Von Jan Kixmüller: Schokolade und Tütensuppe
Die Programmgruppe des Studentenfilmfestivals „Sehsüchte“ der Filmhochschule HFF hat in diesem Jahr 1200 Filme zu sichten
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Dass die Kaffeemaschine den Geist aufgab, war nicht weiter schlimm. „Irgendwann waren wir immun gegen Koffein“, erzählt Feliks Wagner von der Programmgruppe des Studentenfilmfestivals Sehsüchte. Seine Kommilitonin Carolin Schwarzmann zieht eine King-Size-Tafel Schokolade aus ihrer Tasche. „Das ist viel wesentlicher für die Arbeit als Kaffee“, sagt sie. Ihr Mitstreiter Feliks setzt da allerdings eher auf Tütensuppe, schließlich mache die Mensa in den Semesterferien recht früh zu. Seit mehr als drei Wochen sind sechs Studierende der Potsdamer Filmhochschule HFF von morgens bis abends damit beschäftigt, Filme zu schauen. Aus über 1200 eingereichten Filmen, suchen sie die Streifen heraus, die Ende April im Thalia-Kino zum Sehsüchte-Festival (21.-26. April) gezeigt werden sollen.
An Privatleben sei dabei kaum noch zu denken. „Seit zwei Wochen habe ich keine Zahnpaste, mehr zu Hause“, erzählt Hannah Reber. Durch das Zeitungsinterview nun würde sie gerne auch ihren Freund grüßen, den sie schon länger nicht mehr zu Gesicht bekommen habe. Dafür aber freut sie sich, dass in der Zwischenzeit die Programmgruppe so etwas wie eine kleine Familie geworden ist.
Familie ist das passende Stichwort für die Filme. Generationenkonflikte lägen bei den bislang gesichteten Filmen im Trend, so das Team. Tatsächlich arbeiten Studierende in ihren ersten Filmen oft ihre Kindheit und Jugend auf. Gerade Konflikte zwischen Vätern und ihren Kindern würden diesmal stark thematisiert. Ein Trend, der sich zuletzt auch auf der Berlinale gezeigt hatte.
Die herausragende Qualität vieler Beiträge war den HFF-Studierenden diesmal besonders aufgefallen. Gerade die Filme aus Israel und Skandinavien seien hier zu erwähnen. „Viele Filme sind kaum von professionellen Kinoproduktionen zu unterscheiden“, erzählt Feliks Wagner, der Praktikant bei den Sehsüchten ist und schon im Vorjahr mit dabei war. Und darin sind sich alle einig: die Finnen sind besonders gut. „Bei ihnen funktioniert der Humor“, findet David Wölfle. Ansonsten ist ihm aufgefallen, dass die Studierenden viel Alltag festhalten, Realismus sei stärker vertreten als Realitätsflucht oder Fantasy-Filme. Das Politische allerdings werde nicht direkt angesprochen. „Es werden stärker die Traumata gezeigt, die Menschen aus den Konflikten, etwa Nahost oder in Ex-Jugoslawien davon getragen haben“, fasst Filmstudent David Wölfle zusammen.
Mit 1200 Einreichungen hat die Programmgruppe des Potsdamer Filmfestivals – das größte seiner Art in Europa – ein Drittel mehr Filme zu sichten als im Vorjahr. „Die zahlreichen Zusendungen sind ein erneuter Beleg für den hohen Bekanntheitsgrad von Sehsüchte weltweit“, so die Organisatoren des Festivals. Man verbuche in diesem Jahr einen besonders hohen Anteil an internationalen Einreichungen. Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilme aus 67 Ländern sind eingegangen. Neben den traditionell zahlreichen Zusendungen von deutschen Filmhochschulen kamen viele aus Israel und den USA. Aber auch Filme aus weniger bekannten Filmländern wie Pakistan, Sri Lanka, Libanon, Irak, Panama und Nepal haben die Sehsüchte diesmal erreicht.
Nach über drei Wochen Film-Marathon hat die Programmgruppe noch nicht genug von den bewegten Bildern. Manch einen aus dem Team verfolgen die Bilder zwar bis in die Träume. „Und irgendwann weiß man nicht mehr, was man gesehen, geträumt oder erfunden hat“, erzählt David Wölfle. Doch die jungen Enthusiasten lassen sich durch nichts abschrecken. Er schalte, wenn er spät abends vom Sichten nach Hause komme, sogar noch den Fernseher ein“, erzählt Feliks Wagner. „Privatsender – zum runterkommen.“
Die „kleine Familie“, zu der die Programmgruppe nun zusammengewachsen ist, wird mindestens noch bis nächste Woche zusammenhalten. So lange brauchen sie, um sich durch den Berg der DVDs durchzuschauen. Gestritten wurde bislang in der Cineasten-Familie noch nicht so viel, erzählt David Wölfle. Doch das könne sich bald ändern. Schließlich rückt in der kommenden Woche der Drucktermin für das Programmheft näher. Und dann müssen die verschiedenen Themenblöcke für das Festival feststehen. „Da gibt es noch Zündstoff“, sagt der Filmstudent David und grinst.
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