Landeshauptstadt: Schwieriges Erinnern – besonders in Potsdam
Nirgendwo hat das Mauerstelen-Projekt Probleme wie hier: Erst mit Ämtern und nun mit Anwohnern, weil ein Opfer Stasi-IM war
Stand:
Sacrow - Für die Stiftung Berliner Mauer ist es längst ein dramatischer Kraftakt geworden, entlang dem einstigen „Todesstreifen“ zwischen Berlin und dem Brandenburger Umland an Maueropfer zu erinnern. Die ersten von 29 Erinnerungsstelen für 50 Menschen, die hier ihr Leben verloren, werden am heutigen Montag durch die Regierungschefs Klaus Wowereit und Matthias Platzeck (beide SPD) in Teltow offiziell eingeweiht. Doch insbesondere in Potsdam, mit sieben geplanten Stelen eine von zwölf beteiligten brandenburgischen Kommunen, tauchen ständig neue Probleme und Hindernisse auf.
„Nirgendwo waren die Schwierigkeiten so groß wie in Potsdam. Aber am Ende haben sich doch alle sehr ins Zeug gelegt“, sagt Maria Nooke, die Projektleiterin und Vize-Direktorin der Stiftung. „Ich bin erleichtert, dass die Standorte endlich geklärt, die Genehmigungen erteilt sind.“ Zuvor hatte es ein monatelanges Abstimmungsgerangel mit Fachbereichen im Rathaus und der Schlösserstiftung gegeben, in das sich nach PNN-Informationen zwischenzeitlich sogar die Staatskanzlei einschalten musste. Erst danach lief es, wenngleich die Stadt jetzt auf objektive Schwierigkeiten, auf „teilweise ungeeignete Unterlagen“ verweist. „Wir freuen uns jedenfalls, dass die Mauerstelen rechtzeitig aufgestellt werden können“, erklärt Stadtsprecher Stefan Schulz. Man habe dafür „alles getan“.
Die Freude ist allerdings verfrüht. Prompt droht im Ortsteil Sacrow ein offener Konflikt, der sogar die Philosophie des ganzen Projektes berührt. Zur offiziellen Gedenkveranstaltung des Landes am Freitag, dem 12. August, in der Heilandskirche wird in Sacrow nur eine der beiden geplanten Stelen stehen – die für Lothar Lehmann und Erna Kelm, die beide bei Fluchtversuchen 1961 und 1962 in der Havel ertrunken waren. Doch wegen der zweiten Stele, die mitten im Ort an den 1975 hier getöteten Lothar Hennig erinnern soll, wird nun Anwohnerkritik laut. Der damals 21-Jährige wollte nicht in den Westen, als er betrunken in der Nacht zum 5. November 1975 auf seinem Heimweg von Grenzsoldaten für einen flüchtigen russischen Soldaten gehalten und vor dem „Dorfkonsum“ erschossen wurde. Für Zündstoff sorgt, dass Hennig gerade von einem Treff mit seinem Führungsoffizier kam und IM der Staatssicherheit war. Derjenige, der ihn erschoss, war es auch.
Dass auch in diesem Fall nahe der authentischen Todesstelle die orangene Betonstele – mit 3,60 Metern genau so hoch wie der damalige angebliche „Schutzwall“ – mit Informationen zur Mauer und zu ihrem konkreten Verlauf und daneben eine zweite kleinere Säule mit einem Bild, Biografie und Todesumständen des Opfers aufgestellt werden sollen, geht manchem zu weit. „Jeder Bewohner, jeder Besuchter defiliert an einem Stasi-IM vorbei. Das ist mir ein bisschen zu viel“, sagt ein Anrainer, der nicht genannt werden will. So sei die „Grundmeinung auch in der Nachbarschaft“. Als die Bauarbeiter anrückten, habe er Bedenken geäußert, und kurz darauf eine schriftliche Aufforderung der Stadt erhalten, die Aufstellung der Stele nicht zu behindern. Er fühle sich überrumpelt, der prominente Standort sei ungünstig. „Wenn man es macht, dann bitte etwas abgelegen.“
Genau das widerspricht dem Grundanliegen des Projektes. Die Stiftung Berliner Mauer nimmt die Debatte daher so ernst, dass sie die Aufstellung der Säule in Sacrow zunächst zurückgestellt hat, wie Direktor Axel Klausmeier den PNN bestätigt. „Wir suchen das Gespräch, die Kommunikation hat Vorrang.“ Man wolle nichts überstürzen und um Verständnis werben für den Ansatz, an alle Maueropfer zu erinnern: an die, die bei ihrer Flucht aus dem SED-Regime in den Westen ihr Leben verloren, aber auch an getötete Grenzsoldaten sowie an die, die durch tragische Umstände im Zusammenhang mit dem Grenzregime umkamen. Dass zur offiziellen Brandenburger Gedenkveranstaltung am Freitag nur eine der beiden Stelen in Sacrow stehen werde, nehme man in Kauf. „Die Akzeptanz vor Ort ist wichtiger.“ Mit dem Projekt habe man noch bis Ende Oktober Zeit, bis die Fördermittel abgerechnet werden müssen.
„Wir nehmen keine moralische Bewertung der Opfer vor, wir teilen sie nicht in gute und böse“, sagt Nooke. Schließlich zeige auch der Tote in Sacrow: „Es wurde auf jeden geschossen, der in Verdacht geriet, auch wenn es eigene Leute traf. Auch das zeigt, wie menschenverachtend diese Mauer war.“ Nooke hatte im Rahmen eines Projektes gemeinsam mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZFF) die Biografien der Maueropfer an der Westberliner Grenze erforscht, Archive gewälzt, mit Angehörigen gesprochen. Auch der Fall Hennig, sagt sie, sei kompliziert, vielschichtig und widersprüchlich.
Da sei der junge Mann, der als lebenslustig, eher unangepasst galt, in Diskotheken entgegen den Vorgaben vor allem Westmusik auflegte, von dem unklar blieb, warum er sich einige Monate vor seinem Tod mit der Stasi einließ. Nach den Akten habe er sich regelmäßig mit dem Führungsoffizier getroffen, aber etwa die Begegnung mit einem Flüchtling im Sperrgebiet nicht gemeldet, gegen alle Vorschriften. „Er war nicht das Stasi-Schwein“, sagt Nooke über Lothar Hennig.
Die Umstände seines Todes hatten Stasi und Grenztruppen nach den Recherchen der Stiftung vertuscht, die Familie, die den ältesten Sohn verlor – sie zog bald darauf aus Sacrow weg – hatte vergeblich vom DDR-Verteidigungsminister Aufklärung verlangt. Die „Angehörigen Hennigs wurden über die Umstände des Vorfalls belogen“, heißt es im Urteil des Landgerichtes Potsdam aus dem Jahr 1996, das den damaligen Schützen wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ zu einer auf Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilte: „Die Tat (...) war schon nach dem Recht der ehemaligen DDR strafbar.“ Gegen den Schützen waren vor 1989 keine Ermittlungen eingeleitet worden.
Die Stiftung Berliner Mauer will mit den unübersehbaren Mauerstelen im öffentlichen Raum Anstöße geben, sich mit eben solchen Schicksalen auseinanderzusetzen. „Es sind keine Gedenkstelen, sondern Erinnerungszeichen“, betont Direktor Klausmeier. „Es sind vertikale Stolpersteine.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: