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Landeshauptstadt: SMS-Grüße vom Roten Platz

4050 Kilometer von Potsdam nach Moskau und zurück – Alexander Schubert fuhr die Strecke mit dem Rad

Stand:

Fahnen öffnen Herzen. Die Idee mit der Fahrradbeflaggung hat Alexander Schubert von seinem Vorbild Rüdiger Nehberg, dem deutschen Survival-Guru. Die Fahnen sind das erste, was die Leute von dem 30-jährigen Babelsberger sehen. Rechts weht Schwarz-Rot-Gold überm Vorderrad, links die polnische, litauische, lettische oder russische Flagge – je nachdem. Fahnenwechsel an jeder Grenze. Alexander Schubert hat getan, was im Trend liegt zur Zeit – und wovon doch die meisten nur träumen: Er war dann mal weg.

Am 13. August steigt der Sport-Enthusiast auf sein Fahrrad und steuert es gen Osten. Sein Ziel ist die russische Hauptstadt Moskau. Kurz zuvor verteidigte der Fahrzeugtechnik-Student erfolgreich seine Diplomarbeit zum Thema „Entwicklung und Konstruktion einer hydraulischen Fahrradseitenwagen-Bremse“. Hintergrund: Es gibt Fahrräder mit Seitenwagen – sollen diese auch in der Schweiz fahren dürfen, muss das Seitenwagenrad über eine eigene Bremse verfügen. Frisch diplomiert also will Alexander Schubert den Kopf wieder frei kriegen und vor der Jobsuche noch Urlaub machen – „auf meine Weise“.

Er fährt 180 bis 200 Kilometer am Tag. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang tritt er in die Pedale. Nur kurz stoppt er, um zur Deckung seines täglichen Energiebedarfs von etwa 6400 Kilokalorien im Supermarkt Wurst und Brot zu kaufen. Häufig pflückt er Äpfel von Bäumen am Wegesrand. Er trinkt Wasser aus zwei Eineinhalb-Liter-Plastikflaschen, die er in einer selbstgebauten Halterung an der Vorderradgabel mit sich führt. Auch zwei Tage nach seinem Aufbruch, am 15. August 2007, gönnt sich Alexander Schubert nur Wasser – obwohl er an diesem Tag 30 Jahre alt wird. Alkoholische Getränke lehnt er für sich ab. Er trank zur Abiturfeier mal ein Glas Sekt, doch der schmeckte ihm irgendwie nur sauer. Wegen seiner Abstinenz finden ihn manche komisch, sagt er.

Jeden Tag fährt Alexander Schubert, bis es dunkel ist. Dann sucht er sich vorzugsweise ein Waldstück, notiert die zurückgelegten Tageskilometer sowie den Etappenort und legt sich in seinen Schlafsack. Bei Regen schlüpft er unter seine drei mal vier Meter große Plane. Ein Zelt hat er nicht dabei, das Gestänge wäre ein zu großer Ballast. In den ersten Nächten schrickt er noch hoch bei Geräuschen, hört das Knacken von Ästen. Später aber „wird man abgebrühter, weiß die Geräusche besser einzuschätzen“. Nach zehn, elf Stunden auf dem Rad fällt er fortan sofort in einen tiefen Erschöpfungsschlaf. Der Überlebenskünstler härtet ab, irgendwann schläft er „auf dem Boden genauso gut wie in einem Bett“.

Sein Rat an alle, die es ihm gleichtun wollen: „Sie sollten sich Mückenschutzzeug mitnehmen.“ In der Nähe von russischen Sümpfen wird Schubert von Mücken attackiert: Guckt ein Fuß oder eine Hand aus dem Mumienschlafsack, ist sie am Morgen von Stichen übersäht.

Einmal liegt er in Lettland auf einer Lichtung und schaut in den Sternenhimmel. Der ist hier besonders klar, weil keine Straßenlaternen mit Streulicht das Erlebnis stören können. Der Reisende sieht Sternschnuppen aufleuchten. Plötzlich rast ein Asteroid in die dichteren Luftschichten, sein Glühen erhellt das Gelände „wie eine Silvesterrakete“. Der heiße Brocken zieht einen orangefarbenen Schweif hinter sich her, der noch mehrere Sekunden sichtbar ist. Alexander Schubert spricht nur ein Wort: „Wahnsinn“. Dieses Naturerlebnis werde er sein Leben lang nicht vergessen, ist er sich sicher.

Am Morgen steht er schnell auf, verstaut seine Sachen in den Gepäcktaschen und fährt vor dem Frühstück zunächst ein bis eineinhalb Stunden. Kaffee trinkt der Sportfan nicht. Seine Haltepunkte sind Bushaltestellen und Tankstellen. Aus kurzen Gesprächen mit Einheimischen geht hervor, dass sie es zwar gut, aber auch äußerst außergewöhnlich finden, dass da jemand mit dem Fahrrad von Deutschland nach Moskau fährt. Einmal lädt ihn ein Tankstellen-Pächter zur Übernachtung in einem leeren Wohnwagen ein – Alexander Schubert nimmt dankend an. Mit der Zeit verändern sich seine Sinne, er kann besser sehen, erkennt Verkehrsschilder eher, auch der Geruchssinn ist intensiver. Er bemerkt an sich: „Die Instinkte kommen stärker durch, wenn man täglich draußen ist.“ Er überquert Flüsse, in denen er sich wäscht. Irgendwann ist das Radfahren für ihn „wie die tägliche Arbeit“: Aufstehen, fahren, essen, trinken, fahren, schlafen, aufstehen

In Moskau ist er nicht länger als vier Stunden. Er steht auf dem Roten Platz, verschickt per Handy ein paar SMS und macht ein Beweisfoto mit dem Kreml im Hintergrund. Bald beginnt er die Rücktour, die Nacht verbringt Alexander Schubert bereits in einem Wald westlich der Stadtgrenze.

Natürlich fährt er auch zurück mit dem Fahrrad: Nur den Hinweg zu radeln und dann in ein Flugzeug zu steigen, hätte er als Halbheit empfunden. Und wieder wählt er die Strecke über Lettland und Litauen. Weißrussland umgeht er, da es für dieses Land nur ein 48-Stunden-Transitvisum gibt. Das hätte allerdings selbst bei seinem Pensum von durchschnittlich 188 Kilometern pro Tag nicht ausgereicht.

Sein Kilometerzähler zeigt genau 4050 Kilometer an, als er exakt drei Wochen nach Reisebeginn wieder vor seinem Wohnhaus in Babelsberg steht. Von seinem 150-Euro-Budget hat er unterwegs genau 53,52 Euro für Essen ausgegeben. Sein Körpergewicht hat sich zwischen Abfahrt und Rückkehr um 4,9 Kilogramm, von 72 Kilo auf 67,1 Kilo, verringert. Auf den letzten Kilometern hat er Hungerfantasien, träumt von Frikassee mit Reis oder Vollkornnudeln mit Tomatensoße.

Zu Hause angekommen, hat Alexander Schubert erst einmal „die Schnauze voll vom Fahrradfahren“. Sein Hinterteil ist ein einziger blauer Fleck. Als er die halbe Treppe zu seiner Wohnung hinauf geht, sieht er einen Beutel an der Türklinke hängen: Eine Bekannte hat ihm Mohrrüben-Eintopf gekocht und vorbei gebracht. Auf dem Herd macht er sich die Suppe warm – und sie schmeckt „wie der Himmel auf Erden“.

Mehr über Alexander Schubert auf seiner Internetseite: www.pas4.de

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