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Homepage: Sachertorte in Jerusalem

Doktoranden der Universität Potsdam richteten im Oktober einen Workshop in Jerusalem aus

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Was für ein Licht! Mit einem Sammeltaxi fahren elf Potsdamer Doktoranden im Oktober ihrem Ziel Jerusalem entgegen. Sie eint das Interesse an Orten im Judentum, es ist der gemeinsame Ausgangspunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeiten. Seit 2001 entstehen am Graduiertenkolleg Makom, so das hebräische Wort für Ort, Dissertationen und Habilitationen, die sich mit Heimatkonzepten, Exilerfahrung, jüdischen Identitäten, aber auch mit konkreten jüdischen Orten, wie dem Staat Israel, beschäftigen. Nach sechs Jahren endet das Graduiertenkolleg im Frühjahr 2007. Kurz vor Schluss sollten die derzeitigen Kollegiaten den mythischen Ursprungsort des Judentums selbst sehen.

Und da taucht sie nun auf, die von der Abendsonne in Gold getränkte Stadt. Ines Sonder, Architekturhistorikerin mit bereits abgeschlossener Promotion, erklärt den Mitreisenden die physikalische Ursache: Nach einer behördlichen Auflage darf für die Fassaden der Stadt nur der so genannte Jerusalemstein verwendet werden, ein leicht ins Bräunlichbeige marmorierender Stein, der golden reflektiert.

Das Taxi fährt Serpentinen, denn Jerusalem liegt auf einem Berg, etwa 1000 Meter über dem Meeresspiegel. Bei dem späten Gang durch die Altstadt gilt es, Orientierungssinn zu wahren. Die Gassen in diesem vorwiegend arabisch bewohnten Stadtteil sind eng, die Treppen über die Jahrhunderte ausgetreten. Überall blinkt und flackert es von dem Spielzeug, das angeboten wird. Jedes dritte Geschäft bietet Tücher an, dazwischen gibt es Läden, etwa nur für Granatäpfel, oder es hängen riesige Tierkadaver in viel zu kleinen Läden. Inmitten des Getümmels entdeckt die Gruppe ein Tor: ein großzügiger Treppenaufgang führt im ersten Stock zu einer Tür – sie öffnet sich zu einem Wiener Café mit entsprechender Getränkekarte und Sachertorte. Bei einem Milchcafe auf dem Dach zeigt sich, wie stark die Stadt ineinander geschachtelt ist. Sie enthält nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von Kulturen und religiösen Gruppen, wie die äthiopischen Mönche, die auf dem Dach der Grabeskirche wohnen, dicht an der koptischen Kapelle. Alles in Hörweite des Felsendoms und nicht weit von der Via Dolorosa entfernt, dem Kreuzweg von Jesus.

Am ersten Abend führt der Weg der Gruppe zur Klagemauer, vor der es eben noch Menschenmassen gegeben haben muss – der Platz steht voll von Stühlen. Eine Gruppe junger Männer tanzt mit Thorarollen, das Fest der Thorafreude steht unmittelbar bevor. Die jungen Deutschen sind hungrig und finden am Sabbat ein palästinensisches Gartenlokal, in dem ein alter Mann traurige Liebeslieder singt und die Vorspeisen so reichhaltig sind, dass an Nachtisch nicht zu denken ist.

In den nächsten Tagen fordert die Wissenschaft ihr Recht: Noch von Potsdam aus hatten die Doktoranden israelische Promovierende zu einem gemeinsamen Workshop eingeladen. Zusammen soll über Erinnerung und die Konstruktion von Orten im Judentum diskutiert werden. Fünf Potsdamer und sechs Israelis werden referieren. Die erste Begegnung am Morgen ist noch zögerlich, doch dank der Konrad Adenauer Stiftung, die Räume und Verpflegung zur Verfügung stellt, weichen die Berührungsängste. Binnen kurzer Zeit entstehen intensive Diskussionsgruppen.

Eine weitere Hürde ist die Tagungssprache. Alle Gedanken auf Englisch zu formulieren gehört für die jungen Wissenschaftler, die in Polen, Österreich, Israel oder Deutschland aufgewachsen sind, noch nicht ganz zum beruflichen Alltag.

Aber es klappt wunderbar. Die Erfahrungen und Sichtweisen ergänzen sich wechselseitig, bieten aber auch Überraschungen. So entlockt Katharina Hoba ihrem Laptop eine Melodie, die allen bekannt ist: für die Israelis ist es ein religiöses Kinderlied, für die deutsch Sozialisierten klingt es nach „Hänschen klein“. Ein wunderbares Beispiel, wie die aus Deutschland emigrierten Juden die Kultur, mit der sie aufwuchsen, mitgenommen haben. Zuvor hatte die Promovendin Anne Clara Schenderlein aus Potsdam über einen gegenteiligen Effekt gesprochen: über das Konzept der Amerikanisierung, mit dem der „Jewish Club“ in Los Angeles den Exilierten das Leben in der neuen Umgebung erleichtern wollte. Roni Hirsh-Ratzkovsky aus Tel Aviv beeindruckt mit ersten Thesen für ihr Promotionsvorhaben, das die Idealisierung der Stadt Paris durch Berliner jüdische Intellektuelle untersucht. Von gleicher analytischer Schärfe war die Kritik von Malgorzata Maksymiak-Fugmann an dem Klischeebegriff „Ostjuden“, der selbst in der Wissenschaft allzu leichtfertig benutzt wird. Der Austausch dauert zwei Tage und wird sicher per E-Mail fortgeführt.

Die Potsdamer Doktoranden bleiben noch einige Tage, besuchen einen Kibbuz, reisen in den Norden, um die Gedenkstätte für den Warschauer Aufstand zu besuchen. Sie halten sich einen ganzen Tag in Yad Vashem auf, um sich das Konzept der neuen Ausstellung erklären zu lassen, besuchen auf dem Campus der Hebräischen Universität das Rosenzweig Zentrum für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte und baden im Toten Meer. Auf den Wegen duftet es nach Rosmarin, der wie Heckensträucher auf dem kargen Boden angepflanzt wird.

Wieder zu Hause, erfahren die jungen Leute von den Bombenangriffen auf den Gaza. Die Angst vor dem Terror war vor Ort beinahe ganz gewichen. Die herbe Schönheit des Landes und die kulinarischen Genüsse ließen entgegen allem politischen und historischen Wissen die naive Vorstellung entstehen, dass sich alle Gruppen doch einfach nur zum Essen treffen müssten, um zu erkennen, wie ähnlich ihre Bedürfnisse im Grunde sind.

Lene Zade

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