Landeshauptstadt: Schüsse am Montag
Der Gynäkologe Dr. Dietrich Rutz arbeitete in einem Slum in Nairobi
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Schon der Name ist Betrachtungssache. „Baraka“ heißt das medizinische Zentrum im Slum von Nairobi. Und was mit deutschen Augen tatsächlich wie eine provisorische „Baracke“ aussieht, ist für Sprecher des Swahili ein „Segen“ – so lautet die Übersetzung. Swahili ist die Muttersprache der etwa 300 000 Einwohner des Slums Mathare Valley in der kenianischen Hauptstadt. Fast jeder zehnte Nairobianer wohnt dort.
Für sie ist das einfache Steinhaus zwischen den tausenden von Wellblechhütten tatsächlich ein Segen. Eine Traube von bis zu 150 Menschen warte jeden Morgen vor Baraka, zwischen 300 und 350 Patienten besuchen das Zentrum pro Tag, berichtet Dr. Dietrich Rutz.
Der pensionierte Chefarzt der Gynäkologie ist erst Ende Mai aus Afrika zurück nach Potsdam gekommen. Sechs Wochen lang arbeitete er mit einem Team von vier bis sechs deutschen Ärzten und 40 einheimischen Mitarbeitern in Nairobi. Es war bereits sein dritter Einsatz mit der Organisation „Ärzte für die Dritte Welt“, erzählt der 66-Jährige.
So wie Rutz nutzten nach Angaben von „Ärzte für die Dritte Welt“ bisher etwa 2100 deutsche Ärzte ihre Pensionszeit oder den Jahresurlaub, um in verschiedenen Projekten in Kenia, Nicaragua oder Indien zu arbeiten und sich dort um die „medizinische Versorgung für die Ärmsten der Armen“ zu kümmern, wie Rutz es nennt. Die Frage nach dem Warum scheint sich für den Mediziner gar nicht zu stellen. „Als ich in Rente gegangen bin, habe ich überlegt, was ich noch Sinnvolles tun könnte“, erklärt er. Die 1983 gegründete Hilfsorganisation habe er durch seinen Bruder kennengelernt. Und dass ein Einsatz in den Slums von Nairobi sinnvoll ist, liegt auf der Hand.
„Die Slumbewohner hätten sonst keine Anlaufstelle“, erzählt Rutz. Zwar habe er in der kenianischen Hauptstadt auch „super eingerichtete Krankenhäuser“ gesehen. Dort werden allerdings nur die Patienten versorgt, die kräftig dafür bezahlen können. Schon das kommunale Krankenhaus „Keniata“ sei für die sozial Schwachen zu teuer, erklärt der Potsdamer. 400 Schilling kostet die Behandlung dort, umgerechnet sind das etwa 4 Euro.
In Baraka kostet dagegen nur die Anmeldung Geld: Einmalig 200 Schilling müssen die Patienten für das Anmeldekärtchen aufbringen, Behandlung und Medikamente sind frei. Mit Tropenkrankheiten, Malaria, Unterernährung und Tuberkulose, aber auch einfachen Erkältungen kommen die Patienten in das Medizin-Zentrum, sagt Rutz. All die Krankheiten mit den vorhandenen Hilfsmitteln zu behandeln, sei „eine neue Herausforderung“. Kein Vergleich zu seiner früheren Arbeit als Chefarzt in dem Krankenhaus im niederrheinischen Geldern bei Krefeld. Denn Hierarchien wie in deutschen Krankenhäusern gibt es in Baraka nicht. „Die Teamarbeit läuft sehr gut“, erzählt Rutz. Vor seinem ersten Einsatz in Kenia habe er einen Weiterbildungskurs absolviert. Nur Aids-Patienten schickt er in das nahe gelegene Aids-Zentrum, das von Software-Milliardär Bill Gates finanziert werde. „Jeden Tag kommen zwei bis drei Neuinfizierte“, sagt Rutz.
Spätestens halb sechs abends sei jedoch Arbeitsschluss. Denn dann bricht in dem ostafrikanischen Land in Äquatornähe die Dämmerung herein: „Wenn es dunkel wird, ist es für Weiße gefährlich, draußen zu sein“, sagt Rutz: „Das weiß jeder.“ Das Benediktiner-Kloster, in dem er untergebracht war, habe er dann nicht mehr verlassen können. Auch wenn es nur 20 Fußminuten von Baraka entfernt liegt. Denn dann regieren im Slum Banden wie die militante Mungiki-Sekte, in deren Händen das Nahverkehrsnetz mit den Mini-Bussen liege. Schlägereien sind an der Tagesordnung. „Wo die Armut groß ist, ist die kriminelle Hemmschwelle niedrig“, weiß Rutz.
Die Mungiki sorgten auch in den ersten Tagen seines diesjährigen Kenia-Aufenthaltes für Chaos. So mussten Rutz und seine Kollegen am ersten Montag ihres Einsatzes im Kloster bleiben. „Ihr könnt nicht kommen, hier wird geschossen“, habe sich der Verwaltungschef von Baraka gemeldet, erinnert sich der Mediziner. In der Zeitung habe er später von Toten gelesen, einer Frau war sogar der Kopf abgetrennt worden, der Slum war mit quergestellten Bussen blockiert. Alles offenbar noch Nachwehen der umstrittenen Präsidentschaftswahlen im vergangenen Dezember. „Am Dienstag war die Sache dann verpufft“, sagt Rutz.
Aber auch ohne solche Ausschreitungen sei in der kenianischen Hauptstadt an Ausflüge alleine nicht zu denken – zumindest nicht für Weiße. „Das ist gewöhnungsbedürftig“, gibt Rutz zu. Stadtbesichtigungen habe er nur in der Gruppe und mit sachkundiger Führung unternehmen können. Nairobi ist eine „Stadt mit unwahrscheinlichen Kontrasten“, erzählt der Potsdamer. Auf der einen Seite ist da die „ganz moderne Großstadt“, auf der anderen Seite lebt fast ein Viertel der Bevölkerung in den verschiedenen Slums unter unwürdigen Bedingungen. Ob Rutz noch einmal nach Baraka gehen wird, darauf will er sich jetzt noch nicht festlegen. Ein paar Brocken Swahili spricht er jedenfalls schon.
Spendenkonto: Ärzte für die Dritte Welt e.V., Bankleitzahl: 500 605 00, Kontonummer: 488 888 0. Mehr Informationen im Internet unter: www.aerzte3welt.de
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