
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: „Schlägereien sind leichter aufzuklären“
Potsdams Polizeichef Marschall über Brandstiftungen, die rechtsextreme Szene, die Brutalität der Rocker-Clubs und immer aggressivere Radfahrer
Stand:
Herr Marschall, was hat Sie als Potsdamer Polizeichef in diesem Jahr am meisten geärgert?
Wie immer in Wahljahren wurden in Potsdam etliche Wahlplakate beschädigt. Das sind zwar Banalitäten, aber sie ärgern mich, weil sie so sinnlos sind.
Kommen wir zu einem wichtigen Aspekt Ihrer gegenwärtigen Arbeit: Es hat in Potsdam in diesem Jahr sehr oft gebrannt.
Das lässt sich auch in Zahlen fassen. Dieses Jahr gab es bis Mitte Dezember 87 fahrlässig oder vorsätzlich gelegte Brände, 2008 nur 54. Das ist bei der geringen Zahl ein enormer Anstieg.
Geht in der Stadt, salopp gesagt, ein „Feuerteufel“ um?
Zunächst einmal: Brände sind sehr öffentlichkeitswirksam und beeinflussen das subjektive Sicherheitsgefühl sehr stark. Es kann große Personen- und Sachschäden geben. Sie schaffen viel Unruhe. Das beste Beispiel ist Neu Fahrland, wo im Herbst zweimal mehrere Autos brannten. Bei so einer Vielzahl von Bränden in einem Bereich kursiert schnell ein Wort wie „Feuerteufel“. Und jeder fragt sich, ob er noch sicher ist. Im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Straftaten sind Brände dennoch nur ein kleiner Teil – aber eben mit sehr großer und lang anhaltender Wirkung auf die Bürger.
In Neu Fahrland deutet viel auf einen Serientäter hin.
Das stimmt. Es gab immer dieselbe Vorgehensweise: brennende Kohlenanzünder auf Autoreifen. Sonst werden Fahrzeug-Brände oft zur Verschleierung von Straftaten gelegt: Darum ging es hier nicht. In Neu Fahrland war es eine Massenerscheinung, die bei den Leuten viel Angst hervorgerufen hat, weil es morgen auch das eigene Auto betreffen kann. Von Politikern wurden diese Vorfälle schnell mit Berlin und den dort wohl von Linksextremen gelegten Autobränden in Verbindung gebracht. Doch eine politische Motivation des oder der Täter konnten wir nie bestätigen.
Auch andere Brände sind nie aufgeklärt worden. Sind Ermittlungen in solchen Fällen wirklich so schwierig?
Brandstiftungen sind etwas Besonderes: Fast alle Spuren werden in der Regel durch das Feuer vernichtet. Dazu kommen Löscharbeiten, bei denen der Schutz von Eigentum und Personen natürlich Vorrang hat. Brandstifter sind dazu oft Einzeltäter. So ist es schwer, ein Motiv zu finden: Hat der Täter ein Aufmerksamkeitsdefizit? Verschafft ihm das Feuer sexuelle Erregung? Oder geht es einfach um Rache an Personen oder an der Gesellschaft? Zudem werden Feuer meist nachts gelegt, wenn kaum Verkehr herrscht. Zeugen gibt es erst, wenn es schon brennt. Schlägereien sind leichter aufzuklären.
Was können die Ermittlungsgruppen da noch ausrichten?
Wenn es keine Spuren gibt, müssen wir den sogenannten Wahrnehmungsbereich sehr groß fassen. Es gibt ja dennoch viele kleine Hinweise von vielen Menschen.
Wie erwähnt wurden die Autobrände anfangs mit Linksextremen in Verbindung gebracht. Inzwischen erlebt Potsdam mit den Vorwürfen des Verfassungsschutzes, der linksalternativer Verein Inwole habe Aufrufe zur Gewalt verbreitet, eine Diskussion um Gewaltkriminalität in der Szene. Wie erleben Sie diese Debatte?
Es ist seit Jahren das erste Mal, dass es in Potsdam so eine Diskussion gibt. Es gibt eine starke linke Szene hier, die ihre Forderungen aber nicht gewaltsam durchsetzt. Es gibt zwar Protest, aber keine Gewalt. Eine Entwicklung wie in Berlin sehe ich hier gar nicht.
Nein?
Nein. Belegen lässt sich das auch an den Demonstrationen, die immer wieder aus der Szene organisiert worden sind. Bis auf einen Aufmarsch der NPD, bei dem es vor Jahren einmal zu Ausschreitungen kam, hatten wir sonst nie Probleme.
Die andere Seite sind Rechtsextreme – die in Potsdam durch Straftaten nur noch wenig in Erscheinung treten.
Die Leute aus der rechtsextremen Szene wohnen zwar noch hier, aber es gibt kaum noch öffentliche Aktionen. Ebenso registrieren wir nicht mehr wie früher Partys, zu denen wir von Nachbarn geholt werden, weil „Heil Hitler“ gerufen und Nazi-Musik gehört wird. Allerdings nehmen immer noch mehrere Potsdamer Neonazis bei großen Demos der Szene im gesamten Bundesgebiet teil. Dazu gibt es einige Webseiten und vor allem Propaganda-Delikte. Aber eine feste Struktur ist nicht erkennbar.
Potsdam hat in diesem Jahr mit dem Phänomen der Rockerkriminalität zu tun gehabt. Mit dem MC Gremium, den Hells Angels und den Red Devils sind drei Rocker-Clubs aktiv.
Das ist eine Entwicklung, die man sehr stark unter Kontrolle halten muss. Allerdings sind Rocker in einem Feld tätig, das der normale Bürger nicht sieht – außer das demonstrativ martialische Auftreten. Doch die wirkliche Rocker-Kriminalität ist kaum öffentlich wahrnehmbar.
Oft werden Rocker-Clubs als normale „Harley Davidson“-Fans angesehen
Dafür muss man wissen: Wie begreifen sich diese Clubs? Wenn du Hells Angels-Mitglied werden willst, erkennst du die Club-Gesetze an und nicht die Gesetze der Gesellschaft. Die Clubs finanzieren sich sehr stark über die Türsteher-Szene: Die bestimmen, was zum Beispiel in einer Diskothek passiert, wer reinkommt, ob und wer dealen darf und so weiter. Zudem profitieren Rocker vom Handel mit Anabolika in der Kraftsportszene. Oder nehmen wir ein Tattoo-Studio: Oft müssen diese an Rocker-Clubs Geld abführen. Mit ihrer Brutalität erzeugen Rocker-Clubs Angst.
Was lässt sich dagegen tun?
Wir haben in Potsdam die Strategie, sehr repressiv vorzugehen. Allerdings lassen sich die Gründungen von Clubs nicht verhindern. Wir können ihr Agieren aber einschränken. Immer wenn Treffs geplant sind, machen wir grundsätzlich Kontrollen. Obwohl die das wissen, finden wir immer mal wieder Drogen oder Waffen. Ebenso sprechen wir Aufenthaltsverbote aus wie zuletzt bei der Babelsberger Livenacht: Dort liefen bis zu zehn Rocker nebeneinander auf einem Gehweg, zwangen Bürger, die Straße zu verlassen. Wir schränken ihre Bewegungsfreiheit ein – wohl wissend, dass wir diese Szene an sich aber nur wenig verändern können. Rocker-Clubs sind ein sehr enger Zirkel mit einem Ehrenkodex. So sagt ein Rocker, der Opfer von Auseinandersetzungen in der Szene wird, nicht gegen seine Feinde aus. Und wenn beispielsweise einer einen Polizisten angreift, gilt das als Auszeichnung.
Können Polizisten gegen solche oft als mafiös beschriebenen Strukturen überhaupt etwas ausrichten?
Im Land Brandenburg gibt es ein abgestimmtes Vorgehen. Ein Club bei Eberswalde ist dieses Jahr als kriminelle Vereinigung verboten wurden – doch braucht es konkrete Anhaltspunkte, die sich auf einzelne regionale Clubs beziehen. Für Potsdam liegen solche Erkenntnisse noch nicht vor. Zudem gibt es eine starke Zusammenarbeit mit Berlin. Allerdings braucht es hier viel Personal und Einsatz, weil Rocker nicht vor Gewalt gegen Polizisten zurückschrecken.
Sie sagen: Viel Personal. Zugleich gibt es Sorgen der Gewerkschaft der Polizei vor neuen Stellenstreichungen, für das Land Brandenburg ist laut dem Innenministerium von 3000 Polizisten die Rede. Gibt es bald nicht mehr genügend Polizisten für Potsdam?
Es ist nicht Neues, dass im Land Brandenburg Personal im öffentlichen Dienst abgebaut wird. Das ist eine Strategie, weil Gelder aus dem Länderfinanzausgleich wegfallen werden. Zur Polizei: Unumstritten ist bei uns, dass es bei den operativen Bereichen auf der Straße – wie etwa der Kriminalpolizei – Mindestzahlen braucht für das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung. Es muss eine bestimmte Anzahl Streifenwagen fahren und es braucht eine Zahl von Kriminalisten, die Delikte bearbeiten. Da geht man nicht heran – aber an alle Strukturen, die sich darum herumranken. Da muss hinterfragt werden: Was ist notwendig? Oder gibt es andere Wege?
Welche könnten das sein?
Neue Techniken beispielsweise, die effektiveres Ermitteln ermöglichen. Das hört sich banal an. Aber jetzt ist es so: Ein Polizist ist draußen, schreibt alles auf und muss in der Wache noch einmal alles schreiben, damit es im System steht. Das könnte in einem Schritt geschehen. Ein anderes Beispiel ist die Internetwache: Hier hat der Bürger schnell die Möglichkeit, ein Delikt aufzuschreiben: Er spart Zeit, wir auch, aber das Ergebnis ist gleich. Eine andere Frage ist, ob rund um die Uhr eine bestimmte Zahl Polizisten eingesetzt werden muss. Und was sind überhaupt spezifische Polizeiaufgaben, was kann nicht von anderen Einrichtungen erledigt werden? Politik setzt Rahmen und wir versuchen das umzusetzen.
Sie sind guten Mutes und glauben, dass die Bürger Einsparungen nicht bemerken?
Was beeinflusst einen Mensch in seinem Sicherheitsgefühl? Statistiken nicht. Er reagiert nur, wenn er von Kriminalität betroffen ist. Wir haben in Potsdam keine Straßenkriminalität, durch die sich die Leute unwohl fühlen. Der Bürger, der von einer schweren Raubstraftat betroffen ist, muss unmittelbar Hilfe bekommen. Wenn allerdings nur ein Kaninchen gestohlen ist, dann kann es auch einen Tag dauern, bis die Anzeige aufgenommen wird. Die „110“-Einsätze müssen klappen. Und es ist Konsens, dass dieser Standard bleiben soll.
Zu Ihren Aufgaben gehört die Verkehrssicherheit. Zum Herbstanfang hat die Potsdamer Polizei gewarnt, dass es dieses Jahr mehr schwerverletzte Radfahrer gegeben hat. Woran lag das?
In der Regel gibt es bei solchen Unfällen zu 80 Prozent Personenschaden – wir hatten 355 Unfälle mit beteiligten Radfahrern und dabei 278 Verletzte. Wir haben in Potsdam das ganz Jahr über ein sehr hohes Fahrradaufkommen. Und es gibt ein Wegenetz, dass schnelle Abkürzungen ermöglicht. Die Betonung liegt auf „schnell“. Wenn ein Radfahrer von der Heinrich-Mann-Allee zur Polizei will, geht es über die linke Seite der Langen Brücke viel schneller – aber das ist Gegenverkehr. Das schafft Situationen, die gefährlich sind. Verschärft wurde das Problem durch eine Vielzahl von unübersichtlichen Baumaßnahmen, etwa rund um den künftigen Landtag. Gerade in diesen Bereichen nehmen wir wahr, dass die Radfahrer aggressiver werden, auch in ihrem Auftreten.
Um die Sicherheit zu erhöhen, setzen Sie eine Radstaffel ein, die vielfach kritisiert wurde. Ist die Maßnahme aus Ihrer Sicht geglückt?
Die Einflussmöglichkeiten von Streifenwagen oder Polizisten zu Fuß auf Radfahrer sind relativ gering. Dagegen ist der Respekt von Radlern gegenüber den radfahrenden Polizisten viel größer. Ich möchte aber auch sagen, dass bei der Radstaffel nur vier Polizisten sind: Deswegen ist der Vorwurf absurd, wir würden hier großflächig abzocken. Wir arbeiten immer nur in Bezug auf ein mögliches Unfallgeschehen. Uns ist also egal, wo sich ein Radler erwischen lässt, wenn er über eine rote Ampel fährt. Es geht immer um die Verkehrssituation. Wenn jemand entgegen der Fahrtrichtung fährt, ist es Zufall, dass kein Unfall passiert. Wir wollen den Fahrradfahrer durch das Entdeckungsrisiko zu einer Verhaltensänderung anregen.
Gibt es Erhebungen darüber, ob diese Idee gefruchtet hat?
Das ist nicht in Zahlen wahrnehmbar. Aber ich habe keine Ahnung, was passiert wäre, wenn wir die Fahrradstaffel nicht hätten. Unsere Kontrollen zeigen, dass es viele Verstöße gibt.
Das Interview führte Henri Kramer
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