
© Manfred Thomas
Von Andreas Conrad: Shakespeare spielt in Babelsberg
Hollywood-Regisseur Roland Emmerich lud erstmals zum Set seines Millionenfilms „Anonymous“
Stand:
Im Londoner Globe Theatre gaben sie an diesem Donnerstag „Macbeth“, Mord und Totschlag in dem 1996 am Südufer der Themse eröffneten Nachbau des auf ewig mit dem Namen Shakespeares verbundenen Theaters. Auch in Berlin durften die Freunde des englischen Bühnentitanen eine Zeitlang von solch einer Kopie des kreisrunden Gebäudes träumen: Die Shakespeare Company Berlin präsentierte 2001 einen kühnen Plan, aber noch immer existieren davon nur Entwürfe.
Vorübergehend gibt es im Großraum Berlin nun doch ein Globe Theatre. Auf dem Babelsberger Studiogelände wurde Shakespeares berühmte Bühne nachgebaut. Es ist das Zentrum des Geschehens in „Anonymous“, dem neuen Film von Roland Emmerich – und war gestern für die Presse zur Besichtigung freigegebene Spielstätte einer fiktiven Aufführung von Shakespeares „Heinrich V.“ Darin geht es nicht weniger blutig zu als in dem Königsmörderdrama „Macbeth“, schließlich war Heinrich V. zur Durchsetzung seiner vermeintlichen Thronansprüche in Frankreich eingefallen, was in der Schlacht von Azincourt 1415 mündete: Das zahlenmäßig überlegene französische Ritterheer wurde von den englischen Bogenschützen gnadenlos zusammengeschossen.
Solche Gemetzel sind in „Anonymous“ nicht zu erwarten. Es geht um eine literarische Frage: Stammen William Shakespeares Werke, also 36 Dramen, zwei Epen und 154 Sonette, tatsächlich von William Shakespeare? Oder hat ein ganz anderer Autor sie verfasst, ein hochgestellter Mann aus dem Adel womöglich, dessen Stand ihm zwar erlaubte, hin und wieder fürs Hoftheater zu reimen, Elisabeth I. zum Pläsir, aber keinesfalls für eine dem gemeinen Volk zugedachte Bühne wie das Globe Theatre.
Der Verdacht ist ein Dauerthema unter Anglisten, rund 50 Verdächtige wurden nach und nach präsentiert. Einer aber hat sich als Favorit herauskristallisiert. Erstmals kam der Shakespeare-Forscher J. Thomas Looney 1929 mit dieser Theorie, die unlängst von dem Philologen Kurt Kreiler in seinem Buch „Der Mann, der Shakespeare erfand“ noch einmal beleuchtet wurde. Sein Fazit: Der wahre Dichter war nicht etwa der 1564 in Stratford-upon-Avon geborene Schauspieler und Theaterunternehmer William Shakespeare, sondern Edward de Vere, der 17. Earl of Oxford, der sich entweder Shakespeare als Pseudonym ausgedacht hatte – sein Familienwappen zeigt einen Ritter, der einen Speer schüttelt („shakes a spear“) –, oder den Theatermann gleichen Namens als Strohmann engagierte. Jedenfalls würde das die enorme Bildungsfülle der Shakespeareschen Werke erklären, die man dem Earl zutraut, dem aus einer Analphabetenfamilien stammenden Theaterunternehmer aber nicht.
Roland Emmerich greift nun also in die endlose Debatte zwischen Stratfordianern und Oxfordianern mit den Mitteln des Kinos ein. Der Film werde „eher ein kleiner feiner Thriller“, allerdings „sicher kein Kammerspiel. Es wird jede Menge Spezialeffekte geben.“ In den letzten Tagen etwa wurden wilde, schlammumspritzte Kutschfahrten unter freiem Himmel aufgenommen, täglich sind mehr als 500 Komparsen im Einsatz.
Im Vorfeld waren in Berlin und Umgebung Komparsen gesucht worden, britische und irische Typen bevorzugt. Die Hauptdarsteller kommen allerdings weitgehend aus Großbritannien und sollten am gestrigen Abend mit Roland Emmerich für eine Pressekonferenz zur Verfügung stehen: Vorneweg als Elisabeth I. Vanessa Redgrave sowie als junge Elisabeth Joely Richardson, als Shakespeare Rafe Spall und als Earl of Oxford Rhys Ifans. Der war in „Notting Hill“ der verlotterte Spike, Wohngefährte des von Hugh Grant gespielten Buchhändlers. Gut möglich, dass in dessen kleinem Laden auch Shakespeare im Regal stand.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: