffel, gegen die kaum ein Mittel noch etwas ausrichtet, könnte mit Hilfe der Arabidopsis, die eine dauerhafte Resistenz gegen die Krankheit besitzt, bekämpft werden. Die Erforschung pflanzlicher Saatmechanismen spielt eine große Rolle, wenn man Pflanzen widerstandsfähiger gegen veränderter Umweltbedingungen und Krankheitserreger machen will. Eine Möglichkeit, die angesichts von Überbevölkerung und Nahrungsmangel in großen Teilen der Welt nach Ansicht der grünen Genforscher zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Auch pharmazeutische und ernährungsrelevante Komponenten von Pflanzen lassen sich über die Gene forcieren. Das hohe Ziel der Forscher ist, so Prof. Thomas Altmann von der Universität Potsdam, bis zum Jahre 2010 die Funktion aller Gene der Arabidopsis zu kennen. Zurzeit sind rund 20 Prozent der Funktionen bekannt. Die Region Berlin-Potsdam hat sich in den vergangenen Jahren in Sachen Gentechnik zu einem Hotspot gemausert. Mit knapp 3000 Arbeitsplätzen sei der hiesige Biotechnik-Standort in Deutschland führend, so Dr. Kai-Uwe Bindseil von der Berlin-Brandenburgischen Koordinationsstelle BioTOP. Doch nun bestehe, wie Bindseil warnt, die Gefahr, dass die grüne Biotechnologie „auf dem Altar der Politik geopfert werde“. Im Vergleich zu den USA sei der hiesige Standort obenhin nur ein kleiner Fisch. Und nun werde durch das neue Gentechnikgesetz die Forschung weiter behindert, fürchtet Bindseil. Ähnlich wie bei der so genannten roten Gentechnik drohe nun bei der grünen Biotechnologie, dass Biotech-Firmen ihre Forschung in die USA verlagern. „Zurzeit ist Deutschland in der grünen Biotechnologie noch stark, allerdings ist es bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen nur eine Frage der Zeit, bis das wissenschaftliche Niveau sinkt“, so Bindseil. Dennoch: die Region biete ein hohes Potenzial für die Verbindung der roten und grünen Biotechnologie, der so genanten Nutrigenomforschung. Probleme gibt es offensichtlich aber auch mit der Akzeptanz der grünen Gentechnik in der Öffentlichkeit. Die Skepsis gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln ist groß, und militante Gentechnik-Gegner sind mittlerweile sogar dazu übergegangen, Versuchsfelder wie den Kartoffelacker der Golmer Pflanzenforscher zu verwüsten. „Die Vorteile müssen für breite Bevölkerungsschichten deutlich werden“, appelliert Bindseil an die Forscher. Ein wichtiger Punkt sei zudem, dass die Blockade der grünen Biotechnologie in Deutschland Fehlleistungen Vorschub leisten würde. Bei der Gefährdungsanalyse und Folgenforschung sei man derzeit zwar noch weit vorne. Doch dafür müsste Experiment wie das in Golm auch zu Ende geführt werden. Ein Beispiel der Anwendung, das Prof. Dierk Scheel vom Institut für Pflanzenbiochemie in Halle anführt, zeigt, wie wichtig es ist, die Folgen zu bedenken. So schwebt den Forschern vor, Gräser zu „generieren“, die Schwermetall aus kontaminierten Böden herausziehen und in ihren Blattspitzen ablagern. So ließe sich das giftige Schwermetall leicht entsorgen. Was nur, wenn das Wild der Umgebung diese Gräser frisst, oder gar Bienen an den Blüten Honig saugen? Natürlich müsse man sicherstellen, dass dies nicht möglich wird, so die Antwort des Forschers. Beim Eingriff in die Natur muss man eben immer auch einige Schritte weiter denken.
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