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Landeshauptstadt: „So nicht zu packen“

Machbar oder nicht: SPD-Ortsverein diskutierte mit Eltern und Bildungsexperten über Inklusion

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„Wir müssen jetzt ganz viel diskutieren.“ Diese Aussage von Bildungsministerin Martina Münch (SPD) zum Thema „Inklusion“ traf ins Schwarze. Immer mehr Aspekte, Interessenkonflikte und Probleme tauchen auf, wollen berücksichtigt werden. Lange debattiert wurde dementsprechend am Donnerstagabend bei der vom SPD-Ortsverein Mitte/Nord organisierten Podiumsdiskussion zum Thema „Potsdamer Schulen - alles inklusive? Gemeinsames Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern in der Regelschule“.

Die gut besuchte öffentliche Veranstaltung mit Ministerin Münch und Günther Fuchs, Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Brandenburg, fand in der Rosa-Luxemburg-Grundschule statt. Nicht ohne Grund: Hier wird Inklusion bereits praktiziert, wenngleich im kleinen Rahmen. Zwei Down-Syndrom–Kinder werden hier seit einem beziehungsweise drei Jahren unterrichtet. „Wir waren anfangs sehr unsicher, aber es funktioniert, wenn man Probleme, die natürlich auftauchen, ernst nimmt“, so Schulleiterin Sabine Hummel.

Nach den Vorstellungen der Landesregierung soll Brandenburg zügig mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beginnen. Im Unterschied zur Integration, die auf Anpassung und Unterordnung einer Gruppe an die Mehrheit basiert, bedeute Inklusion gleichberechtigte Teilhabe aller Kinder an allen Bildungsangeboten. Ein zeitgemäßer Ansatz, der in vielen europäischen Ländern bereits gelebt werde. „In Frankreich kennt man keine Förderschulen“, so Münch. Die Gemeinschaft aller Kinder bewahre die bisher ausgesonderten vor der prägenden Erfahrung, „anders zu sein“ und stärke dagegen soziale Kompetenzen. Hochbegabte Kinder sollen, wird das Paket richtig umgesetzt, nicht auf der Strecke bleiben. „Das zeigen Studien aus Ländern , in denen das bereits praktiziert wird.“ Günther Fuchs ging noch einen Schritt weiter, er sieht in der Umsetzung von Inklusion die Chance, „dass sich Deutschland von seinem selektiven Bildungssystem verabschiedet“. In dieser Maschinerie gingen jährlich 8,9 Prozent der Kinder „verloren“, und mehr als die Hälfte der Abgänger ohne Schulabschluss seien Förderschüler.

Der Inklusionsgedanke könne allerdings nur funktionieren, wenn sämtliche Kinder dieselbe Schule besuchen, verdeutlichte der Gewerkschaftsmann und stellte damit die Existenz von Privatschulen sowie Leistungs- und Begabtenklassen infrage.

Einig war man sich, dass es nicht ohne Neuverteilung und Aufstockung personeller und struktureller Ressourcen geht. „Wir wollen das mittragen, aber so, wie es jetzt ist, ist das nicht zu packen“, redete Hummel Klartext und bekam Beifall aus dem Publikum. Auch weitere Diskussionsteilnehmer, Eltern sowie Lehrer, äußerten ähnliche Befürchtungen: zu wenig Pädagogen, zu große Klassen, zu viele Stunden. Förder- und Teilungsunterricht falle viel zu häufig dem Vertretungsplan zum Opfer. Eine Erhöhung der Vertretungsreserve sei nicht möglich, habe es auf Nachfrage aus dem Schulamt geheißen, berichtete Manuela Sissakis vom SPD-Ortsvereinsvorstand. Diese Reform dürfe weder auf dem Rücken der Kinder noch der Grundschullehrer ausgetragen werden, mahnte auch Fuchs. Hingegen seien räumliche Barrieren, die der Inklusion von Kindern mit Körperbehinderungen im Wege stünden, oftmals das kleinere Problem, berichteten Lehrer aus der Praxis.

Laut Ende 2010 zwischen Schulamt, Behindertenrat und Stadt geschlossener Zielvereinbarung soll es demnächst pro Sozialraum eine barrierefreie Grundschule geben. Sukzessive sollen die Förderschulen, „gut ausgestattete kuschelige Nester, die leider nicht auf das Leben vorbereiten“, so Münch, aufgelöst werden. Auch an der Schule am Nuthetal wird es 2015 keine erste Klasse mehr geben. Diese Förderschule ist allerdings eine der wenigen, die „einen der Berufsausbildungsreife gleichgestellten Abschluss“anbieten.

„Wir werden Sie nicht allein lassen“, versprach Münch den Lehrern. Sie könne sich entlastende Sofortmaßnahmen wie Bürokratieabbau und Fortbildungen vorstellen. Mehrere Arbeitskreise auf Stadt- und Landesebene seien mit dem Thema beschäftigt, so die Ministerin.

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