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Homepage: Semesterferien im Gaza-Streifen

Post aus Tel Aviv: Studierende in Israel wurden zur Räumung im Gaza-Streifen eingezogen

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Post aus Tel Aviv: Studierende in Israel wurden zur Räumung im Gaza-Streifen eingezogen Von Eik Doedtmannn Die Räumung der 21 israelischen Siedlungen im Gaza-Streifen und Westjordanland läuft seit einigen Tagen. Viele israelische Studenten wurden dazu zum Armee-Reservedienst einberufen. Doch nicht nur bei der Aktion in Gaza sind zusätzliche Kräfte von Nöten. Das ganze Jahr hindurch werden Reservedienstpflichtige in die Besetzten Gebiete geschickt. Und das oft mitten im Hochschulsemester. An den israelischen Universitäten ging die Vorlesungszeit schon Anfang Juni zu Ende. Im Juli standen die Prüfungen und Hausarbeiten an. Und im August nun heißt es für tausende, vornehmlich männliche, israelische Studenten Armeeuniform anlegen und sich auf der Militärbasis melden. Zum Einsatz bei der „Hitnatkut“, der Räumung jüdischer Siedlungen. Für drei bis vier Wochen verwandelt sich das Leben eines hoffnungsvollen Nachwuchsakademikers in das eines Soldaten. Statt des intellektuellen Kampfes über Büchern und in Laboren wird der Student Teil eines sehr physischen Kampfes mit Siedlern und Abzugsgegnern. Drei bis vier Wochen Ausnahmezustand. Ehud Zarusi, 25, aus Kfar Saba, hatte den berüchtigten braunen A5-Umschlag schon vor ein paar Wochen im Briefkasten gefunden. Einberufung zum Reservedienst, auf Hebräisch „Miluim“, in die Israeli Defense Forces. Dreißig Tage wird er im Rahmen der Hitnatkut eingesetzt werden. Ehud studiert im dritten Jahr Geographie an der Universität Tel-Aviv. Er liebt Natur und Wandern. Als in die Einberufung erreichte, steckte er noch mitten im Pauken für die Prüfungen. Doch innerlich musste er sich auf die Stunde Null vorbereiten. Mit dem Ausbruch extremer Gewalt zwischen israelischem Militär und Siedlern rechnete er jedoch nicht. „Keiner wird schießen. Aber sicherlich werden sich einige Siedler in ihren Häusern verbarrikadieren, sich festketten und die Soldaten böse beschimpfen.“ Das war schon 1982 bei der Räumung israelischer Siedlungen im Sinai vorgekommen. Damals hatten sich beispielsweise die Bewohner der Siedlung Yamit in einem Bunker verschanzt und wurden erst nach stundenlangen Versuchen der Armee dort herausgezerrt. Es gab Verletzte. Zeitlich gesehen ist die Hitnatkut im August für reservedienstleistende Studenten wie Ehud ein „Glücksfall“. Die Prüfungen sind nun vorbei. Nur Wenige belegen Kurse im Sommersemester, denn die kosten doppelt so viel wie die im normalen Studienjahr. Im August gibt es somit etwas weniger Komplikationen, akademische und militärische Pflichten zu vereinbaren. Da seitens der Armee nicht nur für Anlässe wie den Gaza-Abzug Reservekräfte benötigt werden, kann einem Studenten jedoch über das ganze Jahr hinweg die Einberufung drohen. An jeder israelischen Universität, so auch in Tel-Aviv, wurden darum Anlaufstellen für die Reservisten eingerichtet, die „Kommission zur Anpassung des Reservedienstes an das Studium“. Etwa 5000 von insgesamt knapp 28 000 Studenten an der Tel-Aviver Uni machen Reservedienst. Wenn die mitten im Semester oder zur Prüfungszeit zur Armee gerufen werden, können sie über die Kommission eine Änderung des Termins oder der Dauer des Dienstes erbeten und bekommen eine kleine Unterstützung für den Studienausfall. Die Kommission spendiert Kopierkarten und finanziert für jeweils acht verpasste Unterrichtseinheiten eine Nachhilfestunde von der jeweiligen Fakultät. Die Hilfen für den Studenten werden durch private Spendengelder finanziert, die in den letzten Jahren jedoch merklich zurückgegangen sind. Sollte ein Student wegen des Reservedienstes in große Schwierigkeiten geraten, Prüfungen nicht bestehen oder wichtige Kurse verpassen, wird ihm eine Kurswiederholung ermöglicht, ohne dass er dafür Studiengebühren zahlen muss. Prüfungstermine und Laborzeiten lassen sich mit den Dozenten relativ flexibel vereinbaren. Schließlich waren die auch mal israelische Studenten. Schoschana Algasi, Leiterin der Kommission: „Wir wollen den Studenten sehr helfen. Und meistens schaffen sie“s auch irgendwie, den Stoff nachzuholen. Manchmal verlieren sie aber ein Semester. Bisher musste bei uns erst ein Student ein ganzes Jahr wiederholen, weil er nach dem Reservedienst nicht mehr im Studium hinterherkam.“ Ehud macht nun schon das vierte Jahr in Folge Miluim. Jedes Jahr zwischen zwanzig und dreißig Tage. Er ist Offizier in einer Aufklärereinheit und für die „Verteilung der Militärkräfte im Gelände“ verantwortlich. Er war schon oft in den Besetzten Gebieten eingesetzt. Mehr dürfe er darüber aber nicht sagen. Das Umschalten vom Militär zum Zivilleben sei ihm in den ersten Jahren noch sehr schwer gefallen. Jedes Mal nach dem Dienst dauere es einige Zeit, das Verhalten wieder zu regulieren, die Nervösität und den Befehlston abzulegen. Vor dem Einsatz in Gaza hatte Ehud keine Angst. Wie fast jeder Israeli, hat auch er schon einen Freund beim Einsatz im Reservedienst verloren. Aber er wolle sich nicht vor der Verantwortung drücken, die notwendige Arbeit für den Staat machen. Ehud teilt die einhellige Meinung unter den Reservisten: Es gäbe heute zu viele junge Männer, die nach Absolvierung der obligatorischen drei Armeejahre versuchen, die Reserve durch Untauglichschreibung zu vermeiden und sich stattdessen ihrer Karriere widmen. „Das würde ich auch gerne, aber leider ist dafür die Zeit noch nicht reif in unserem Land.“ Der Autor studiert an der Universität Potsdam Jüdische Studien. Seit Oktober 2003 studiert er im Rahmen seiner Ausbildung an der Universität Tel Aviv.

Eik Doedtmannn

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