Landeshauptstadt: Schachgroßmeister Karpow führt Russland zum Sieg
Die Deutsche Bahn lud in den Kaiserbahnhof zum europäischen Schach-Express ein und hatte die Elite zu Gast
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Im lichtdurchfluteten Kaiserbahnhof in Potsdam-West wird an 32 Schachbrettern im 20-Minuten-Takt um den Sieg gekämpft. 72 Schachspieler aus acht Ländern und eine Mannschaft der Emanuel-Lasker-Gesellschaft sind in diesem europäischen Schnellschach-Wettstreit gegeneinander angetreten. Die Deutsche Bahn bietet dafür den illustren Rahmen. Im Salonwagen der letzten Kaiserin Auguste Victoria hat sich die Technik etabliert und errechnet den Punktestand und an einer großen Bildwand können Interessierte verfolgen, wer gerade am Zuge ist.
Am Samstag und Sonntag ließ die Bahn zusammen mit dem Deutschen Schachbund und der Lasker-Gesellschaft den Trans-Europa-Schach-Express einreisen. Die Teilnehmer zeigten sich begeistert von dem edlen Ambiente, das ihnen ansonsten bei ihren Schachturnieren nicht geboten wird. Vier der Teilnehmer in jeder Mannschaft müssen Eisenbahner sein, jede hat einen Großmeister mitgebracht und – wie der Organisator des Turniers, der Eisenbahner und aktive Schachspieler Rüdiger Schüttig, erzählt – junge Nachwuchsspieler bekommen ebenfalls eine Chance. Schüttig treffen wir im Lenin-Wagen an. Mit ihm soll der Revolutionär durch Deutschland ins zaristische Russland kutschiert worden sein. Jetzt ist der Waggon – wie die Salonwagen der Kaiserin auch – historische Kulisse in der Ausbildungsstätte der Bahn, zu der der ehemalige Kaiserbahnhof ausgebaut wurde.
Die Bahn fördert den Schachsport intensiv und stellt aus ihrer Führungsriege selbst einige Aktive. Zu ihnen gehört der Finanzvorstand Richard Lutz, der Mitglied der deutschen Mannschaft ist. Lutz spielt seit seinem zehnten Lebensjahr Schach und hat es in Deutschland zum Jugend-Vizemeister gebracht.
Alle neun Mannschaften, von der Schweiz über Polen bis zu den Niederlanden, haben einen Schachgroßmeister beziehungsweise eine Großmeisterin als Zugpferd ins Rennen geschickt. Der prominenteste Gast heißt Anatoli Jewgenjewitsch Karpow. Er führt seine russische Mannschaft bereits vor der Schlussrunde zum Sieg. Er kann schon ganz entspannt bei den anderen Großmeistern kiebitzen und nachschauen, wer wen auf die Schnelle matt setzt. Die russische Mannschaft hat in den Vorrunden so viele Punkte eingeheimst, dass sie den ersten Platz sicher in der Tasche hat. Da hilft es auch nichts, dass die Russen gegen die deutsche Mannschaft verloren haben. Die Deutschen wurden dafür von anderen Mannschaften besiegt, haben sich aber schließlich doch den zweiten Platz gesichert. Für die Frauen hält Elisabeth Pähtz die Fahne hoch. Frauen sind in der Männerdomäne Schach noch immer selten zu finden. Die gebürtige Erfurterin tritt für die Lasker-Gesellschaft an und hat es zur Großmeisterin gebracht.
Emanuel Lasker ist der einzige deutsche Schachweltmeister, den es gab – und einer, der den Titel am längsten trug, nämlich 27 Jahre lang von 1894 bis 1921. 1933 floh Lasker, der Jude war, vor den Nazis und nach einigen Zwischenstation blieb er schließlich in den USA im Exil. Die Lasker-Gesellschaft, erst 2001 gegründet, will das Andenken an den begnadeten Schachspieler wahren.
Der österreichische Großmeister Stefan Kindermann bringt am Samstag zum Galaabend noch eine andere Koryphäe ins Spiel. Er schlüpft in die Rolle des Schachgenies Francois-André Danican Philidor. Der war im 18. Jahrhundert ein Multitalent und gab bei Friedrich II. eine legendäre Vorstellung als Blindspieler. Im historischen Kostüm tritt Kindermann gegen drei Herausforderer an. Im Rahmenprogramm wurde auch noch ein Besuch der Friederisiko-Ausstellung angeboten. Mit ihren Ehepartnern oder auch allein trugen sich dafür 60 Teilnehmer ein und rundeten so den aktuellen und historischen Eindruck von Potsdam ab. Ansonsten blieb jedoch nicht viel Zeit für Potsdam privat. Ankommen, Schach spielen, abreisen. So sah das Programm der meisten, auch das von Karpow, aus. Trans-Europa-Express eben, wie es das Programm verhieß. Aber die Aktiven genossen den Treff trotzdem.
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