Ein neues Buch über das alte Stadtschloss Potsdam: Schaut, wie es war
Der Star-Dirigent und Wahl-Potsdamer Christian Thielemann hat ein Buch mit vergessenen Bildern des Stadtschlosses herausgegeben. Im PNN-Interview spricht er über die offenen Wunden nach dem Abriss und die Freude über die neue, alte Mitte.
Stand:
Herr Thielemann, Sie wohnen in Potsdam, leiten die Staatskapelle in Dresden und waren gerade auf Konzertreise in Japan. Wie schaut man denn auf Potsdam, wenn man durch die große Welt tourt und dann zurück in die kleine Stadt in Brandenburg kommt?
Man hat eine Menge Abstand – und trotz oder gerade wegen des Abstands dann wieder eine gehörige Menge Heimatgefühl. Man sieht viele Dinge gelassener, aber man ärgert sich auch mehr. Weil man sich fragt: Die Dinge, die naheliegend scheinen, warum tut man sie hier nicht? Was für Hemmnisse gibt es da?
Was sind das für Dinge in Potsdam, über die Sie sich ärgern?
Sagen wir es so: Ich freue mich, dass es für die Innenstadt das Modell mit den Leitbauten gibt – und ich persönlich finde, dass man die Kriegsschäden, die sich in Potsdam auf ein relativ kleines Gebiet im Stadtzentrum beschränken, wirklich hätte schneller beheben können. Ich finde auch das Gezerre um die Garnisonkirche absurd. Wenn es nicht ein so ernstes Thema wäre, müsste man sagen: Es ist kabarettreif. Was kann ein Bauwerk dafür, was darin passiert ist? Dann dürften Sie auch gewisse Sprachen nicht mehr sprechen. Ich kenne das aus Bayreuth, wo man mir oft sagt: Wie können Sie hier spielen, angesichts der Leute, die diesen Ort schon besucht haben? Ich sage dann: Wenn das „Tristan“-Vorspiel losgeht, dann geht das „Tristan“-Vorspiel los. Dann ist einzig und allein „Tristan“ wichtig. Bei der Garnisonkirche ist es die Architektur – und vor allem das Stadtbild.
Schon sind wir mittendrin in den aktuellen Streitthemen Potsdams – wobei wir eigentlich über die Vergangenheit sprechen wollten, über den Abriss des Potsdamer Stadtschlosses, um den es in dem von Ihnen herausgegebenen Buch geht. Was deutlich macht, wie eng beides zusammenhängt. Das ist auch das Erste, was beim Blick ins Buch auffällt: Auf fast jeder Seite stößt man auf einen Zankapfel, über den in Potsdam gestritten wurde – oder wird. War das auch ein Ansporn für Sie?
Ich sage Ihnen, was der Impuls für dieses Buch war: ein reines Bauchgefühl. Ich bin seit Jahren ein bekennender Potsdam-Fan. Vor Jahren schon dachte ich: Wenn ich ein Schloss aussuchen müsste, dann wäre es das Potsdamer Stadtschloss. Weil mir die ganze Anlage so gefällt. Ich habe alles erworben, was es darüber so gab – alte Stadtführer, Postkarten et cetera. Ich habe mich sehr damit befasst. An einem Tag, an dem ich nichts zu tun hatte, war ich im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte und habe einige Aufnahmen von Herbert Posmyk gesehen. Diese verblassten Aufnahmen haben mir besonders gut gefallen, und so habe ich mir den Namen Posmyk ganz einfach aus dem Telefonbuch gesucht. So begann das. Dann habe ich den Journalisten Sven Felix Kellerhoff dazu eingeladen und den Braus Verlag gewonnen. Aus insgesamt 400 Bildern haben wir dann gemeinsam die Bildauswahl vorgenommen.
Im Vorwort schreiben Sie, Posmyks Bilder hätten Sie sofort elektrisiert. Was genau ist für Sie das Elektrisierende daran?
Es ist diese Mischung aus amateurhaftem und kennendem Blick. Man sieht, dass da jemand am Werk war, der schnell fotografiert hat, aber auch mit künstlerischem Blick. Ob das sich nun am Nebel zeigt oder an den Gegenlichtaufnahmen. Herbert Posmyk ist Ingenieur, kein berufsmäßiger Fotograf. Als solcher hätte der das mit Stativ gemacht. Die Fotos haben Zauber und Atmosphäre und geben auch die Zeit wieder, in der sie entstanden sind. Und wenn man sieht, wie Stück um Stück das Schloss abgerissen wird, dann packt einen irgendwann die nackte Wut. Denn dieses Kulturdenkmal ist für nichts und wieder nichts abgerissen worden. Zum Schluss blickt man aus der Nikolaikirche auf einen freien Platz.
Also spielte Wut als Impuls doch eine Rolle?
Nein, keine Wut. Der erste Impuls war die Freude an der Ästhetik des Schlosses. Nach der Freude kam dann die Wut dazu.
Über das Verschwundene?
Ja. Wenn ich jetzt versuchen würde so zu argumentieren, wie ich mir als Politlaie eine sozialistische Argumentation vorstelle, dann würde ich sagen: „Das Schloss war der Hände Arbeit von einer Schar unbekannter Arbeiter, namenloser Maurer und Bildhauer. Wie kann man diese Dinge zerstören?“ Es war Kunst fürs Volk, das zwar nicht hier wohnte, aber jeden Tag daran vorbeiging. Außerdem hatte das Ganze ganz erheblichen kunsthistorischen Wert. Das hätte doch aufwiegen können, dass zuvor die bösen Preußen darin gewohnt haben.
Die Wut und die Trauer darüber haben Sie auch in den Titel mit hineingeschrieben. Er heißt: „Der Untergang des Potsdamer Stadtschlosses“.
Natürlich, es handelt sich ja um einen restlosen Untergang. Man muss dazusagen: Mit dem Abriss wurde zugleich ein historisch gewachsenes Stadtgefüge zerstört. Denn das ist ja der Trugschluss dabei: Durch den Abriss hat man es nicht den Herrschenden gezeigt, sondern das Volk um eine Attraktion, die Welt um einen Kunstschatz gebracht. In Berlin wurde wenigstens der Palast der Republik in die Abrisslücke gebaut, in Potsdam entstand nichts. Dabei läuft architektonisch alles auf das Schloss zu: die Breite Straße, der Havel-Übergang. Deswegen ist es auch so toll, was Hasso Plattner jetzt mit dem Barberini hier macht. Bisher fuhr man vom Bahnhof kommend am Zentrum nur vorbei, schnell ins Holländische Viertel oder nach Sanssouci.
Die Innenstadt lud nicht zum Verweilen ein.
Das ändert sich jetzt. Es ist eine Freude, das zu sehen. Ich argumentiere da absichtlich nicht politisch, sondern ästhetisch: Bei Städten, die so entstellt wurden, fragt man sich: Warum haben sie nicht mindestens die Fassaden stehen lassen? Was Sie auch im Buch sehen: Vom berühmten Plögerschen Gasthof stand noch die ganze Fassade mit den Statuen! Das alles wurde gesprengt, alles ging kaputt. Man muss sich überlegen, was wirklich dahinterstand: der blanke Hass. Historiker aus Ost und West waren entsetzt.
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Hass? Oder spielte nicht auch ein Mangel an Mitteln eine Rolle, um die alten Gebäude zu erhalten?
Mangel an Mitteln auch, klar. Aber man hätte die Fassaden einfach wie hohle Zähne stehen lassen können, wie in Dresden.
Um zu warten, bis die Zeit dann wieder danach ist, Schlösser aufzubauen?
Wenn Sie so wollen, ja. Und das wollen wir mit dem Buch auch ein bisschen unterstützen. Nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, das wäre falsch. Nicht, dass Menschen denken, man will ihnen etwas Böses. Wir wollen nur sagen: Schaut euch an, wie es war, und bildet euch euer eigenes Urteil.
Auch die Fachhochschule ist ein Potsdamer Zankapfel. Hier bezieht Ihr Buch klar Position und sagt: ein Schandfleck. Wie haben Sie die hitzige Potsdamer Diskussion darüber wahrgenommen?
Ich finde, das wird sehr schnell ideologisch. Man erreicht schnell einen Punkt, an dem man nicht weiterkommt. Wenn es zum Beispiel darum geht, dass manche Potsdamer sich um ihre Vergangenheit betrogen fühlen, wenn eine bestimmte Architektur verschwindet, dann kann man als von außen Kommender gar nicht mitreden. Da muss man dann stumm bleiben. Als von außen Kommender frage ich mich einfach: Sieht das jetzt schön aus oder nicht? So sehen die Touristen, die nach Potsdam kommen sollen, auch auf die Stadt.
Aber sollte eine Stadt nicht die verschiedenen Zeiten abbilden, die sie durchlebt hat – und nicht nur eine Zeit, auch wenn das vielleicht die „schönste“ war?
Das finde ich richtig. Wenn es sich aber dabei um ideologisch platzierte oder fehlplatzierte Bauwerke handelt, dann muss man flexibel sein. Ich finde nicht, dass man Leuten das Gefühl geben sollte: Hoppla, jetzt kommen wir und eure Vergangenheit wird ausradiert. Aber: Wenn das Schloss jetzt nun einmal steht, und daneben die Fachhochschule, dann ist das jetzt kein ästhetisches Vergnügen. Wird es auch nicht. An anderer Stelle wäre ich flexibler. Das Mercure soll gerne noch eine Weile bleiben. Der Ausblick ist schön, den Rest wird die Zeit zeigen. Man muss die Potsdamer jedenfalls einbeziehen in die Entscheidungen und ihnen auch die Ängste nehmen. Es sind ja immer auch Scharfmacher am Werk. Irgendwann wird in der Potsdamer Debatte immer noch eine Dynamitstange gezückt. Das passiert hier leider sehr oft.
Was sagen Sie als gebürtiger Berliner zur Debatte um die Attikafiguren, die auch auf fast jeder Seite im Buch zu sehen sind?
Keine Frage: Sie sollen zurück nach Potsdam. Hier fehlt mir jedes Verständnis für andere Argumente. Die Originale gehören hierher. Und zwar oben auf das Dach. Sie sind auf der Humboldt-Universität nur geparkt worden, weil das Potsdamer Schloss abgerissen wurde.
Sie unterstützen auch das Projekt der Garnisonkirche. Auch als Spender?
Bislang noch nicht. Aber ich möchte und werde das auch tun. Ich bin in allen maßgeblichen Vereinen Mitglied – von der Stiftung Paretz bis zur Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten. Ich komme aus dem Spenden gar nicht heraus.
Spenden Sie anonym?
Anonym. Ich möchte nicht, dass die Namen im Vordergrund stehen. Preußisch sein ist mehr Sein als Schein. Tu deine Pflicht und mach etwas dafür. Einen Bürgersinn zu stiften scheint mir viel wichtiger. Damit die Leute durch die Stadt gehen und sagen: Guck doch mal, wie schön wir es hier haben.
Sie leben seit über zehn Jahren in Potsdam. Mit dem Buch scheinen Sie jetzt Ihren Einstand als aktiver Bürger zu geben: als jemand, der sich einsetzen und mitmischen will.
Ach, mitmischen nicht unbedingt. Das Buch selbst ist ja aus einem Zufall geboren. Wissen Sie, in meinem Beruf muss ich zu so vielem Stellung nehmen, das immer gleich politisch wird. Darauf habe ich eigentlich wenig Lust. Ich möchte mich viel lieber einfach als Bürger engagieren.
Das Interview führte Lena Schneider.
ZUR PERSON: Christian Thielemann (57) ist einer der renommiertesten deutschen Dirigenten. Er ist Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden und künstlerischer Leiter der Salzburger Osterfestspiele. Nach 20 Jahren Opernarbeit konzentriert er sich nun auf ausgewählte Orchester und Opernhäuser. Thielemann wohnt am Griebnitzsee.
Der Untergang des Potsdamer Stadtschlosses. Edition Braus, Berlin 2016, 96 Seiten, 150 Abbildungen, 29,95 Euro.
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