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Landeshauptstadt: Russisches Potsdam

Die Beziehungen zwischen Potsdam und Russland gehen zurück bis zur Zarenzeit. Doch auch heute noch ist die Stadt reich an russischem Leben

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In Potsdam gibt es viele Relikte, die auf die lange Geschichte der Stadt hinweisen. Deutsche, holländische, italienische und russische Architektur prägen das Gesicht Potsdams, aber viele historische Gebäude haben nicht nur mit der Geschichte, sondern auch mit dem heutigen Leben viel zu tun. Dies gilt vor allem für die russischen Spuren in der Stadt. Bis heute bilden die 821 Potsdamer mit russischem Pass den größten Anteil an Ausländern in der Stadt - neben den Ukrainern. Als Muttersprache geben sogar rund 2300 Potsdamer Russisch an.

In Russland ist Potsdam sehr bekannt, vor allem wegen der Potsdamer Konferenz im Jahr 1945, als sich die Alliierten versammelten, um das künftige Schicksal Deutschlands zu besiegeln. Zudem lag Potsdam in der DDR und war dadurch eng mit der damaligen Sowjetunion verbunden. Doch die gemeinsame Geschichte von Deutschland und Russland beginnt noch früher. Historisches Zeugnis davon ist die russische Kolonie Alexandrowka, die 1826/27 entstanden ist und heute zum Weltkulturerbe der Unesco gehört. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. ließ die Siedlung zum Gedenken an seinen früh gestorbenen Freund und Verbündeten Zar Alexander I. bauen – daher der Name. Russische Sänger aus dem Potsdamer 1. Garderegiment wohnten dort einst mit ihren Familien. Die gesamte Anlage wurde nach dem Vorbild des russischen Militärdorfes Glasovo in der Nähe von Sankt Petersburg gebaut. Alle 13 Häuser sind mit halbrunden Holzstämmen errichtet, die äußerlich den Eindruck russischer Blockhäuser erwecken. Heutzutage wohnen dort kaum Russen, das Architekturdenkmal gehört zu den Luxusimmobilien. Aber die russische Kultur wird in der Alexandrowka noch immer gefördert.

So informiert im Haus Nummer eins ein Museum über das Leben der ersten Bewohner. Nebenan bietet eine russische Gaststätte Spezialitäten des Landes an. Dort gibt es typische Speisen wie Borschtsch, Schtschi, Soljanka oder Ucha. Im Sommergarten sind zudem zahlreiche Relikte des russischen bäuerlichen Lebens zu sehen: Ein Samowar zum Zubereiten von Tee, ein Besen, trocknende Wäsche und anderer Hausrat.

Fast alle Angestellten im Restaurant sind Russen, die schon lange in Deutschland leben. Der lebhafte Kellner Sergej erzählt gern über sein Leben in Potsdam. Zu DDR-Zeiten war er Soldat und heiratete eine deutsche Frau. Mittlerweile lebt er schon die Hälfte seines Lebens in Potsdam und spricht fließend deutsch. Ihm gefalle Potsdam mehr als Berlin, weil alles nah beieinander liege und gut zu erreichen sei, sagt er. Noch einmal umziehen möchte er nicht. Seine junge Kollegin Ljubow aus der russischen Stadt Wolgograd wohnt noch nicht so lange in Deutschland. Sie kam wegen ihres Mannes, der eine Arbeit in Potsdam fand. Von Beruf ist Ljubow eigentlich Programmiererin, aber das habe sie ohnehin nicht ihr ganzes Leben machen wollen, sagt sie. Die meisten Gäste im Restaurant seien Deutsche, erzählen die Kellner. Sie mögen russische Küche, weil sie für sie etwas Exotisches ist.

Zur Kolonie gehört auch die russisch-orthodoxe Alexander-Newski-Gedächtniskirche im altrussischen Baustil auf dem Kapellenberg, dem höchsten Hügel von Potsdam. Sie wurde nach dem Namenspatron von Zar Alexander I. benannt, dem im 16. Jahrhundert heiliggesprochenen russischen Fürsten Alexander Newski. Dort finden regelmäßig Gottesdienste in deutscher und russischer Sprache statt, bis zu 50 Menschen passen in die Kirche. Jeden Samstag treffen sich dort russischsprachige Leute, um an dem Gottesdienst teilzunehmen. Während der Messe bekommt man das Gefühl, in Russland zu sein. Gehalten wird sie vom Erzpriester Anatolij Koljada, der seit 1986 in Potsdam tätig ist.

Auf seine Initiative wurde vor einigen Jahren Sprachunterricht für russische Kinder in der Gemeinde eingeführt. Eine der Lehrerinnen war damals Kirchenmitglied Elena Simanovski. Vor vier Jahren gründete sie mit Kollegen eine eigene russische Samstagsschule unter dem Namen „Bilingua-Plus“, die sie bis heute leitet. Der Unterricht findet in einem Vereinshaus der Berlin-Brandenburgischen Auslandsgesellschaft in Babelsberg statt – eigene Räume hat Bilingua nicht, „dazu fehlt uns Geld“, erklärt die Schulleiterin.

Zurzeit besuchen 80 Kinder im Alter von zwei bis vierzehn Jahren den Unterricht. Nicht nur die russische Sprache wird dort gelehrt, auch andere Fächer wie etwa Mathematik stehen auf dem Stundenplan. Offenbar hat die Schule einen guten Ruf: Viele Eltern bringen ihre Kinder auch aus Berlin.

Ebenfalls Teil des russischen Lebens in Potsdam ist der „Prima-Markt“ in der Straße Am Kanal. Seit Jahren treffen sich dort Russen, um heimische Lebensmittel zu kaufen und sich auszutauschen. Das Geschäft hat viele Stammgäste, im Angebot gibt es Kaviar, Wodka, die bekannte Schokoladenmarke „Alenka“ und andere Delikatessen. Aber auch typische Souvenirs wie Matrjoschkas, Geschirr mit russischer Schrift oder Alkohol in Geschenkpackung gibt es zu kaufen. Eine der russischen Käuferinnen erzählt, dass sie dieses Geschäft schon lange Jahre besucht und sehr zufrieden ist. Aber auch bei den Deutschen sei sein Geschäft sehr beliebt, sagt Geschäftsführer Vjaceslav Rebhuhn.

Die russische Kultur ist in Potsdam auch heute also noch fest verankert. Die jahrhundertelange deutsch-russische Geschichte wird damit weiter fortgesetzt.

Irina Philippova kommt aus dem russischen Kaliningrad und ist über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Potsdam. Derzeit macht sie ein Praktikum in der Redaktion der PNN.

Irina Philippova

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